Dieser Text basiert auf einem Artikel für die PRO BAHN Post August 2018. Bearbeitungsstand: 23.7.2018

MVV-Tarif – was erwartet uns 2019+?

Anfang Juli wurden die Eckdaten zur MVV-Tarifreform im Juni 2019 bekannt­gegeben. Politik und Medien gaben sich euphorisch. In Presseberichten war von einer "Preis-Revolution" zu lesen, der MVV beschreibt den neuen Tarif als "attraktiv und einfach wie nie". Bei genauerem Hinsehen ist die Euphorie allerdings weniger der Qualität der Reform geschuldet, als vielmehr der Tatsache, dass man erleichtert ist, nach ewig langen Debatten überhaupt ein Ergebnis zustande gebracht zu haben. Die Erleich­terung der Verantwort­lichen nützt den Fahrgästen aber leider kaum etwas.

PRO BAHN Oberbayern hatte anfangs versucht, mehr Einfluss auf die sehr zähen Verhandlungen zur Tarifreform zu gewinnen, ist aber am Widerstand der MVV GmbH und am politischen Desinteresse bezüglich Fahrgast­beteiligung gescheitert. So bleibt statt besserer Mitwirkung in erster Linie die Analyse dessen, was uns da ab Juni 2019 von Politik und Verkehrsunternehmen beschert wird.

Mit etwas Glück wird es billiger – insbesondere mit Streifen­karte

Ein paar Beispiele: Wenn man von Puchheim zum Marienplatz oder von Dachau in die Innenstadt oder darüber hinaus fährt, wird es mit Streifen­karte künftig um 25 Prozent billiger. Noch stärker sinken die Preise wenn man mit Streifen­karte vom Außenraum durch den Innenraum wieder in den Außenraum fährt. Bei vielen anderen Relationen, zum Beispiel im Innenraum, ändern sich die Preise für Fahrten mit Streifen­karten gar nicht.

Grafik 630*240 - Tabelle mit Beispielen

Ein Ergebnis, das von PRO BAHN begrüßt wird, ist die höhere Rabat­tierung von Streifen­karten. Statt 6,7 Prozent beträgt die Ersparnis bei Nutzung einer Streifen­karte künftig über 15 Prozent. Erkauft wird das durch eine Preis­erhöhung der Einzel­fahrscheine um 13,8 Prozent – das gilt für alle Relationen, in denen der Preis mit Streifen­karte unverändert bleibt (also zum Beispiel im Innenraum). In den Fällen, in denen die Fahrt mit Streifen­karte günstiger wird, werden auch Einzel­fahr­scheine billiger, allerdings um einen geringeren Prozentsatz.

Auch bei den Monats­karten gibt es Preis­senkungen: Von Moosach nach Giesing um 10 Prozent, von Haar nach Pasing um 24 Prozent, von Freising nach Feldmoching um 7 Prozent. Viele Strecken von außen in die Innenstadt verbilligen sich auch etwas, zum Beispiel ab Aying um 7 Prozent, ab Puchheim um 0,6 Prozent oder ab Ebersberg um knapp 12 Prozent.

Zeitkarten werden nicht günstiger

Ein Marketing­spruch zur Tarifreform lautet: "Vielfahren wird meist günstiger durch attraktive Monats-, Abo- und Jahreskarten." Das kann man bei PRO BAHN so nicht nach­voll­ziehen – viele Pendler werden ab Mitte 2019 andere Erfahrungen machen. Günstiger werden Monatskarten in erster Linie, wenn sowohl der Wohnort als auch der Arbeits­platz im Außenraum liegen – für die Mehrheit der Pendler gilt das nicht.

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Auch innerhalb Münchens kann man Glück haben – im Innenraum wird die Monatskarte bei größeren Entfernungen um bis zu 24 Prozent billiger, während sich Zeitkarten für kurze Distanzen um 8,5 Prozent verteuern. Stärker von Preis­erhöhungen betroffen sind jedoch Fahrgäste, die von außerhalb nach München pendeln (oder umgekehrt). Insbesondere Fahrten in die städtischen Außen­bezirke, wo zum Beispiel Industrie­betriebe wie BMW liegen, werden schnell mal 30 Prozent teurer – in Einzel­fällen sogar bis 60 Prozent –, während die Verbindungen in die Innenstadt oder darüber hinaus um bis zu 13 Prozent günstiger werden können.

Dass die Politik zugelassen hat, dass klassische Einpendler oft deutlich mehr zahlen müssen, stößt bei PRO BAHN auf Unver­ständnis. Angesichts der Münchner Probleme mit der Autoflut und den Abgasen, angesichts der Tatsache, dass der Verkehr gerade im Bereich der Stadtgrenze am stärksten wächst, ist dies ein Rückschritt. Die Botschaft, dass das Verkehrs­wachstum weiterhin von der Straße aufgefangen werden soll – mit allen bekannten Nachteilen für Mensch und Umwelt – ist unüber­hörbar. Hier haben sowohl Politiker als auch die Ver­ant­wort­lichen bei MVV und Verkehrs­unter­nehmen versagt.

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Tageskarten komplizierter und teurer

Ebenso unverständlich ist unter dem Aspekt eines gut hand­hab­baren Tarifs die starke Erhöhung bei den bisher einfachsten Tarifen der Tageskarten und der Isarcard-9-Uhr. Dass man nun die gleiche Zonen­auf­teilung überall anwenden will, führt hier unweiger­lich zu einer Komplizierung. Statt drei bis vier Tarifstufen gibt es künftig sieben. Gerade für Touristen, die mit Tageskarte unterwegs sind, dürfte das Beachten der neuen Tarif­grenzen nicht einfach werden. Gleich­zeitig werden Leute, die möglichst einfach hand­hab­bare Fahrkarten möchten, durch eine über­proportionale Verteuerung bestraft. Bei den Tageskarten reicht die Spanne von plus 15 Prozent bis plus 115 Prozent; bei der Isarcard-9-Uhr sind es im Außenraum bis über 60 Prozent, während es im Innenraum leicht günstiger wird.

Einheitliches Schema für alle Fahrkarten

Die Idee, die Tarif­schemata für alle Fahr­schein­arten zu ver­ein­heit­lichen, wirkt auf den ersten Blick klug. Auf den zweiten Blick stellt sich aber die Frage, warum Streifen­karten, Monats­karten und Tageskarten – die jeweils verschiedene Kunden­gruppen ansprechen – einem einheitlichen Schema folgen müssen.

Schaut man die Tageskarten an, ist die neue Aufteilung deutlich schlechter und erschwert insbe­sondere Ortsfremden die Mobilität im MVV. Und wieso ist es falsch, Zeitkarten, bei denen man sich langfristig auf den Gültig­keits­bereich festlegt, feiner zu staffeln als Fahrscheine, die man öfters für verschiedene Relationen am Automaten kauft, und bei denen Unkompliziertheit daher wichtiger ist?

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Der Fehler liegt bisher eher darin, dass man die Tarif­grenzen für ganz verschiedene Fahr­schein­arten unbedingt in denselben Tarifplan einzeichnen musste, was alles andere als ziel­gruppen­gerecht ist. Gegen die feine Staffelung von Zeitkarten spricht aus Sicht von PRO BAHN allerdings die schlechtere Möglichkeit der Freizeit­nutzung. Diesen Widerspruch kann man dadurch auflösen, dass man abends und am Wochenende den Gültig­keits­bereich entsprechend erweitert.

Es mindert natürlich die Einnahmen, wenn eine Monatskarte für ein paar Ringe oder Zonen am Wochenende im gesamten MVV gilt, oder wenn man dann sogar noch jemand mitnehmen kann, wie das bei anderen Verbünden üblich ist. Hier gelangen wir aber zu einer zentralen Frage: Wollen wir die Erlöse der Verkehrs­unter­nehmen verbessern, oder wollen wir die Zahl der Leute erhöhen, die bereit sind, öfters mal zugunsten von Bus und Bahn auf ihr Auto zu verzichten?

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Um die Antwort auf diese Frage hat sich die Politik wieder einmal gedrückt. Stattdessen werden auch von Vertretern der Kommunal­politik Interessen formuliert, die nicht diejenigen der Fahrgäste sind. Anders lässt sich die kaum erklären, dass für bestimmte Fahr­schein­arten und viele Relationen Preis­erhöhungen in einer Höhe zugelassen werden, die abschreckend ist. Es wird bewusst hingenommen, dass Leute sich vom Öffent­lichen Verkehr abwenden – vielleicht einfach nur, weil man in Verhandlungen um Partikular­interessen das große Ganze aus dem Blick verloren hat.

Es fehlen noch Antworten

Konkrete Antworten darauf, wie es der MVV künftig mit den Problemen von Fahrgästen hält, die die MVV-Außengrenze überqueren und neben MVV-Fahrkarte auch eine Fahrkarte nach dem Eisen­bahn­tarif benötigen, fehlen noch. Bisherige Aussagen erlauben allerdings nur wenig Hoffnung auf Ver­besserun­gen. Ebenso ist noch unbekannt, wie weit künftig verschiedene Fahr­schein­arten kombinierbar sind – in der Ver­gangen­heit war dies mehrfach ein Feld für Konflikte.

Wo bleibt der Fortschritt?

Blickt man auf die bundesweite Diskussion über eine Ver­billi­gung des ÖPNV aus Umwelt­schutz­gründen, so bleibt nur festzustellen, dass die Politik eine Chance verpasst hat. Es hätte sich auch mit dem neuen Tarifschema angeboten, auf Erhöhungen insgesamt zu verzichten, oder sie auf einen niedrigen Prozentwert zu begrenzen und stattdessen zur Anpassung ans neue Schema das Preisniveau zu senken. Statt Einzel­fahr­scheine teurer zu machen, hätte zum Beispiel eine billigere Streifen­karte den gleichen Rabatteffekt.

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Und statt für eine Monatskarte von Ismaning nach Unter­föhring 60 Prozent mehr zu verlangen, hätte man die Preise für die Innenraum-Monatskarte (Zone "M") so festlegen können, dass man mit Unter­stützung des Freistaats (die bisher leider nur Neukunden einmalig gewährt wurde) in den Bereich einer Jahreskarte für 365 Euro gekommen wäre. Dem Vorbild aus Wien folgend wird dieses Modell auch für deutsche Großstädte diskutiert. Passt man den Rest der Preistabelle an einen solchen Basispreis an, wird es von Ismaning nach Unter­föhring immer noch etwas teurer (16,7 %). Die günstigsten Monatskarten lägen dann bei 40 Euro statt bei 55 Euro, die teuersten unter 160 Euro statt bei 220 Euro. Anstatt Monatskarten, die sich um als 50 Prozent verteuern, gäbe es neben geringen Erhöhungen auch Preis­senkungen bis zu 45 Prozent.

Warum also keine echte Reform, die zugleich der Münchner Start in die Verkehr­swende sein könnte? Wollen die Politiker das nicht, oder bremst die Angst vor mehr Fahrgästen jede Art von Fortschritt? Wäre ein Verkehrsverbund, der auch beim Preis Argumente für Leute liefert, die den MVV bisher meiden, nicht ein Ziel gewesen, für das der Streit mehr gelohnt hätte, als für das jetzige Ergebnis? Den MVV-Tarif als Bremse für die Fahrgastzahlen einzusetzen kann ja wohl kaum die Maxime irgendeiner Verkehrs­politik sein. Was auch immer zur jetzigen Lösung geführt hat: die Chance für eine zukunfts­weisende Reform ist verpasst – wahrscheinlich eher für Jahrzehnte als für Jahre.

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Dort wo die Preise mehr als nur geringfügig steigen, werden sich Leute vom MVV abwenden. Andererseits ist die versprochene Verein­fachung nicht deutlich genug, um damit Menschen für Bus und Bahn zu gewinnen. Natürlich werden die Fahrgast­zahlen zunehmen – das ist beim allgemeinen Wachstum der Region kaum zu vermeiden. Aber das Auto wird den Verkehrs­zuwachs dominieren; eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Frage, was guten ÖPNV auszeichnet, kann in der heutigen Zeit nur durch Eindämmung des Wachstums im Autoverkehr beantwortet werden. Hier hat die Verkehrs­politik bisher kläglich versagt, und die MVV-Tarifreform ist kein Schritt in die Richtung, dies zu ändern.

Beispiele für Auswirkungen der Tarifreform findet man unter https://www.pro-bahn.de/muenchen/tarif/mvv-tarif-201808-beispiele.pdf.

Quelle: "Die MVV-Tarifreform für den Großraum München"   (MVV-Information vom 6.7.2018)
 

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