Filzenexpress: Dokumentation

Bahn nach Wasserburg: Torso ohne Kopf

Ein Kurzbericht aus der PRO BAHN Post Nr. 294 (September 2011) von Norbert Moy:

24 Jahre nach der "vorübergehenden" technischen Stilllegung der Strecke Wasserburg Bahnhof - Wasserburg Stadt will nun der Wasserburger Stadtrat einen Schlussstrich unter die 109-jährige Geschichte der 4 km langen Strecke ziehen: Die Stadt - seit einigen Jahren Eigentümer und Infrastrukturbetreiber - beschloss Ende Juli mit 18 zu 7 Stimmen die Strecke zu entwidmen. Die Entscheidung des Stadtrats fand vor dem Hintergrund eines Gutachtens statt, das die Stadt im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte: Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass nur wenige Fahrgäste die Stadtstrecke nutzen würden, die Kosten für die Wiederherstellung dagegen viel zu hoch seien. Das lustlose bis merkwürdige Gutachten allerdings stieß nicht nur bei den Bahnfreunden auf Kritik (die PRO BAHN-Post berichtete).

Einige Stadträte bemühten sich in der Presse zu dementieren, ihre Entscheidung sei vom Wunsch des größten Gewerbesteuerzahlers, der Firma Meggle, beeinflusst worden. Das Firmengelände der Großmolkerei erstreckt sich auf beiden Seiten der Bahn. Die Bahntrasse ist Meggle deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Offiziell geht es der Firma seit der vorübergehenden Stillegung nur um "Planungssicherheit".

Der Kampf um den "Filzenexpress", die Bahnstrecke Ebersberg-Wasserburg, reicht in die 1980-er Jahre zurück. Mit vielen Aktionen konnte PRO BAHN die noch von der Bundesbahn geplante und seitdem drohende Stilllegung der Strecke Ebersberg-Reitmehring verhindern. Ziel von PRO BAHN war jedoch immer die Modernisierung der vollständigen Strecke bis Wasserburg Stadt zum Nutzen der Fahrgäste. Um die Sinnhaftigkeit zu erkennen, genügt ein Blick auf die Landkarte: Die Strecke endet kurz vor ihrem größten Fahrgastpotential und ohne die letzten 4 km ist sie nur ein Torso. Mehr noch, die historische Innenstadt erstickt im Autoverkehr, Touristen scheuen das Umsteigen in einen lokalen Bus. Doch ein 60.000 Euro teures schlaues Gutachten brachte den gewünschten Persilschein, um das Ende der Strecke zu beschließen.

Die längst vom Freistaat Bayern in die Wege geleiteten Ausbaumaßnahmen, etwa der Kreuzungsbahnhof Steinhöring, und der vom Freistaat bestellte Stundentakt spielten da keine Rolle. Auch nach mehr als 20 Jahren Schienenersatzverkehr ist es der Stadt nicht gelungen, eine attraktive Busanbindung an den jetzigen Endpunkt in Reitmehring (seit einigen Jahre schönfärberisch "Wasserburg Bahnhof") zu schaffen. Der zeitliche Aufwand für Fahrgäste Richtung München beträgt bis zu 25 Minuten für die ersten 4 km! Mit der endgültigen Stilllegung werden die Stadträte vielleicht ein lästiges Dauerthema der Tagesordnung los, die Verkehrsprobleme der Stadt lösen sie so sicher nicht.

Auffällig ist, dass Wasserburg in den letzten Jahren, insbesondere nach dem viel zu frühen Tod des Mentors der Stadtstrecke, Stadtrat Ludwig Scheidacher, politisch nichts mehr für seine Bahn unternommen hat. Während anderswo die Politik alles an Abgeordneten und Landräten mobilisiert, um Druck auf Aufgabenträger und Zuschussgeber auszuüben, war in Wasserburg Funkstille. Als PRO BAHN den Bürgermeister im Mai 2009 in einem Brief darüber informierte, dass der Freistaat neuerdings bereit ist, bei Reaktivierungen unter bestimmten Voraussetzungen Zugleistungen zu bestellen und so laufende Einnahmen für die Infrastruktur zu garantieren, war das dem Bürgermeister nicht mal eine höfliche Eingangsbestätigung wert. Enttäuschend für ehrenamtlich aktive Bürger, die seiner Stadt die Schienenanbindung gerettet haben. Kenner der Situation hatten einen kurzen Draht zwischen Meggle, der IHK und dem früheren Verkehrsminister Wiesheu ausgemacht, dessen Ministerium auch immer gewaltig Stimmung gegen die Stadtstrecke machte. Spötter meinen, dass nicht nur die Architektur der Stadt Wasserburg südländisch geprägt ist.

Es ginge auch anders. Das hat jüngst die Ilztalbahn bewiesen: Ein vergleichbarer Dammrutsch wurde dort für den Bruchteil der in Wasserburg behaupteten Summe repariert. Eine Gruppe von Bahnfreunden in Wasserburg hat daher das Ziel der Reaktivierung der Stadtstrecke noch nicht aufgegeben und will für die Wiederherstellung der Infrastruktur kämpfen. PRO BAHN unterstützt diese Aktivitäten. Dieser Kampf kann sich noch lange hinziehen. So lange hat die Firma Meggle auch nicht die gewünschte Planungssicherheit. Auch dies ist dem Stadtrat mit 18 zu 7 Stimmen entgangen.

Ob doch noch die Vernunft siegen und eine fahrgastfreundliche Lösung gefunden wird? Wir bleiben am Ball und werden weiter berichten.

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