Reaktivierung der Werrabahn

Beitrag aus "Schiene Aktuell aus Franken und Thüringen", Ausgabe 2/2010
(PRO BAHN Mitglieder aus Franken erhalten diese Zeitschrift kostenlos)

Wann endlich siegt die Vernunft?

PRO BAHN setzt sich auf verschiedenen Ebenen seit 2004 für die Reaktivierung der Werrabahn zwischen Coburg und Eisfeld durch das Lautertal ein. Die Vorteile einer Reaktivierung des teilungsbedingt aufgegebenen ca. 20 Kilometer langen Abschnitts im Grenzbereich zwischen Thüringen und Bayern auf der e

  • Die durchgängige Befahrbarkeit der Verbindung Lichtenfels - Eisenach - Bebra - Kassel schafft die Verbindung der zwei wichtigen Nord-Süd-Achsen Hannover - Fulda - Würzburg - Nürnberg - München und Berlin - Leipzig - Nürnberg - München.
  • Mit einer durchgängig befahrbaren Werrabahn wird der Raum Südwestthüringen mit den Stadt- bzw. Landkreisen Hildburghausen, Schmalkalden-Meiningen, Suhl und südlicher Wartburgkreis direkt an die Strecke Lichtenfels - Nürnberg - München angebunden. Der Raum Südwestthüringen erhält also einen attr
  • Die Werrabahn hilft bei der Durchsetzung eines ICE-Halts in Coburg, da mit der attraktiven und schnellen Anbindung von Südwestthüringen die Fahrgastzahlen für einen möglichen zweistündlichen ICE-Halt Coburg über die Grenze zur Wirtschaftlichkeit angehoben werden.
  • Eine direkte Verbindung der exportorientierten mittelständischen Wirtschaft im Raum Coburg, Lichtenfels, Kronach, Kulmbach über die Schiene nach Norden und Nordwesten, d. h. zu den Seehäfen Hamburg, Bremen, Antwerpen, Rotterdam sowie ins Ruhrgebiet und in die Beneluxstaaten, wohin starke Güters

Die Aktivitäten der PRO BAHN-Kreisgruppe Coburg/Südthüringen - insbesondere die Forderung, die rund 20 km lange Lücke der Werrabahn im Lautertal wieder aufzubauen - werden in der Stadt und dem Landkreis Coburg mitunter mehr oder weniger offen als "Spinnereien" abgetan. Im Kommunalwahlkampf 2008 wurd

  • So wird bei der Berechnung des Fahrgastpotenzials einer durchgängig befahrbaren Werrabahn zwischen Lichtenfels und Eisenach lediglich das Binnenaufkommen zwischen Coburg und Hildburghausen zu Grunde gelegt; dort scheint für die Gutachter die Welt zu Ende zu sein. Das Gutachten ignoriert die Thü
  • Nicht berücksichtigt wird des Weiteren das Fahrgastpotenzial der Werrabahn, das durch einen vertakteten, zweistündlichen ICE-Halt in Coburg zu generieren ist, obwohl dies zentrale Aufgabe des Gutachtens war.
  • Auch zusätzliches Fahrgastaufkommen bleibt im Gutachten komplett außer Betracht. So fehlen Fahrgastzahlen aus Südwestthüringen, die sich auf Grund des direkten, kurzen Wegs in die Metropolregionen Nürnberg und München aufmachen. Nicht berücksichtigt werden auch die touristischen Potenziale der

PRO BAHN Coburg/Südthüringen hat das beschriebene, nicht berücksichtigte Potenzial ermittelt und kommt bei Anwendung der im Gutachten verwendeten Parameter auf ein Potenzial von 2.500 bis 2.800 Fahrgästen pro Tag, also einen Wert, der weit über der Wirtschaftlichkeitsgrenze von 500 Fahrgästen pro Tag liegt. Im Gutachten wird wegen der eingeschränkten Betrachtungsweise nur von einem Potenzial in der Größenordnung von 700 bis 800 Fahrgästen gesprochen.

Die Gutachter haben überdies die Kosten nach oben gerechnet. So wurde bei der Variante II (ehemalige Werrabahn durch das Lautertal) eine Umfahrung von vier Häusern für geschätzte 10 bis 15 Mio. € vorgesehen. Zusätzlich wurde zum Wert der auf der Trasse befindlichen Häuser (netto ca. 1,2 Mio. €) noch die Umsatzsteuer in Höhe von 19% hinein gerechnet. Für die Kostenschätzungen werden die Preise der Deutschen Bahn AG zu Grunde gelegt, ohne diesen zumindest die weit geringeren Kosten gegenüber zu stellen, die private Eisenbahninfrastrukturbetreiber zahlen.

Leider werden die Ergebnisse des Gutachtens in der politischen Diskussion zum Anlass genommen, jegliche Infrastrukturverbesserungen zwischen dem westlichen Oberfranken und Südthüringen konsequent abzulehnen und mit vagen Versprechungen eines Fernverkehrshaltes in Coburg ohne Wiederherstellung der Werrabahn zu argumentieren. Mit Verweis auf das Gutachten hat sich der gemeinsame ÖPNV-Ausschuss von Stadt und Landkreis Coburg mehrheitlich gegen eine Reaktivierung der Werrabahn und alle anderen Lückenschlussvarianten ausgesprochen. Für die Reaktivierung der Werrabahn gestimmt haben nur die drei Kreis- und Stadträte von den Grünen und der FDP. Um 2017 ein genügend großes Fahrgastpotenzial für einen ICE-Halt in der 38.000 Einwohner-Stadt Coburg zu generieren, hat der ÖPNV-Ausschuss den Bau von Parkplätzen und Verbesserungen der schlechten Busverbindungen nach Hildburghausen beschlossen. Solche als geeigneter angesehenen Maßnahmen - die günstigste Fahrzeit mit dem Bus beträgt eine Stunde, während es ein Regionalexpress in der Hälfte der Zeit schaffen würde - finden auch die Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr, das somit die Stadt und den Landkreis Coburg in ihrer Untätigkeit sogar noch bestärkt.

Einen Tag, bevor der Coburger Stadtrat sich dem Beschlussvorschlag des ÖPNV-Ausschusses anschließen konnte, wurde bekannt, dass die Reaktivierung der Werrabahn in den Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Thüringen aufgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund wurde der Stadtratsbeschluss, die Werrabahn zu "beerdigen", vertagt. In der Konsequenz hat der Coburger Oberbürgermeister vorgeschlagen, abzuwarten, was die Thüringer erreichen.

In einer Sitzung des Coburger Kreistages wurde beschlossen, eine Reaktivierung der Werrabahn auf ihrer Trasse durch das Lautertal mit der Begründung abzulehnen, dass dort Häuser stehen. Der Landrat des Landkreises Coburg hat sich gegenüber der Presse so geäußert, dass die Häuser auf der Bahntrasse - im Gegensatz zu Aussagen in der Öffentlichkeit (gemeint ist PRO BAHN) - dort völlig rechtmäßig stehen. Nach einem Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes, das PRO BAHN vorliegt, ist die Trasse jedoch niemals entwidmet worden und damit rechtlich eine Eisenbahntrasse, die nach dem Baugesetz der Planungshoheit der Kommune entzogen ist. Jegliches Bauvorhaben auf einer gewidmeten Bahntrasse hätte nur unter Einbeziehung der Aufsichtsbehörde genehmigt werden können. Zurzeit versucht der Bürgermeister der Gemeinde Lautertal, weitere Fakten zu schaffen - wie es die Gemeinde seit dem Abbau der Gleise 1976 immer wieder getan hat -, indem ein weiterer Bebauungsplan quer über die Trasse beschlossen werden soll.

Derzeit gibt es in Coburg starke Bemühungen, eine Bahnlinie von Coburg über Bad Rodach nach Hildburghausen durchzusetzen. Die Trasse über Bad Rodach soll nach den Vorstellungen der Befürworter keinen Güterverkehr aufnehmen, da dieser die Kurstadt stört. Um die Stadt Bad Rodach möglichst wenig zu stören, soll die Trasse an Bad Rodach vorbeigeführt werden. Der Bahnhof liegt nach diesen Vorstellungen außerhalb der Stadt und muss mit Bussen angebunden werden. Damit ist ein Teil des Fahrgastpotentials aus der Stadt Bad Rodach für die Werrabahn gefährdet. Diese Trasse kostet laut Gutachten alleine zwischen Bad Rodach und Hildburghausen 186,2 Mio. € und damit das Doppelte bis Dreifache einer Reaktivierung der Werrabahn durch das Lautertal. Nicht mit hinein gerechnet hat der Gutachter die Ertüchtigung der Bestandsstrecke von Bad Rodach nach Coburg, die nach dem Kostensatz der Gutachter ca. 100 Mio. € zusätzlich kostet. Das ist aus Sicht von PRO BAHN unverzichtbar, um eine für einen integralen Taktknoten kompatible Fahrzeit zu erreichen und um die Strecke güterverkehrstauglich zu machen. Die lokalen Interessen und Befindlichkeiten der Kommunalpolitik haben die ernsthafte Vorstellung entstehen lassen, dass die öffentliche Hand 286 Mio. € ausgibt, obwohl eine bessere Alternative im Lautertal schneller und leichter auf einer gewidmeten Trasse gebaut werden kann, die zudem nur rund 60 bis 70 Mio. € kosten würde.

Die Frage der Reaktivierung der Werrabahn zeigt, mit welch vielschichtigen, undurchsichtigen und sachfremden Interessenslagen in der Kommunalpolitik und der kommunalen Verwaltung hantiert wird. Es ist allerhöchste Eisenbahn, nach rein fachlichen und wirtschaftlichen Kriterien und mit Vernunft gesteuert zu entscheiden. PRO BAHN betrachtet die Vorkommnisse rund um die zu lösende Sachfrage "Werrabahn" bzw. Lückenschluss Coburg - Südthüringen als dramatisch, vor allem, wenn man sich verdeutlicht, welche Bedeutung ein zweistündlicher ICE-Halt für die Stadt Coburg, die gesamte Region Südthüringen und das westliche Oberfranken hat, wenn 2017 der derzeitige ICE-Halt in Lichtenfels wegfällt. Eine Beschlusslage in Form einer "Nulllösung" - also infrastrukturell gar nichts zu tun -, auf die es derzeit hinausläuft, wäre für den gesamten Verkehrsraum eine noch Jahrzehnte nachwirkende falsche Weichenstellung.

zur Übersicht