PRO BAHN Zeitung 82

Rendite vom Netz?

Bewirtschaftung und Grundeigentum müssen getrennt werden

PRO BAHN Zeitung Nr. 82 (2/2000): Bahnreform gescheitert

Bahnchef Hartmut Mehdorn will die DB AG kapitalmarktfähig machen. Das heißt: Sie soll wirtschaftlich so gesund werden, dass das Unternehmen 10 Prozent Rendite abwirft. Kann das auch für das Netz gelten?


10 Prozent Rendite soll der kleine Zug auf der großen Brücke erwirtschaften:
die Müngstener Brücke zwischen Solingen und Remscheid.

Kein Geld, kein Kredit

PRO BAHN hat es wieder und wieder behauptet: Die Deutsche Bahn AG ist pleite. Beide ehemalige Bahnchefs - Dürr und Ludewig - mochten es nicht zugeben. Bundeskanzler Kohl wollte es nicht wahr haben. Er hatte sein Ehrenwort gegeben, dass die Bahnreform die DB aus der Krise bringt. Der Kurs Mehdorns, mit dem er das Unternehmen "Deutsche Bahn AG" "an die Börse bringen" will, ist in Wirklichkeit das Eingeständnis, dass die DB AG finanziell am Ende ist. Warum? Ein Unternehmen ist dann bankrott, wenn es zur Weiterarbeit Kredite braucht, aber nicht bekommt. Wenn die Bahn heutzutage versuchen würde, bei den Banken Kredite für notwendige Investitionen zu bekommen, so würde sie eine Abfuhr erhalten. Sie ist ja nicht einmal in der Lage, die Abschreibungen und Zinsen zu erwirtschaften.

Lügen haben morsche Schwellen

Die Bundesregierung wiederholt es gebetsmühlenartig: Die DB AG hat genug Geld, um ihr Netz instandzuhaltend. Am 18. Februar betete es die DB in einer Pressemitteilung artig nach: Sie hat genug Geld für den Unterhalt des Netzes. Warum unterhält sie das Netz nicht? Warum sind in Westfalen, Thüringen und Sachsen etliche Strecken still, weil sie nicht befahrbar sind? Warum wird für die Mitte-Deutschland-Verbindung jetzt ein Notfahrplan aufgestellt, weil sie Strecke nicht saniert werden kann? Schon in der Woche darauf räumt Bahnchef Hartmut Mehdorn vor dem Bundestag ein, dass die DB AG binnen kürzester Zeit das Eigenkapital aufgezehrt haben wird und auch beim Netz kräftig sparen muss.

Ist die Bahn "irgendein" Unternehmen?

Private Unternehmen müssen sich selbst finanzieren. Das ist selbstverständlich. Wenn sie investieren, dann müssen die Neuanlagen ertragreich sein, so dass Abschreibungen und Zinsen erwirtschaftet werden. Da nach der Bahnreform auch das Netz zum Unternehmen gehört, müssen künftig die Investitionen in Gleise und Bahnkörper ebenso erwirtschaftet werden. 10 Prozent des gebundenen Kapitals sollen als Rendite herauskommen, fordert ein internes DB-Papier. Der DB AG ist der Start eigentlich vereinfacht worden, weil sie das Netz (im Zustand von 1993) "geschenkt" bekommen hat. Doch das nützt ihr wenig, denn das Netz ist eine Altlast und die eigentliche Bürde des Unternehmens:

  • verrottete Gleise im Osten,
  • veraltete Weichenstrukturen,
  • wirtschaftlich veraltete, schrottreife Signaltechnik,
  • Neubaustrecken mit viel zu geringer Auslastung (Fulda - Würzburg),
  • unterhaltungsintensive Bahnlinien in den Mittelgebirgen, die aus strukturellen Gründen gebaut wurden,
  • dazu einen Personalbestand in DB Netz, mit dem ein privater Investor die Produktion nicht aufgenommen hätte.

"Geerbt" hat die DB AG auch politisch erwünschte Projekte wie die Neubaustrecke Erfurt - Nürnberg. Zwar erhält die DB direkt und indirekt erhebliche Zuschüsse, aber alle reichen nicht, um die Kosten des Netzes zu decken. Vor allem die Struktur der Zuschüsse hat es verhindert, dass die DB forciert an die Sanierung des Netzes gegangen ist. Und nun soll auch noch 10 Prozent Rendite verdient werden?!

Politische Lasten am Markt erwirtschaften?

Dass es nicht immer möglich ist, politisch gewollte Projekte marktwirtschaftlich zu finanzieren, hat der Transrapid gezeigt. Ein Betreiber, der die Strecke in Erwartung der Erträge auf eigene Kosten bewirtschaften würde, hat sich nicht gefunden. Auch die von der Bundesregierung zugesagten 6,9 Milliarden Mark haben keinen Bewerber-Andrang um die Konzession herbeigeführt. Genauso wäre die Situation mit dem Netz der DB, hätte es ein Unternehmen kaufen und die schon geplanten Strecken bauen sollen. Eine erhebliche Überschreitung der geplanten Kosten für die Neubaustrecke Köln - Frankfurt zeigt, welch hohen Risiken ein Unternehmen eingeht, wenn es sich auf Investitionen dieser Art einlässt. Auch im Bestandsnetz der DB gibt es solche Risiken. Ob es die Moorlinsen im Oldenburgischen sind oder die Schleifen der Schwarzwaldbahn, ob es die durch einen nachträglichen Kanalbau notwendig gewordene Schleifenfahrt in den Rendsburger Bahnhof ist oder die Müngstener Brücke zwischen Remscheid und Solingen - alle diese Teilabschnitte lassen sich nicht ohne zusätzliche Mittel unterhalten oder befahren. Zehn Prozent Rendite ist mit all dem nicht zu erwirtschaften.

Nur die Bahn soll sich rechnen

Aber: Straßen und Wasserstraßen sind weiterhin von jeglicher Rendite befreit. Beim hochdefizitären Nord-Ostsee-Kanal redet niemand von Stilllegung. Autobahnen werden gebaut, weil sie "gebraucht werden", nicht, weil sie sich rechnen. Strukturpolitik nennt man das gemeinhin. Auch bei der Bahn ist die Strukturpolitik noch nicht gänzlich abgeschafft. Die Diskussion über die Neubaustrecken zwischen Leipzig und Nürnberg zeugt davon. Niemand weist der Bahn nach, dass sie sich hier eine goldene Nase verdienen will - sondern Leipzig und Erfurt "brauchen" ganz einfach diesen Anschluss (Florstedt, PRO BAHN Zeitung 81 (1/2000) S. 17). Die PRO BAHN Zeitung hat schon im letzten Jahr vorgerechnet, dass diese Investition nicht wirtschaftlich ist (Hardebber, PRO BAHN Zeitung 1/1999, S. 14ff). Auch in Berlin spielt sich jetzt diese Diskussion ab. Mangels Geld werden Großprojekte überprüft. Der Berliner Senat fordert, für die Regierungshauptstadt den Ausbau. Hoffentlich kommt Bahnchef Mehdorn nicht darauf zu kalkulieren, wie hoch er die Benutzungsgebühren für die Stadtbahn schrauben kann. Dort sind die Fahrmöglichkeiten jetzt schon knapp?

Fehleinschätzung der Bahnreformer

Ziel der Bahnreform war, "mehr Verkehr auf die Schiene" zu bringen. Die am 9.4.1992 von den Verwaltungsräten der DB und DR gebilligten Prognosen sahen vor, zwischen 1991 und 2000 die Verkehrsleistung um 47 Prozent auf etwa 81 Millionen Reisendenkilometer (Rkm) im Jahr zu steigern. Erfahrungen mit dem Integralen Taktfahrplan zeigen, dass dies ein realistisches Ziel war. Während in den Jahren 1991 bis 1994 - also im Rahmen der "Behördenbahn" im Schienen-Nahverkehr Steigerungsraten erreicht wurden, stagnieren seit Gründung der DB AG die Verkehrsleistungen im Reiseverkehr bei 31 Millionen Rkm, das sind plus 20 Prozent. Im Fernverkehr wurden seit Gründung der DB AG nur relativ geringe Steigerungen auf 34 Millionen Rkm, das sind plus 15 Prozent erreicht. Angesichts der enormen Investitionen in neue Hochgeschwindigkeitsstrecken und Fahrzeuge (ICE 2) ist dies ein katastrophales Ergebnis. Für den Güterverkehr auf Schienen wurde eine Steigerung um 50 Prozent prognostiziert, aber auch er stagniert seit Gründung der DB AG im Jahr 1994 bei Größenordnungen um 70 Millionen Tonnenkilometer, bis zum Jahr 2004 plant die DB sogar eine Rücknahme um 25 Prozent. Die Ursachen sind vielfältig und auch beim Unternehmen DB zu suchen. Aber sie liegen zum guten Teil in den miserablen Rahmenbedingungen, die den Güterverkehr weiter schrumpfen und die Nachfrage im Personenverkehr stagnieren lassen. Die Hoffnung, dass die DB AG mit den prognostizierten Steigerungen des Absatzes alle politisch aufgebürdeten Kosten weg steckt, hat sich nicht erfüllt.

Auch der Transrapid...

Dass in den Prognosen über den Verkehrszuwachs, die der Bahnreform zugrunde lagen, gravierende Fehler steckten, hat die Entwicklung des Transrapid--Projektes gezeigt. Während sich die voraus gesagten Passagierzahlen immer weiter aufblähten und schließlich 14 Millionen Reisende erreichten, wurden sie in den letzten Monaten vor dem "Aus" immer geringer, zerstoben fast wie Seifenblasen. Es wäre sehr interessant, wenn man heute die Prognosen von 1992, auf denen die Bahnreform beruhte, noch einmal nachrechnen und die Fehler offen legen würde. Erst dann könnte sich herausstellen, wo die Probleme der DB AG wirklich liegen und welche Fehler die Politik gemacht hat.

...wurde stillgelegt

Niemand war damals zu einer Aussage wie dieser bereit: "Wenn die Bahn ihre Wachstumsziele nicht schafft, dann soll sie eben bankrott machen." Vielmehr gab es einen Konsens, dass der Erhalt der Bahn notwendig sei. So steht es auch im Grundgesetz, Artikel 87e, der mit der Bahnreform neu formuliert wurde. Doch niemand will ins Grundgesetz schauen, weil dieser Blick jetzt mehr als unangenehm wäre. Denn danach muss der Bund den Erhalt des Netzes im Interesse des Gemeinwohls gewährleisten. Das kostet aber Geld.

Die Instrumente taugen nicht

Die Instrumente, die mit der Bahnreform zur Gewährleistung des Gemeinwohls geschaffen wurden, taugen nicht. Das zeigt sich jetzt überdeutlich in Mehdorns Knoten-Modell. Ganze Bundesländer werden keinen einzigen Fernverkehrszug mehr zu sehen bekommen. Auslandsverbindungen kommen darin gar nicht erst vor. Und das alles, weil es keine Rendite bringt. Am meisten drücken die Abschreibungen für Neubaustrecken auf das Unternehmen. Sie führen dazu, das die Finanzdecke noch kürzer wird, als sie es jetzt schon ist.

Schon wieder Eingriffe ins Unternehmen

Der Staat wird das Problem nicht los. Das Bundesverkehrsministerium will die Bahn jetzt dazu anhalten, "Vollkosten" für die Trassen zu berechnen. Das geht aus einem internen Vermerk vor, der der Presse bekannt wurde. Jedes normale Unternehmen darf aber unter den "Vollkosten" verkaufen, wenn sich die Ware nicht anders loswerden lässt. Das gilt nicht nur im Winterschlussverkauf. Der Bund befürchtet, wieder Zuschüsse für das Netz zahlen zu müssen. Aus gutem Grund, nämlich solange die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Die Wahrheit wird die Politiker immer einholen.

Eine zweite Bahnreform ist überfällig

Eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten für Finanzierung und Risiko ist daher überfällig. Die ersten Forderungen nach einer weiteren Bahnreform gingen davon aus, dass Netz und Betrieb endgültig getrennt werden müssten. Man kann aber auch die Verantwortung für Grund und Boden, Tunnel und Brücken dem Staat zuordnen, denn hier werden die wesentlichen Kosten für das Gemeinwohl verursacht. Schotter und Signale, Gleise und Fahrleitungen mag dann ein Unternehmen aufstellen, das damit wirtschaftlich umgeht und das Optimum an Ertrag erzielt. Die "kleinen" Bahnen in Baden-Württemberg machen vor, das eine solche Aufgabenteilung sinnvoll ist.

Bahn und Gemeinwohl

"Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienen-Personennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird." Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes über die Eisenbahn-Verkehrsverwaltung, in der von der Bahnreform geschaffenen Fassung.

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