Fahrgastverband PRO BAHN: Pressemeldungen

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Pressemeldung vom 12.03.2010

Nordhessen-Verkehrsverbund diskriminiert Behinderte: Kriegserklärung an Nordrhein-Westfalen

Nordhessischer Verkehrsverbund bestätigt fehlenden Willen zur Zusammenarbeit mit Westfalen - Nordhessen-Ersatzkonzept für Intercity nicht akzeptabel

Der Fahrgastverband PRO BAHN ist verständnislos für die Haltung des Nordhessischen Verkehrsverbundes (NVV), der die Einfahrt direkter Regionalzüge aus Westfalen-Lippe zum ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe verweigert, die Ende 2010 wegfallende Intercity-Züge ersetzen sollen. Die Begründung für die in letzter Minute ausgesprochene Verweigerung gegen das westfälische Konzept durchgehender Züge lässt erkennen, dass der NVV und sein Aufsichtsrat - Landkreise und Stadt Kassel - Ziele auf dem Rücken der Fahrgäste durchsetzen will, die derzeit nicht erreichbar sind. Der NVV bestätigt einen "kriegsähnlichen Zustand" zwischen Westfalen und Nordhessen.

Verantwortlich für die Entwicklung sind die Verkehrsminister der Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, die 2002 Subventionen für ICE-Züge zwischen Düsseldorf und Erfurt spendiert haben. "Das hat sich als Flop erwiesen, erklärt der PRO BAHN-Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann. "Die Mittel hätten in den Aufbau eines zukunftsfähigen Regionalzugkonzept gesteckt werden müssen, Jetzt ist insbesondere Hessens Verkehrsminister Dieter Posch gefordert, die Folgen der damaligen Fehlentscheidung zu korrigieren. Posch hat selbst die damalige Fehlentscheidung mit getroffen. Wir fordern NRW-Verkehrsminister Lutz Lienenkämper zur Intervention auf."

"Das vom NVV verfolgte Ersatzkonzept, das dieser ohne Abstimmung mit den westfälischen Nachbarn durchsetzen will, ist eine unerträgliche Verschlechterung der Beförderungsqualität auf einer für Deutschland wichtigen Achse", erklärt Rainer Engel, Rechtsreferent des Fahrgastverbandes PRO BAHN. "Westfälische Fahrgäste sollen damit diskriminiert und Behinderte von der Mitfahrt ausgeschlossen werden. Auch die Fahrradmitnahme ist praktisch unmöglich. Aus eigener Kenntnis der Verhältnisse kann ich das beurteilen."

Das vom NVV verfolgte Ersatzkonzept sieht den Einsatz von wenigen zusätzlichen Pendelzügen mit alten Fahrzeugen als Zubringer bis zum ersten Bahnhof hinter der Landesgrenze Warburg vor. "Schon beim Einsteigen in diese Fahrzeuge muss man einen Spalt von einem halben Meter überwinden und dann vier Stufen hochklettern. Diese Fahrzeugtypen sind an Bahnsteigen, die für den ICE gebaut wurden, als unfallträchtig bekannt. Das aus Westfalen verfolgte Konzept sieht hingegen modernste Fahrzeuge mit absolut ebenerdigem, spaltfreiem Einstieg vor," erläutert Engel.

Außerdem muss an der Landesgrenze nach Westfalen umgestiegen und dabei der Bahnsteig gewechselt werden. "Die Treppe in Warburg gehört zu den steilsten im Bundesgebiet und entspricht nicht heutigen Normen," erklärt Engel. "Hier müssen künftig bis zu dreihundert Fahrgäste innerhalb weniger Minuten hinunter und wieder herauf. Es gibt zwar einen Aufzug, aber er ist so klein, dass schon der zweite Fahrgast, der ihn benutzt, den Anschluss nicht erreicht. Wer sein Fahrrad mitnimmt oder einen schweren Koffer zu tragen hat, droht im Gewimmel zu stürzen. Gehbehinderte können aus den hessischen Zug nur mühsam ein- oder aussteigen, Rollstuhlfahrer können das überhaupt nicht, und in Warburg gibt es keinerlei Service für Mobilitätsbehinderte. Wer hier einen Anschluss versäumt, findet im weit von der Stadt entfernten Bahnhof keinen Service und Aufenthaltsmöglichkeiten." Das westfälische Konzept sieht hingegen durchgehende Züge ohne Umsteigen bis zum ICE-Anschluss vor.

"Wenn der NVV geltend macht, dass die Zusammenarbeit mit Westfalen an Fahrplanproblemen im Vorortverkehr von Kassel gescheitert sei, so ist das fadenscheinig," so Engel. "Fahrplankonflikte löst letztlich DB-Netz und nicht der NVV. Die Strecke ist nicht so stark belegt, dass es keine Lösung gebe. Einen richtigen Taktfahrplan gibt es auf dieser Linie ohnehin bisher nicht."

"Der NVV macht keinen Hehl daraus, dass er Nordrhein-Westfalen unter Druck setzen will," wertet Engel die Begründung des NVV. "Damit soll von Fehlern der hessischen Landesregierung abgelenkt werden. Hessen hat alle Gelegenheiten versäumt, eine direkte Verbindung ins Ruhrgebiet einzufordern. Jetzt ist es zu spät."

"Wenn der NVV darauf verweist, dass für die Nordhessen eine Regionalbahn, die 160 km/h schnell fährt, zu langsam sei, dann müssen sich die Nordhessen entgegenhalten lassen, dass sie seit Jahren westfälischen Fahrgästen, die mit dem Sauerlandexpress nach Kassel fahren, Fahrzeitverlängerungen von 20 Minuten zumutet, weil der westfälische Express von Dorf zu Dorf und durch die Kasseler Kulturbahnhof fahren und Regiotrams ersetzen muss."

Weitere Informationen:

PRO BAHN Pressemitteilung vom 5. März 2010

zur Mitte-Deutschland-Verbindung:
derFahrgast 2003
derFahrgast 2006

zum Rückzug des Fernverkehrs der DB:
derFahrgast 2008

zur aktuellen Lage:
NWL-Info

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Rückfragen bitte an
Rainer Engel (Rechtsreferent),
Tel.: 0173 - 545 45 59, E-Mail: r.engel@pro-bahn.de
v.i.S.d.P.: Rainer Engel

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