Diskussion um kostenlosen ÖPNV im Kreis Groß-Gerau ist sehr zu begrüßen, Angebotsmängel im Kreisgebiet sollten jedoch nicht außer Acht gelassen werden.

Bus und Bahn im RMV sind nicht gerade erschwinglich. Das wissen langjährige Pendler ebenso, wie jene potenzielle Kundschaft, die sich spätestens bei einem Preisvergleich von den Tarifen schnell abschrecken lässt. Wissenschaftlich festgestellt ist das hohe Preisniveau im RMV auch schon: 2015 hat eine Studie des Büros BPV-Consult im Auftrag des VCD eine Auswahl von deutschen Verkehrsverbünden hinsichtlich der Preise für eine Jahreskarte auf einer häufig vorkommenden Pendeldistanz untersucht. Dabei wurde der RMV mit Kosten von ca. 80€ pro Jahr je km als teuerster Verkehrsverbund identifiziert (Siehe untenstehende Grafik ganz rechts) [1].

Nun wagt die Kommunalpolitik des Kreises Groß-Gerau den Bann überteuerter Tarife zu durchbrechen, um der Preisspirale nach oben Einhalt zu gebieten. „Als Fahrgastverband begrüßen wir die Initiative von Rot-Grün-Rot für einen bezahlbaren ÖPNV im Kreis Groß-Gerau und ggf. darüber hinaus ausdrücklich“, hebt Peter Castellanos, Erster Vorsitzender des PRO BAHN Regionalverbands Starkenburg den Vorstoß hervor. „Ein bezahlbarer und gut ausgebauter ÖPNV gewährleistet nicht nur gesellschaftliche Teilhabe finanziell weniger gut gestellter Menschen, sondern ist für die Entwicklung der Region ein harter Standortfaktor, den es zu fördern gilt!“.

Ob gerade ein kostenloser ÖPNV für die Nahverkehrsprobleme im Kreis Groß-Gerau die optimale Lösung darstellt, möchte PRO BAHN jedoch offen lassen und weitere Untersuchungen empfehlen: Aus sozialen Gesichtspunkten ist das zwar eine sehr wünschenswerte Forderung, doch sollte man im Sinne einer nachhaltigen Finanzierung und anderer dringend notwendiger Angebotsausweitungen die Kosten im Auge behalten. Die angekündigte Prüfung durch den Kreisausschuss muss zeigen, ob ein Nulltarif eine sinnvolle Option ist, oder nicht eher zum Ziel führen würde, Finanzmittel zur Behebung bestehender Angebotsmängel einzusetzen:

  • Vor zwei Jahren haben sich VCD, Pro Bahn & Bus und PRO BAHN für bessere Busverbindungen ins pfälzische Nierstein über die Fähre Kornsand eingesetzt [2], um die Mobilität zwischen den Kreisen Groß-Gerau und dem Kreis Main-Bingen zu verbessern bzw. für Menschen ohne Pkw überhaupt zumutbar möglich zu machen. Seitdem hat sich leider nichts verbessert.
  • Kreisübergreifende Verbindungen von Gernsheim nach Groß-Rohrheim/Bensheim oder Hähnlein/Alsbach mit unzumutbaren Umstiegen und/oder Umwegfahrten sind unattraktiv.
  • Direktverbindungen aus dem Ried in das Oberzentrum Darmstadt sind zu selten. Hier sollte es auch außerhalb der Hauptverkehrszeit sowohl auf Straße als auch auf der Schiene Besseres geben als die zu langsamen Umsteigeverbindungen über Riedstadt-Goddelau und Griesheim.
  • Es gibt keine akzeptablen Tarifangebote in Richtung Metropolregion Rhein-Neckar. Die Bevölkerung und Wirtschaft erwartet hier bezahlbare Angebote, um auf einer gewöhnlichen Fahrt von Tür-zu-Tür nicht im Tarifchaos zu versinken.

Vor durchaus diskussionswerten Revolutionen im ÖPNV, sollte man zuerst diese gravierenden Mängel in den Griff bekommen, um Voraussetzungen für einen attraktiven ÖPNV im Kreis Groß-Gerau zu schaffen. Auch sollten erwartbare Nachfragesteigerungen und damit verbundene Kosten für Kapazitätsausweitungen und unerwünschte Verlagerungseffekte vom Fuß- und Radverkehr zum ÖPNV nicht unberücksichtigt bleiben“, gibt Castellanos zu bedenken und weist daraufhin, dass niedrigere Ticketpreise im Vergleich zu einem kostenlosen ÖPNV viel leichter und unschädlicher umsetzbar sind. Beispielsweise über die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen durch ein beitragsfinanziertes Bürgerticket. Oder anderweitig refinanzierte Konzepte, welche sich an Verkaufsmengen orientieren, wie das „Wiener Modell“ (Jahreskarte 365€ für Stadtgebiet Wien) oder das „Rhein-Neckar-Ticket“ des benachbarten Verkehrsverbundes Rhein-Neckar (Jahreskarte gesamtes VRN-Verbundgebiet für derzeit rund 1000€).

Mit dem gleichen Mitteleinsatz, den ein beitrags- oder steuerfinanzierter Nulltarif erfordert, könnte schon mit erheblichen Fahrpreisreduktionen unter gleichzeitiger Verbesserung des Fahrtenangebots ein sehr viel größerer Fahrgastnutzen gestiftet werden. Solche alternativen Fahrpreiskonzepte sind nur umsetzbar und sinnvoll, wenn zuvor das viel maßgeblichere zugrunde gelegte ÖPNV-Angebot eine glaubwürdige Alternative zum eigenen Pkw darstellt“, so Castellanos abschließend.


Quellen

[1] „ÖV-Beitrag – Sicherung der ÖPNV-Finanzierung in den Kommunen“, BPV-Consult im Auftrag des VCD, 2015

[2] „Der Rhein muss kein Hindernis sein“, Gemeinsame Pressemitteilung von Pro Bahn & Bus, PRO BAHN und VCD, 3.1.2016

[3] „Busfahren zum Nulltarif als Ziel“, Darmstädter Echo vom 30.11.2017