Filzenexpress: Dokumentation

Wert und Wirkung eines Gutachtens

Ein Bericht aus der PRO BAHN Post Nr. 309 (Dezember 2012) von Bernd Meerstein und Norbert Moy:

"Was weg is, is weg": Dies gilt besonders für Eisenbahnstrecken, die ihren Bahnverkehr verloren haben, stillgelegt und entwidmet sind. Deshalb ist nicht akzeptabel, dass der Schienenzugang zu Wasserburger Altstadt als einzige Alternative zur überlasteten Straße gerade jetzt "ohne Not hergeschenkt" werden soll. Schließlich erfährt der Schienenpersonennahverkehr rund um Wasserburg im Moment einen bisher nie gedachten Aufschwung: es werden die Strecken nach Ebersberg bzw. München, nach Mühldorf und Rosenheim ertüchtigt, Stundentakt und längere Betriebszeiten von frühmorgens bis spätabends werden Ende 2013 eingeführt und in Rosenheim bald ein neuer Haltepunkt an der Hochschule eröffnet. Umso wichtiger ist es, dass der neue, verbesserte Filzenexpress bis in die Wasserburger Altstadt fährt. Dazu ist natürlich ein intaktes Gleis notwendig. Immerhin konnte erreicht werden, dass die zuständige Aufsichtsbehörde klargestellt hat: Die Strecke ist rechtlich in Betrieb! Sie wurde bis jetzt nie stillgelegt.

Um die weiteren Perspektiven für die Wasserburger Stadtstrecke darzustellen, hatte PRO BAHN am 29.10.2012 eine gut besuchte Informationsveranstaltung durchgeführt. Ein Artikel zur Veranstaltung ist in der lokalen Presse nachzulesen.

Ein großer Teil der Veranstaltung befasste sich mit dem Gutachten, auf das sich viele Stadträte bei ihrer Entscheidung für die Stilllegung der Strecke bezogen. Vor allem betrifft das die Zahl 0,21, die das Verhältnis von volkswirtschaftlichen Nutzen zu Kosten der Wasserburger Altstadtbahn beschreibt. Ist den Stadträten ihre Entscheidung gegen die Bahn zu verdenken, wenn man sich vorher professionelle Entscheidungshilfen für viel Geld einkauft?

Vom Grundsatz her ist das Gutachten der Stadt Wasserburg ohnehin eine Themaverfehlung. Denn bei der Wasserburger Stadtbahn handelt es sich weder um einen Neubau noch um eine Streckenreaktivierung, für deren Beurteilung ein sogenannter NKU-Wert ermittelt werden müsste. Es geht aber nur um die Wiederherstellung der Befahrbarkeit einer nie stillgelegten Bahn. Für das Infrastrukturunternehmen Stadt Wasserburg wäre hier nur von Interesse gewesen, wie sich aus Investition, laufenden Infrastrukturkosten und den zu erwartenden Trassenentgelten ein tragfähiges Geschäftsmodell bilden lässt. Doch dazu schweigt das Gutachten, es betrachtet die Strecke aus Sicht eines Aufgabenträgers, der den volkswirtschaftlichen Sinn einer neuen Strecke beurteilen will.

Wenn man das 106 Seiten starke Werk mal von hinten, also vom Endergebnis her liest, dann kommen aber doch Fragen auf. Zunächst bei den Kosten. Für den laufenden Betrieb werden pro Jahr 389.000 Euro angesetzt, der größte Brocken sind die Energiekosten für den Bahnbetrieb mit 213.000 Euro. Doch nachgerechnet ergeben sich beim Stundentakt mit einem VT628 nur Kosten in der Höhe von 73.000 Euro. Auch die laufenden Kosten für den Streckenunterhalt haben ein merkwürdiges Wachstum hinter sich. Hatte die DB Netz in der Ausschreibung im Jahr 2002 nur 20.000 Euro angesetzt, sind sie im Gutachten um 600% auf 140.000 Euro angewachsen. Realistischer dürfte der von der Daadetalbahn bekannte Beispielwert von umgerechnet 68.000 Euro sein. Ähnliches gilt für die Wiederherstellkosten: Laut DB kostet die Wiederbefahrbarkeit 1,1 Mio Euro, das Gutachten sieht aber eine Luxussanierung für 9,3 Mio Euro vor.

Bei der Ermittlung des Nutzens könnte man sicher viel über die Fahrgastprognosen diskutieren. Um dieser Debatte zu entgehen, nehmen wir das pessimistische Szenario der Gutachter an: 400 Fahrten pro Tag im Ist-Zustand, dazu wird durch die Angebotsverbesserungen ein Mehrverkehr von maximal 75% erwartet. Der monetäre Nutzen liegt zum einen im Zeitgewinn der Fahrgäste, zum anderen in der Einsparung von Pkw-Kilometern der Umsteiger auf die Schiene. Hier zeigt sich nun der fatalste Fehler des Gutachtens: Das Gutachten tut so, als würden die neuen Kunden die Bahn nur auf den 4,4 km der Altstadtbahn benutzen und zur Weiterfahrt ab Reitmehring wieder in das Auto einsteigen. Nimmt man die durchschnittliche Reiseweite der ÖV-Kunden im Münchner Umland von 18 km an, so kommt man zu einem völlig anderen Ergebnis. Korrigiert man diesen Fehler und nimmt man reale Kosten an, ergibt sich mühelos und plausibel ein positiver NKU-Wert von 2.23 für die Wasserburger Stadtbahn.

Es stellen sich einige grundsätzliche Fragen: Macht es Sinn, mit dieser Methode kurze Streckenabschnitte isoliert zu betrachten? Ist das Kriterium "1000 Fahrgäste" anwendbar auf die letzten Kilometer einer Strecke und ist das angewandte Verfahren hierfür überhaupt geeignet? Welche existierende Zweigstrecke hat heute unmittelbar vor der Endstation das geforderte Fahrgastaufkommen? Und wie kommen die fehlerhaften Kosten zustande?

Fakt ist, dass das Urteil des Gutachtens fatale Wirkungen über Wasserburg hinaus zeigt: Auch im Bayerischen Wirtschaftsministerium hat es die Meinung zur Stadtstrecke negativ geprägt. Ein politischer Flurschaden, der genauso wie der reale Dammrutsch erst einmal beseitigt werden muss, damit die Züge wieder nach Wasserburg Stadt fahren können.

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