PRO BAHN Zeitung 79

Der Neubau von Einröhren-Tunnels ist nicht zu verantworten

von Dieter Walter (aus PRO BAHN Zeitung 3/99: Gefahr im Tunnel)

Ein Brand im Tunnel ist ein Alptraum. Statistisch gesehen ist die Gefahr, in einen Tunnelbrand verwickelt zu werden, sehr gering, doch berührt der Gedanke daran die menschliche Psyche ungemein stärker als beispielsweise die Angst vor einem Unfall auf offener Strecke, sei es Straße oder Schiene. In den letzten Monaten häuften sich die Berichte über Katastrophen in Tunnels mit zahlreichen Toten und Verletzten und fachten die öffentliche Diskussion an.

Tunnel - die gefährlichen Engpässe

Die Nachrichten überschlugen sich in letzter Zeit. Gleich mehrmals gab es Brandkatastrophen in Tunnels mit zahlreichen Opfern zu vermelden. Eine Auswahl der Schreckensnachrichten:

  • 10.4.1995 Im Pfändertunnel bei Bregenz (Österreich) gehen vier Autos bei einer Massenkollision in Flammen auf. Eine dreiköpfige Familie verbrennt.
  • 18.3.1996: In einem Tunnel bei Palermo fährt ein Tanklastzug auf einen Kleinbus und explodiert. 5 Tote, 26 Verletzte.
  • 18.11.96: Im Eurotunnel unter dem Ärmelkanal gerät ein Lkw auf einem Frachtzug in Brand. Glücklicherweise sind keine Opfer an Menschen zu beklagen.
  • 2.3.1999: Auf der ICE-Strecke Hannover-Würzburg gerät in einem 1,7 km langen Tunnel bei Göttingen ein Waggon mit Zellstoff und Papier in Brand.
  • 24.3.1999: Im Montblanc-Tunnel zwischen Frankreich und Italien geht ein Lkw in Flammen auf. Das Feuer greift auf andere Fahrzeuge über. 42 Menschen sterben, zahlreiche werden verletzt.
  • 29.5.1999: Im Tauerntunnel an der Autobahn Salzburg-Villach kommt es zu einem Auffahrunfall und in dessen Folge zu einem verheerenden Brand. 6 Menschen sterben, über 50 werden verletzt.
  • 1.6.1999: Im Eisenbahntunnel am Brenner gerät auf einem Güterwaggon der Bahn ein mit Phosphor beladener Lkw in Brand. Menschen kommen nicht zu Schaden.

Diese und weitere Unfälle haben inzwischen zu einer umfangreichen Sicherheitsdiskussion geführt, an der sich Politiker, Sicherheits- und Verkehrsexperten sowie Bürgerinitiativen beteiligen. Gefordert wird u.a. die Überprüfung der Sicherheit bei sämtlichen Bahn- und Straßentunnels, der Bau von mindestens einer zweiten Tunnelröhre und der Einbau von technischen Sicherungssystemen.

Was geschieht bei einem Tunnelbrand?

Angenommen, es kommt in einem Straßentunnel mit nur einer Röhre zu einem Auffahrunfall. Meist ist der Verkehr zu dicht, um nachfolgende Wagen gleich zum Stillstand zu bringen, und so sind in der Regel gleich etliche Fahrzeuge beteiligt. Bricht ein Brand aus, hat dieser meist verheerende Folgen. Es fehlen oft Rettungswege (gerade bei den überwiegend älteren Alpentunnels) und sicherheitstechnische Voraussetzungen zur Bekämpfung eines Flammenherdes. Starke Rauchentwicklung erschwert den Beteiligten die Flucht und den Rettern den Zugang. Lüftungssysteme sind oft nicht ausreichend auf solche Katastrophen eingerichtet. Es kommt zu großer Hitzeentwicklung, der Tunnel wird binnen kurzer Zeit zu einem Hochofen. Die Tunneldecke stürzt ein, da der Temperatur-Unterschied zwischen dem schlecht wärmeleitenden, also relativ kühlem Felsgestein und der großen Hitze im Innern des Tunnels eine Spannung im Beton entstehen läßt, die diesen zum Platzen bringt. Nach Löschen oder Ersticken des Brandes hält sich die Hitze viele Stunden. Rettungseinsätze sind deshalb oft erst nach Tagen abgeschlossen, die Identifikation von Toten nicht immer möglich.

Zeitbombe Ein-Röhren-Tunnel

Bei einem Tunnel mit nur einer Röhre ist die Gefahr am größten, und zwar in Straßen- und Bahntunnels gleichermaßen. Die Zahl der Toten und Verletzten kann sich mehr als verdoppeln, nicht nur, weil gleich beide Fahrtrichtungen betroffen sind, sondern weil mit der zweiten Richtungsröhre auch eine Flucht- und Rettungsmöglichkeit fehlt. Der nachträgliche Bau von zweiten Tunnelröhren wird deshalb von Politikern und Bürgerinitiativen immer lautstarker und nachhaltiger gefordert, ist aber aus technischen wie aus Kostengründen nicht in allen Fällen möglich. Wie die Unfälle in der letzten Zeit zeigen, scheint der Schienentunnel sicherer zu sein. So läßt sich durch Signalsteuerung die Zufahrt zu Bahntunnels leichter regeln. Schienengebundene Fahrzeuge kommen zudem oft im Falle eines Brandes noch bis zu den Tunnelausgängen, wo Rettungsmaßnahmen wesentlich leichter durchzuführen sind. Doch dieser Schein größerer Sicherheit trügt. Bei hohem Verkehrsaufkommen ist es, besonders bei längeren Tunnelstrecken, nicht immer möglich, jeweils nur einen Zug in einen Tunnel einfahren zu lassen. Denkbar wäre folgendes Schreckens-Szenario: Ein ICE entgleist bei hoher Geschwindigkeit kurz nach Einfahrt in einen Tunnel (denkbare Ursache: Materialfehler, technisches und menschliches Versagen, Terroranschlag). Die Waggons verkeilen sich augenblicklich zwischen den Tunnelwänden. Da die Tunnels auf Hochgeschwindigkeitsstrecken in der Regel als Ein-Röhren-Tunnel gebaut wurden und allen Erfahrungen zum Trotz noch immer gebaut werden, ist es durchaus möglich, daß ein entgegenkommender Zug bereits in den Tunnel eingefahren ist, nicht mehr gebremst werden kann und in die Unfallstelle rast. Bei hohen Geschwindigkeiten, wie sie auf ICE-Strecken gefahren werden, dürfte keiner der Insassen überleben, da der Kontakt mit den Tunnelwänden einem Frontalaufprall gleichkommt. Sollte trotzdem jemand überleben und trotz schwerster Verletzungen aus den panzerfesten Waggons herauskommen, dürfte es wegen der starken Hitze- und Rauchentwicklung kaum möglich sein, einen der eingebauten Fluchtschächte zu erreichen und über lange Treppenfluchten ins Freie zu gelangen.

Angstmacherei?

Vielleicht ist dieses Szenario übertrieben, aber Katastrophen kann man sich mitunter selbst dann nicht vorstellen, wenn sie tatsächlich passiert sind. Denkbar sind sie allemal: Wie sich gezeigt hat, sind Unfälle in Tunnels keine Seltenheit, und Eisenbahnunglücke ebenfalls nicht. Das Unglück von Eschede ist nur im Hinblick auf das Ausmaß bislang eine Ausnahme. Auch in Hannover und Immenstadt entgleisten Züge, und es hat im zweiten Fall wiederum Tote und Verletzte gegeben. Anschläge auf Züge durch Lockerung der Schrauben oder durch Hakenkrallen sind leider keine Seltenheit. Man braucht also nur das Unglück von Eschede in Gedanken mit dem Brand im Montblanc-Tunnel zu kombinieren, und schon hat man ihn, den "Größten Anzunehmenden Unfall" (GAU). Gewiß, die statistische Wahrscheinlichkeit eines solchen Super-Unfalls ist sehr gering. Aber so, wie eine Kette immer nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, sollte sich die Sicherheit von Menschen, so weit es geht, nach der schlimmsten denkbaren Unfallmöglichkeit richten. Das ist leider nicht immer machbar, doch daß Sicherheit kein reines Wunschdenken ist, zeigt der Unfall im Eurotunnel zwischen Frankreich und Großbritannien am 18. November 96.

Es geht auch sicherer

Beispiel Eurotunnel: Beim Unfall im Euro-Tunnel unter dem Ärmelkanal hatte ein streikender Lkw-Fahrer auf französischer Seite einen Brandsatz auf einen Lkw geschleudert, der auf einen Transportwaggon in den Tunnel einfuhr. Kurz nach 21 Uhr meldete der Lokomotivführer ein Feuer im hinteren Zugteil. Vorgeschrieben ist, im Brandfall zur jenseitigen Tunnelöffnung weiterzufahren. Auf halbem Wege etwa wurde jedoch durch ein Warnsignal im Führerstand die Notbremsung ausgelöst. Nun hätte der Lokführer die Lok zusammen mit dem Club Car, in dem sich die Lkw-Fahrer befanden, per Knopfdruck abkoppeln müssen, um sich und die Passagiere zum Tunnelausgang zu retten, doch das Notsystem funktionierte nicht, da die Stromzufuhr unterbrochen war. Der Steward des Club-Cars verhinderte durch seinen Einsatz eine Panik unter den Fahrgästen und führte diese durch einen Notausgang in den zwischen den beiden Tunnelröhren liegenden Dienst- und Rettungstunnel. Zur Zeit des Unglücks befanden sich fünf Züge gleichzeitig im Tunnel. Sie wurden reibungslos evakuiert. Nach zwanzig Minuten kamen die ersten Löschzüge aus Frankreich, eine Stunde später wurden die britischen Retter eingesetzt. Das Feuer entwickelte eine Brandhitze von über 1000°C: Schienen bogen sich auf, Waggonräder verschmolzen mit den Gleisen, die Betonwand der Tunnelröhre platzte. Bis zum Dienstagmorgen wurde gelöscht. 800 m Tunnelröhre sowie mehrere Kilometer Oberleitungen und Signalanlagen waren zerstört. Das Ansinnen der Betreibergesellschaft, den Betrieb noch am gleichen Tag in der unbeschädigten Gegenröhre wieder aufzunehmen, wurde von der "Channel Tunnel Safety Authority" zurückgewiesen und die Anlage stillgelegt. Vorerst durften nur Güterzüge passieren (Quelle: "Zeit"-Archiv). Erst zwei Wochen später rollte der erste Personenverkehr wieder durch den Eurotunnel. In diesem Beispiel zeigt sich Folgendes: Durch beherztes Eingreifen des besonders geschulten Personals sowie durch die Konstruktion des Tunnels selbst (zwei Hauptröhren, zusätzliche Service- und Rettungsröhre, technische Sicherungseinrichtungen) und zusätzliche Sicherheitsvorschriften wurden hier Menschenleben gerettet und das Schlimmste verhindert.

Beispiel Belt-Tunnel

Auch der Eisenbahntunnel unter dem Großen Belt zwischen den dänischen Insel Fünen und Seeland gilt als ähnlich sicher. Auch hier gibt es zwei voneinander unabhängige Röhren sowie einen Rettungs- und Versorgungstunnel. In den Haupttunnels gibt es zu beiden Seiten der Gleise "Bahnsteige", die das erreichen der Fluchttüren erleichtern. Der gesamte Tunnelverlauf wird per Video überwacht, das gleichzeitige Einfahren mehrerer Züge in eine Röhre ist nicht vorgesehen. Ebenso werden Güter- und Personenverkehr streng getrennt gehalten. Die Geschwindigkeit ist begrenzt, das Zugpersonal besonders geschult. In den Personenzügen befinden sich ausführliche Hinweise zum Verhalten im Unglücksfall, die vor der Einfahrt in den Tunnel den Passagieren über Lautsprecher erläutert werden. Sicherheit ist also zwar keine Utopie, garantiert aber leider auch keinen ultimativen Schutz. Eine vollkommene Sicherheit und ein Schutz gegen alle nur denkbaren und undenkbaren Möglichkeiten sind nicht machbar. Schon allein deshalb nicht, weil es Unwägbarkeiten gibt, die sich auch beim besten Willen nicht vorhersehen lassen. Gerade deshalb sollten aber alle vorhandenen und vorstellbaren Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Sicherheit in Straßen- und Schienentunnels zu erhöhen. Wie bei allen Unfällen kann und muß der Ernstfall zur Verbesserung der Sicherheit ausgewertet werden.

Mindestforderungen für die Sicherheit in Tunnels

In allen Tunnels, ob Schiene oder Straße, sollten die Gleise bzw. Fahrbahnen in zwei separaten Röhren verlaufen. Eine dritte Röhre sollte Fluchtwege bzw. rasche Zugriffsmöglichkeiten für Sicherheitskräfte garantieren. Die Tunnelröhren müssen elektronisch und per Video überwacht werden. Ab einer bestimmten Länge des Tunnels sollten Sicherheitskräfte ständig präsent sein. Strenge Abstands-Kontrollen in Autotunnels, drastische Strafen bei Übertretung. In Straßentunnels muß ein geeignetes Zählsystem für Fahrzeuge eingeführt werden, damit einerseits die Zahl der im Tunnel befindlichen Fahrzeuge durch eine Ampelanlage begrenzt werden kann, andererseits im Falle eines Unfalls den Rettungskräften gleich bekannt ist, wie viele Fahrzeuge möglicherweise beteiligt sind. Gefahrgut-Transporte dürfen nicht mehr durch Straßentunnels geführt werden. Der Transport von Gütern und Reise-Pkw per Schiene muß attraktiver und kostengünstiger angeboten werden. In Bahntunnels müssen Personen- und Güterverkehre, insbesondere solche mit Gefahrgütern, getrennt gehalten werden. Bei Bahntunnels im Ein-Röhren-Betrieb muß gewährleistet sein, daß sich nur jeweils ein Zug im Tunnel befindet. Beschränkung der Fahrgeschwindigkeiten in allen Tunnels. Der Bau neuer Tunnels ist weitestgehend zu vermeiden (Straßentunnels durch Verstärkung des Huckepack-Angebots der Schiene, Bahntunnels durch Neigetechnik und folglich leichtere oberirdische Streckenführung möglich).

Perspektive für die Bahn

Generell gilt die Forderung, daß der Schienenverkehr dem Personen- und besonders dem Transportverkehr per Straße vorzuziehen ist, in noch größerem Maße für Tunnels. Zur Zeit werden sowohl in der Schweiz als auch in Österreich die Transportangebote der Schiene verstärkt, um die Engpässe auszugleichen, die durch die Sperrung der Straßentunnels entstanden sind. Dies ist die Chance der Bahn, ein solches Angebot zu etwas Dauerhaftem werden zu lassen. Dazu muß allerdings ganz besonders die Sicherheit in Bahntunnels gewährleistet sein. Einröhrentunnel, wie die Deutsche Bahn zur Zeit wider besseres Wissen auf Hochgeschwindigkeitsstrecken noch baut und plant, sind nicht geeignet, die Sicherheit der Fahrgäste zu garantieren. Das Prinzip Sicherheit hat in jedem Fall über Schnelligkeit auf der einen und Kostenersparnis auf der anderen Seite zu stehen.

Einröhrentunnel

Einröhrentunnel auf deutschen Bahnstrecken: Begegnungsverkehr, keine Fluchtwege.

Eurotunnel

Vorbild Eurotunnel: Zwei getrennte Röhren, ein Fluchttunnel dazwischen.

PRO BAHN Zeitung Nr. 79 (3/1999)