Filzenexpress aktuell

Neue Chancen für die Altstadtbahn!

Bericht in der PRO BAHN Post vom Juli 2013

Die Bahnstrecke von Reitmehring in die Wasserburger Altstadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nun steht - wenn hoffentlich alle rechtlichen und finanziellen Hürden genommen sind - das nächste Kapitel an: Die Übernahme durch ein Firmenkonsortium und ihre Instandsetzung.

Vorgeschichte und Stadtratsbeschluss vom Juli 2011

Die Stadt Wasserburg ist seit März 2004 Streckenbetreiberin im Sinne des Eisenbahnrechts für die - seit dem Dammrutsch im März 1987 nicht mehr befahrbare - Bahnstrecke von Reitmehring (ab Bahnübergang der B304) bis zum Wasserburger Altstadtbahnhof. Nachdem ein Gutachten die Reaktivierungskosten für die Srecke auf 11,1 Mio. EUR bezifferte, beschloss der Wasserburger Stadtrat im Juli 2011, die Altstadtbahn aufzugeben und beantragte im Dezember 2011 bei der Regierung von Oberbayern, die Grundstücke der Altstadtbahn "von Bahnbetriebszwecken freizustellen", also zu entwidmen. Dann wäre die Altstadtbahn keine Eisenbahn im rechtlichen Sinne mehr und unwiederbringlich verloren gewesen!

Um dies zu verhindern bestellten engagierte Wasserburger Bürger und PRO BAHN über die Deutsche Museumseisenbahn Sonderzüge in die Altstadt, denn die Stadt wäre rechtlich verpflichtet gewesen, die Strecke in betriebsfähigem Zustand zu erhalten. Nachdem die Altstadtbahn daraufhin nicht mehr durch die Regierung von Oberbayern entwidmet werden konnte, beantragte die Stadt Wasserburg im Dezember 2011 hilfsweise die Stilllegung.

Die Genehmigung der Stilllegung setzt jedoch voraus, dass der Weiterbetrieb der Strecke unzumutbar ist und sich kein anderes Infrastrukturunternehmen findet, dass sie nutzen möchte. Und siehe da, zwei Bewerber haben ihr Interesse angemeldet: Hinter einem der Bewerber steht ein Konsortium aus den drei Eisenbahnunternehmen Bayernbahn (Nördlingen), Rhein-Sieg-Eisenbahn (Bonn) und Innrail (Nußdorf am Inn) sowie PRO BAHN. Dieses Konsortium hat sich im März 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt und im April eine Streckenbegehung durchgeführt (siehe PRO BAHN-Post vom Mai 2013), bei der sich Politiker, Streckengegner und -befürworter ein Bild vom Ist-Zustand der Strecke sowie von den zur Reaktivierung erforderlichen Arbeiten machen konnten.

Der Ist-Zustand der Strecke

Auf den ersten Blick erscheint die 4,4 km lange Strecke nicht mehr wiederherstellbar. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die einzelnen Abschnitte ganz unterschiedlich "in Schuss" sind:

Die ersten 0,5 km sind in Betrieb. Im Werksgelände der Fa. Meggle muss der bestehende Bahnübergang wieder instand gesetzt werden. Die Kosten hierfür trägt gemäß einer Vereinbarung aus dem Jahr 1999 die Fa. Meggle. Den unbefugten Zutritt zum Werksgelände verhindern dann z.B. Zäune längs der Eisenbahn, der bisherige Zaun quer zu den Schienen muss zurückgebaut werden. Der zurückgebaute Bahnübergang über die Megglestraße muss wieder errichtet werden.

Die knapp einen Kilometer lange Gerade bis zum ehemaligen Gaberseer Schwimmbad ist in einem guten Zustand. Hier muss das Gleis lediglich von Bewuchs freigeschnitten und mittels Stopfmaschine durchgearbeitet werden, um es wieder befahrbar zu machen. Im Bereich der Schmidwiese stört ein Entwässerungsgraben die Statik des Gleisunterbaus. Hier ist zu prüfen, wer für diesen nicht ordnungsgemäßen Eingriff in die - rechtlich bestehende! - Bahnstrecke verantwortlich ist. Im darauf folgenden Abschnitt bis zum Dammrutsch muss zusätzlich noch der Schotter gesäubert und ergänzt sowie 260 Holzschwellen erneuert werden.

Der abgerutschte Damm muss erneuert werden, wobei das Auffüllmaterial vorzugsweise über die Schiene angeliefert werden soll. Im Abschnitt vom Dammrutsch bis zum Innstauwerk ist eine umfassende Sanierung des Oberbaus erforderlich, wobei Schienen, Schwellen und Schotter aber weiter verwendet werden können. Vom Innstauwerk bis zum Tunnel sind die Gleise fein säuberlich mit Planen und Kies abgedeckt, wenngleich sie auf gut 200 m Länge als Folge des Jahrhunderthochwassers 2005 fehlen.

Der Altstadtbahnhof kann auch nach der Errichtung des Busbahnhofes wieder errichtet werden. Bei der Planung des Busbahnhofs wurden ja bereits Gleis und Bahnsteig für die Altstadtbahn berücksichtigt.

Auch die Entwässerungsbauwerke und Stützmauern entlang der Strecke sind nach 26 Jahren ohne Wartung noch in einem recht guten Zustand.

Was kostet die Wiederherstellung?

Nachdem doch einiges an der Strecke zu sanieren ist, stellt sich natürlich sofort die Frage nach den Kosten. Hier sind in der Vergangenheit immer wieder drei Zahlen aufgetaucht, die scheinbar gar nicht zusammenpassen. Diese drei Zahlen entsprechen aber drei verschiedenen Sanierungsoptionen und müssen dementsprechend differenziert betrachtet werden:

  • 1,5 Mio. EUR für das Befahrbar-Machen der Strecke

    Diese Summe nennt das Konsortium als Obergrenze dafür, die Strecke zunächst einmal wieder durchgängig befahrbar zu machen. Der Dammrutsch alleine macht schon knapp die Hälfte dieser Summe aus. Bei dieser Variante wird das vorhandene Gleis, das überwiegend Stahlschwellen aufweist, weiter verwendet. Die Bahnübergänge müssen in einen verkehrssicheren Zustand gebracht und in der Altstadt ein einfacher Bahnsteig errichtet werden.

    In der Summe nicht enthalten sind Leistungen, zu denen sich Dritte vertraglich verpflichtet haben. Das sind z.B. im Falle der zugeschütteten bzw. fehlenden Gleise am Inn der Kraftwerksverbund als Rechtsnachfolger von E.ON oder im Falle des Bahnübergangs in der Reitmehringer Molkerei die Fa. Meggle. Trotz der niedrigen Kosten steht am Ende der Sanierung wieder eine "richtige Eisenbahn", bei der es keine Abstriche an der Sicherheit gibt.

    Die Altstadtbahn würde zunächst nur von Sonderzügen genutzt werden. Genauso gut könnte sie aber auch von einzelnen regulären Zügen (München--Grafing--Ebersberg--Reitmehring) genutzt werden, die in einem Vorlaufbetrieb in die Altstadt hinein verlängert werden. Der Stadtbus als innerstädtische Erschließung bleibt davon unberührt. Die bloße Streckensanierung dient in erster Linie als Sicherungsmaßnahme, um eine unwiederbringliche Zerstörung der Strecke zu vermeiden.

  • 3,5 Mio. EUR für die ÖPNV-Ertüchtigung der Strecke:

    Damit könnte die Altstadtbahn nicht nur wiederhergestellt werden, sondern darüber hinaus auch noch für den ÖPNV ertüchtigt werden. Dazu braucht es barrierefreie Bahnsteige in Wasserburg Stadt und begleitende Maßnahmen an der Strecke selbst z.B. zum Schall- und Erschütterungsschutz.

    Mit dieser Option wären dann durchgehende Züge aus der Altstadt bis nach Grafing Bahnhof bzw. München relativ leicht möglich: Die normalen Filzenexpress-Züge könnten von Reitmehring aus verlängert werden, weil sie zukünftig ohnehin eine knappe halbe Stunde in Reitmehring stehen zwischen ihrer Ankunft aus Grafing und ihrer Rückfahrt dorthin. Grundsätzlich denkbar ist es aber auch, einzelne Verstärkerzüge umsteigefrei von Wasserburg Stadt bis nach Rosenheim durchzubinden.

    Der Stadtbus jedenfalls würde auch weiterhin die nicht an der Strecke liegenden Stadtteile bedienen. Allerdings muss dabei auf eine optimale Verknüpfung zwischen Bus und Bahn an beiden Bahnhöfen geachtet werden.

  • 11 Mio. EUR für den kompletten Rück- und Neubau gemäß Gutachten

    Das von der Stadt Wasserburg beauftragte Gutachten ermittelte einen Kostenaufwand von 11 Mio. EUR. Das ist aber bei näherem Hinsehen kein Wunder: Es sollte dabei einfach für teures Geld alles entfernt werden: Bäume, Gleise und Schotter (der sogenannte Oberbau), der gesamte Unterbau sowie alle Stützmauern und Durchlässe. Danach würde alles zu Neubaukosten wieder errichtet. Diese Option kann und will sich aber niemand leisten, weder die Stadt als Eigentümer noch das Konsortium als potentieller Pächter.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach all diesen komplizierten Sachverhalten drängt sich die Frage auf: "Und nun? Wie geht es weiter?" Die Verhandlungen zur Übernahme der Strecke zwischen der Stadt Wasserburg und dem Konsortium laufen gerade. Die Stadt als bisheriges Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen hat es bisher versäumt, ihrer Betriebspflicht nachzukommen: Sie hat die Strecke, die ja rechtlich noch immer in Betrieb ist, nicht betriebsfähig erhalten. Dieser Zustand währt nun auch schon auch schon fast eine Dekade. Sie hat weiterhin keine allgemein gültigen Nutzungsbedingungen für die Strecke aufgestellt, obwohl sogar Trassenbestellungen in die Altstadt hinein vorliegen. All diese Versäumnisse sind Ordnungswidrigkeiten im Sinne des Allgemeinen Eisenbahngesetzes.

Es wäre doch ein Schildbürgerstreich, ausgerechnet jetzt, da die von Reitmehring ausgehenden Bahnlinien nach Mühldorf, Rosenheim und München ausgebaut werden und massive Verbesserungen des Fahrplans anstehen, das letzte Stück des Filzenexpress in die Altstadt endgültig aufzugeben. Sollte sich die Stadt jedoch dazu entschließen, keinen eigenen finanziellen Beitrag zu leisten, wird das Konsortium die Strecke wohl trotzdem übernehmen, um sie zu retten. Allerdings wird es dann wohl Jahre dauern, bis die Sanierung durchgeführt werden kann. Gegebenenfalls muss in diesem Fall juristisch geklärt werden, welche finanziellen Folgen die eisenbahnrechtlichen Versäumnisse des bisherigen Infrastrukturbetreibers, also der Stadt, haben. Auch eine ruhende Beschwerde bei der Bundesnetzagentur über die bestellten, aber nicht gewährten Trassen für Sonderzüge käme auf die Stadt zu. Das will wirklich keiner.

Durch eine gütliche Einigung mit dem Konsortium könnte die Stadt auf elegante - und auch kostengünstige - Art ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen. Und sich ganz nebenbei eine umweltfreundliche Verkehrsachse für die Zukunft sichern, deren Bedeutung durch die zunehmende Energieknappheit wachsen wird.

Text: Rainer Kurzmeier für die PRO BAHN Post

Eine Langversion dieses Artikels mit zusätzlichen Hintergrundinformationen gibt es unter perspektive.pdf

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