Mehr Fahrten und durchgehende Verbindungen sollen neue Zielgruppen erschließen – Wichtiger Fortschritt, aber nur ein Teil zur Lösung von Mobilitätseinschränkungen in der „Region Odenwald“
Alle Jahre wieder kommt mit der nahenden Weihnacht auch der Fahrplanwechsel. Neben den üblichen Fahrpreiserhöhungen beschert er in diesem Jahr auch Erfreuliches. Besonders glücklich schätzen können sich in diesem Jahr die Kommunen entlang der Bundesstraße 47 im Odenwald. PRO BAHN begrüßt die nahenden Änderungen im Busangebot des Linienbündels „Odenwald Nord“, die mit dem kommenden Sonntag (11.12.2016) in Kraft treten.
Insbesondere das neue Angebot auf der Linie 665 soll durch Angebotsausweitungen neue Zielgruppen erschließen. „Angebotsorientierte Maßnahmen vor Ort sind der richtige Weg, um neue Fahrgäste zu gewinnen“, findet PRO BAHN und meint damit zum einen die Systematisierung des Fahrplans zwischen Bensheim und Lindenfels auf einen tagesdurchgängigen Halbstunden-Takt von 8 bis 20 Uhr und das Auffüllen von großen Taktlücken zwischen Lindenfels und Reichelsheim zu einem weitgehend stündlichen Fahrtenrhythmus. Beides macht das Angebot gerade für Neukunden übersichtlicher und flexibler – „ein Quantensprung für die Region“. Besonders begrüßt PRO BAHN die Renovierung einer durchgehenden Verbindung von Bensheim bis Michelstadt und Erbach am Wochenende, womit ein Ziel aus dem Regionalen Entwicklungskonzept Odenwald [1] verwirklicht wird.
Rückblick
Bereits im Jahr 2013 machte PRO BAHN auf die schlechten kreisübergreifenden Busverbindungen im Odenwald öffentlich aufmerksam [2] und engagierte sich in den darauffolgenden Jahren neben weiteren Akteuren in verschiedenen Gremien maßgeblich dafür, die missliche Situation zu verbessern. Dennoch wurde der Fahrgastverband bedauerlicherweise nicht über den Vorführungstermin am 29.11.2016 in Reichenbach informiert.
„Nichtsdestotrotz zählt im Ergebnis der Fahrgastnutzen – auch wenn wir uns in Zukunft natürlich wünschen würden, stärker in solche Termine einbezogen zu werden“, so PRO BAHN Vorstand und Mitglied in der Verkehrskommission des Kreises Bergstraße Peter Castellanos.
Aktives Marketing gefragt
Der Halbstundentakt zwischen Bensheim und Lindenfels und die Durchbindung über Reichelsheim hinaus nach Michelstadt und Erbach nimmt eine gewisse Vorbildfunktion für vergleichbare Regionen ein“, findet Castellanos. „Allerdings müssen jetzt entscheidende Schritte eingeleitet werden, damit das Angebot auch bei potenziellen Neukunden ankommt und es nicht zu Enttäuschungen in der Praxis kommt“.
Die Sorge, dass die eingesetzten Fahrradträger für die Sommersaison möglicherweise zu klein sind, ist durchaus berechtigt, wie die durchschlagenden Erfolge aus anderen Regionen mit Fahrradbussen zeigen. Regelmäßige Überfüllungen können dazu führen, dass viele Radler nicht mitgenommen werden. Außerdem besteht die Befürchtung, die eingesetzten Fahrradträger seien möglicherweise im Alltagsbetrieb zu unhandlich zu bedienen, was sich schlimmstenfalls in Verspätungen niederschlagen könnte, fasst PRO BAHN erste Einschätzungen von einigen Busfahrern zusammen.
Zudem reicht es nicht, das neue Angebot nur bei den direkten Anliegern der Linie über die üblichen Postwurfsendungen bekannt zu machen. In Form von Taschenfahrplänen und Hinweisen in Prospekten muss darüber hinaus eine aktive Vermarktung der Verbindung stattfinden, um die Leute auf die Region aufmerksam zu machen (sogenanntes „Routebranding“).
Die Gastronomiebetriebe und Kommunen entlang der Strecke sind auch gefragt, um mehr Menschen ohne Pkw oder kleine Gruppen, die gerne mit dem ÖPNV anreisen, aus den Großstädten in die Region zu locken. Dazu sollte Werbung für die neuen Mobilitätsmöglichkeiten auf den jeweiligen Websites und Prospekten stattfinden. Hier sind Verkehrsunternehmen und Politik gefragt, Kooperationen aufzubauen bzw. in den eigenen Verwaltungen tätig zu werden, um die neue Verbindung in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.
Wer profitiert?
Insbesondere Jugendliche und andere ÖPNV-Stammkunden dürfen sich über die ausgeweiteten Betriebszeiten bis spät in die Nacht freuen, womit eine langjährige Forderung von PRO BAHN erfüllt wird. Die Sorge um die Heimfahrt nach abendlichen Aktivitäten in den Städten gehört so der Vergangenheit an. Menschen ohne Pkw haben durch die stündlichen Verbindungen zwischen Reichelsheim und Bensheim neue kreisübergreifende Möglichkeiten bei der Aktivitäten- und Zielwahl: Beispielsweise wird ein Besuch der Weihnachtsmärkte, des Events „Felsenmeer in Flammen“, des Erbacher Wiesenmarktes und Bensheimer Winzerfestes für Bewohner beiderseits der Kreisgrenze einfacher denn je – mit Blick auf Parkplatzsuchprobleme bei solchen Veranstaltungen auch eine Option für eingefleischte Pkw-Nutzer.
Vor allem unterstützt das neue Angebot aber die gesellschaftliche Teilhabe sozial schwächerer Gruppen und zeigt durch die finanziellen Investitionen, dass dem Kreis Bergstraße und dem Odenwaldkreis Inklusion jenseits von größeren Städten ein wichtiges Thema ist.
Wenn man auf die aktuelle Ölpreisentwicklung und die hohen Kosten für Elektroautos schaut, lässt sich vermuten, dass Autofahren in Zukunft teurer, für manche gar unbezahlbar werden wird. Mit der jetzigen Verbesserung des ÖPNV kann man daher durchaus von „einem großen Gewinn für die Mobilität der Region“ sprechen, „das Ende der Fahnenstange ist aber dennoch lange nicht erreicht“, möchte PRO BAHN anfügen.
„Starke Verbindungen für eine starke Region“
Denn weiter südlich der neuen verbesserten Ost-West-Verbindung klaffen weiterhin Netzlücken, die mittelfristig nicht zur Behebung vorgesehen sind. Es ist z.B. nicht möglich, in zumutbarem Zeitaufwand und Komfort mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Wald-Michelbach nach Beerfelden, Erbach und Michelstadt zu gelangen. Auch ist die Fahrt von Fürth und den Orten im Ulfenbach- und oberen Weschnitztal in die Mittelzentren des Odenwaldkreises eine zeitaufreibende und umständliche Angelegenheit. Hier müssen dringend in den bald neu fortzuschreibenden Nahverkehrsplänen des Kreises Bergstraße und Odenwaldkreises jeweils entsprechende Anforderungen formuliert werden.
„Starke Verbindungen für eine starke Region“
„Starke Verbindungen für eine starke Region“ fordert PRO BAHN in diesem Zusammenhang „und attraktive Bedienungsstandards zwischen den Zentren für mehr kreisgrenzen unabhängige Mobilität“. Diese hat die im Tourismusmarketing gerne beworbene ‘Region Odenwald‘ verdient. Leider spiegelt das aktuelle Nahverkehrsnetz diese Zusammengehörigkeit (noch) nicht wieder, was die noch übrigen schlechten oder gar fehlenden kreisüberschreitenden Busverbindungen offenbaren [3].
„Die Menschen interessieren sich nicht für organisatorischen Befindlichkeiten von Landkreisen oder Verkehrsverbünden, sondern wollen ihre Ziele im jeweiligen regionalen Umkreis möglichst einfach aufsuchen können. Auch in ländlicheren Regionen ist es wirtschaftlicher Unfug, gut ausgebaute Buslinien mitten im Wald enden zu lassen, anstatt sie ins nächste Zentrum auf der anderen Seite der Kreisgrenze zu verlängern“ konstatiert Castellanos abschließend mit Verweis auf die derzeit in Grasellenbach bzw. Hiltersklingen endenden Buslinien. „Das ist so, als würde man das Vieh kurz vor dem Futtertrog verhungern lassen“.
Ausblick
Die Neuerungen im nördlichen Odenwald demonstrieren eine hervorragende interkommunale Zusammenarbeit und stellen einen erfreulichen großen Schritt in die richtige Richtung dar. Wenn weitere folgen, kann PRO BAHN den lokalen Aufgabenträgern das Prädikat „Zukunftsfähiger ÖPNV“ ausstellen. Bis dahin muss aber unbedingt die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Landkreisen, mit PRO BAHN und die gegenseitige Information verbessert werden, um Kundenwünsche aktiv angehen zu können.
„Licht im Dunkel“ sieht PRO BAHN aber mit Blick auf den im kommenden Jahr nahenden Fahrgastbeirat als gemeinsame Kommunikationsbasis.
Quellen / Weitere Informationen
[1] Regionales Entwicklungskonzept Odenwald 2014 – 2020
[2] Pressemitteilung von PRO BAHN zur Verbesserung kreisübergreifender Busverbindungen (29.9.2013)
[3] Zukunft Mobilität im Kreis Bergstraße – Bensheim (Folien 91 ff) (14.5.2016)
[4] PRO BAHN-Konzept zur Optimierung des Nahverkehrs zwischen Bergstraße, Gersprenz, Mümling und Main >> ERLÄUTERUNGEN & LINIENNETZGRAFIK, Fahrplan 665/30, Fahrplan 693