der Fahrgast 107: August - Oktober 2006

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Aus dem Inhalt

Börsengang der Deutschen Bahn AG: Debatte ohne Netz

Experten gegen Netzprivatisierung

Am 10. Mai und am 1. Juni 2006 hörte der Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages Sachverständige und Verbände zur Börsengang- Frage an. Die Anhörungen haben deutlich gemacht, dass der von Hartmut Mehdorn gewünschte integrierte Börsengang wohl kaum noch eine Mehrheit im Parlament erhalten wird. Gleichwohl legte sich Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee schon vor den Anhörungen für den Börsengang mit Netz fest und versucht nun, mit Kompromissvorschlägen dieses Modell zu retten. Er wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel "zurückgepfiffen", wie die Frankfurter Rundschau am 1. Juli berichtete. Wie es mit der DB weitergeht, ist völlig offen: Ob die Regierungsparteien einen Kompromiss finden, den das Parlament mit der nötigen Mehrheit billigt, ist nicht sicher.

Sterben Fahrgäste aus?

Demografische Entwicklung stellt Bahnen in Frage (von Rainer Engel)

Nach allen Prognosen wird die Bevölkerung Deutschlands in den nächsten Jahrzehnten stark altern und dann schrumpfen. Ursachen sind die zu geringe Geburtenrate und die zunehmende Lebenserwartung. Welche Auswirkungen hat die Entwicklung auf den öffentlichen Verkehr? Vor welchem Hintergrund spielt sich die Diskussion über die Zukunft des öffentlichen Verkehrs ab?

Die wichtigsten Erkenntnisse: Die Verkehrsprognosen, die heute für Planungen verwendet werden, sind viel zu kurzfristig, denn sie beziehen sich auf den Zeitpunkt, zu dem die Schrumpfung der Bevölkerung in Deutschland massiv einsetzen wird. Doch der heute abzusehende Rückgang der Bevölkerungszahl ist nicht naturgegeben. Die Entwicklung ist - entgegen zahlreichen Aussagen - zu einem guten Teil umkehrbar. Nur wer heute Kindergärten baut, hat morgen noch gute Gründe, Eisenbahnen zu erhalten und Straßenbahnen zu bauen.

Gesellschaftliche Trends und öffentlicher Verkehr: Siedlungspolitik in einer Schlüsselrolle

Studie zeigt Konsequenzen für alle Politikbereiche
(von Rainer Engel)

In den meisten Verkehrsprognosen werden die Faktoren, die die Verkehrsentwicklung beeinflussen, unzureichend beschrieben und die Voraussetzungen, die den Annahmen zugrunde liegen, nicht ausreichend hinterfragt. Die "Untersuchung zentraler Rahmenbedingungen, Instrumente und Zielkriterien der Landesverkehrsplanung Nordrhein-Westfalen - Konsequenzen für die Verkehrsnachfrage" versucht, diese Faktoren näher zu untersuchen. Die Wiedergabe der umfangreichen kritischen Analysen der bisher vorliegenden Verkehrsprognosen würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen und ist bereits in dem vorstehenden Beitrag zur demografischen Entwicklung eingeflossen. Wir referieren hier die wichtigsten Ergebnisse und aufgezeigten Konsequenzen, soweit sie für den öffentlichen Verkehr von Bedeutung sind. Sie sind erst die Basis weiterer Untersuchungen.

Bundesregierung: Fahrkarte soll Lotterielos bleiben

War Arbeit der Gutachter vergebens?
(von Rainer Engel)

Die Bundesregierung will auch weiterhin, dass die meisten Fahrkarten nicht mehr wert sind als Lotterielose. Fahrgäste sollen für eine unbrauchbare Leistung auch künftig den vollen Fahrpreis bezahlen. Wenn das Verkehrsunternehmen an einer Verspätung nicht schuld sei, dann gehöre das "zum allgemeinen Lebensrisiko", und daher würden Fahrgastrechte den Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern verzerren. Außerdem seien Fahrkarten im "Nahverkehr" von einer Gewährleistung auszunehmen - auch wenn eine Fahrt von Rostock bis in die Oberpfalz "Nahverkehr" ist, weil es keine Fernzüge mehr gibt. Das ist der Inhalt der Stellungnahme des Verkehrsministeriums zu einem guten Gesetzesvorschlag des Beratungsunternehmens Progtrans und von Professor Klaus Tonner, die im Auftrag des Bundestages zusammen mit Verkehrsunternehmen und Verbraucherverbänden erarbeitet und dem Bundestag zugeleitet wurde Bundesregierung: Fahrkarte soll Lotterielos bleiben War Arbeit der Gutachter vergebens? Von Rainer Engel (Bundestagsdrucksache 16/1484). Das Bundesverkehrsministerium beweist, dass es - auch unter Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) - dazu angetreten ist, die Deutsche Bahn AG vor den Verbrauchern - und vor den Forderungen des Deutschen Bundestages zu schützen.

Fahrgastrechte in der Praxis: Streitest du noch - oder fährst du wieder?

Die Wirkungen unterschiedlicher Regeln in 13 Beispielen
(von Rainer Engel)

Wie wirken sich die unterschiedlichen Gestaltungen der Fahrgastrechte in der Praxis aus? Anhand praktischer Beispiele stellen wir dar, was die Deutsche Bahn AG mit ihrer "Kundencharta" derzeit bietet, was die Bundesregierung den Fahrgästen auch künftig zumuten will und was das Progtrans-Gutachten vorschlägt. Die Beispiele sind weitgehend den Eingaben auf der Beschwerdeseite von PRO BAHN (www.pro-bahn.de/meinung) entnommen oder aus anderen realen Vorfällen und zur Verdeutlichung der Probleme sinngemäß ergänzt.

Das Ergebnis: Nach Auffassung der Gegner des Progtrans-Gutachtens sollen Fahrgäste auch weiterhin abgewimmelt werden und mit ungewissem Ausgang streiten, während sie nach den Vorschlägen des Progtrans-Gutachtens wissen, woran sie sind: Fahrgäste würden bescheidene, aber einfach durchzusetzende Rechte erhalten und die Qualität des öffentlichen Verkehrs würde steigen.

Gewährleistung im Nahverkehr: DB zieht nach - um Rechte zu verhindern

Nord-Ostsee-Bahn führt als erstes Bahnunternehmen im Nahverkehr Geld-zurück-Garantie ein

Die Nord-Ostsee-Bahn (NOB) hat zu Ostern dieses Jahres als erstes deutsches Bahnunternehmen im Nahverkehr eine Gewährleistung der Pünktlichkeit mit Geld-zurück-Garantie eingeführt. Die Deutsche Bahn hat für den Regionalverkehr in Schleswig-Holstein nachgezogen - mit weniger als halber Kraft. Es drängt sich der Verdacht auf, dass DB und Bundesregierung damit Hand in Hand effiziente Fahrgastrechte verhindern oder zumindest um Jahre aufhalten wollen.

Fahrgäste unterwegs: "Blind heißt doch nicht immobil!"

(von Markus Meier)

"Gut 15 Wochen bin ich jedes Jahr beruflich mit dem Zug unterwegs", schätzt Peter Staubach. Etwas, das er als "nebensächlich" empfindet, unterscheidet ihn dann aber doch von den vielen tausend Geschäftskunden, die mit der Deutschen Bahn quer durch Deutschland fahren: Peter Staubach ist blind. "Na und? Nur weil ich blind bin, bin ich doch nicht immobil", stellt der 48-Jährige spontan klar.

Unwürdiges Ende einer Epoche: Interregio verabschiedet

Treue Freunde geben das letzte Geleit

Im Mittelalter durften Mörder und Frevler nicht innerhalb der Stadtmauern begraben werden - sie wurden auf freiem Feld verscharrt. So erging es auch am 27. Mai den letzten beiden Interregio-Zügen. Als sie nach Berlin zurückkehrten, durften sie nicht mehr in die Stadt.

Regionalisierungsmittel und andere Gelder: Nahverkehr am Scheideweg

Der Streit um die Regionalisierungsmittel
(von Maximilian v. Beyme, Allianz pro Schiene)

Die Regionalisierung des Schienenverkehrs ist ein Erfolgsmodell. Regiobahn Kaarst - Mettmann, Schönbuchbahn, Sonneberger Netz, S-Bahn Hannover - das sind Erfolgsmodelle, die durch die Bahnreform 1994 und die Übergabe der Verantwortung für den regionalen Schienenverkehr an die Bundesländer möglich wurde. Geht diese Erfolgsgeschichte jetzt zu Ende?

Durchs Teufelsmoor bis Stade: Moorexpress jetzt ab Bremen

Seit dem 29. April startet der Moorexpress in Bremen. Die Eisenbahn und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) bieten mit historischen Schienenbussen neue touristische Möglichkeiten für Ausflüge mit dem Zug.