Pressemeldung vom 07.12.2006

PRO BAHN sieht Licht und Schatten im neuen DB-Angebot

Fahrgastverband zum Fahrplanwechsel am 10.12.2006

Mit gemischten Gefühlen sieht der Fahrgastverband PRO BAHN dem Fahrplanwechsel am 10.12.2006 entgegen: „Es wird einige sehr erfreuliche Verbesserungen geben,“ stellt Dr. Thomas Schempf, der Vorsitzende des Regionalverbandes Mittel- und Oberfranken fest, "aber leider auch Einschränkungen, die für viele Fahrgäste Komfort und Flexibilität spürbar beeinträchtigen."

Mit dem Fahrplanwechsel wird die Neubaustrecke Nürnberg - Ingolstadt (- München) vollständig in Betrieb genommen. Dabei krempelt die Deutsche Bahn AG (DB) ihr Fernverkehrsangebot komplett um. Das ICE-Netz wird weiter ausgebaut, während zahlreiche IC-Linien ausgedünnt oder eingestellt werden. Weiterhin fällt auf, dass Züge auf weiteren Bahnlinien nicht mehr im Takt fahren.

1. Verstärkte Konzentration auf profitable Rennstrecken

Erfreulich ist ohne Zweifel, dass das ICE-Netz erheblich ausgeweitet wird. Auf den Strecken München - Nürnberg - Leipzig - Berlin sowie München - Nürnberg - Frankfurt - Köln fahren die ICEs künftig stündlich anstatt bisher alle zwei Stunden. Zwischen München und Nürnberg entsteht dadurch ein Halbstundentakt – PRO BAHN hofft dort wie die Verantwortlichen angesichts der attraktiven Fahrzeit von einer guten Stunde auf eine Verdoppelung der Nachfrage.

In Erlangen und Bamberg wird künftig allerdings nur noch jeder zweite ICE halten. Dadurch ergeben sich dort keine Verbesserungen zum bisherigen 2-Stunden-Takt – durch schlechte Anschlüsse verlängert sich in einigen Relationen wie beispielsweise Erfurt - Erlangen die Reisezeit sogar um bis zu eine Stunde.

2. Deutschlands schnellster Regionalverkehr

Ein in Deutschland einmaliges Angebot wird der Regional-Express (RE) auf der Neubaustrecke sein, der mit bis zu 200 km/h fahren soll. Zwischen Nürnberg und Ingolstadt hält er nur in Allersberg und Kinding, die nach Jahrzehnten endlich wieder Bahnanschluss erhalten. Mit einer Fahrzeit von etwa 1 3/4 Stunden von Nürnberg nach München ist er so schnell wie bisher die IC-und ICE-Züge über Augsburg. Abgerundet wird das Angebot durch neue Spätverbindungen von München um 21:10 Uhr mit einem RE und um 22:52 Uhr mit einem ICE nach Nürnberg. Da in den RE-Zügen alle Nahverkehrsangebote wie das Bayern-Ticket ohne Zuschlag gelten, werden sie sehr attraktiv sein und viele neue Fahrgäste für die Bahn gewinnen.

So weit, so gut. "Angesichts von Baukosten über 3 Milliarden Euro für die Neubaustrecke darf man als Steuerzahler auch erwarten, dass es nach ihrer Inbetriebnahme spürbare Verbesserungen auf der Schiene gibt." stellt Dr. Schempf fest. "Leider aber fehlt den Verantwortlichen jetzt scheinbar das nötige ‚Kleingeld’ für einen attraktiven Fahrplan (» Anm. 1 ): Die durchgehenden RE Nürnberg - München werden auf der Neubaustrecke nämlich nur alle zwei Stunden bestellt und haben relativ wenige Sitzplätze (» Anm. 2 ). PRO BAHN sagt daher schon heute verärgerte Fahrgäste voraus – und chaotische Zustände, wenn schönes Ausflugswetter die Großstädter ins Altmühltal nach Kinding lockt."

Als makabren Trost empfindet Jörg Schäfer, der stellvertretende Vorsitzende des Regionalverbands, dass die schlechten Anschlüsse vom und zum neuen RE in Nürnberg und München für eine Entschärfung sorgen werden: "Wenn zum Beispiel Bürger aus Erlangen feststellen, dass sie in Nürnberg bis zu einer Stunde warten müssen, werden sie entweder andere Züge oder gleich das eigene Auto nehmen." Auch von den Regionalbahnen, die zusätzlich zwischen Nürnberg und Allersberg pendeln, sind die Fahrgastvertreter nicht restlos begeistert. Sie fahren nämlich leider nicht in einem einprägsamen Takt, wie man es eigentlich erwarten sollte.

3. Einschnitte im IC-Netz

Erhebliche Einschnitte gibt es zum Fahrplanwechsel bundesweit im IC-Netz. Die DB konzentriert sich im Fernverkehr immer mehr auf ausgewählte Rennstrecken. Dank der hohen Geschwindigkeiten sind die Fahrzeug- und Personalkosten dort auf den Kilometer bezogen relativ gering, umgekehrt können relativ hohe Fahrpreise erlöst werden. Bei der Fahrt an die Börse zählt nicht die bloße Kostendeckung, sondern eine möglichst hohe Rendite!

Franken ist davon mehrfach betroffen: Auf der Verbindung Nürnberg - Hof - Zwickau - Dresden wird der Fernverkehr völlig eingestellt. Die bislang noch alle 4 Stunden fahrenden ICs werden durch "Inter-Regio-Express"-Züge (IRE) ersetzt, die zwar schneller und zumindest wochentags häufiger fahren. An Wochenenden bleibt es über weite Teile bei Taktlücken von 4 Stunden; Bayreuth wird sonntags von den IRE-Zügen vor 14:00 Uhr nicht angefahren. Zudem fahren die IREs in Hof quasi "an allen Anschlüssen vorbei", da sie dort zur vollen Stunde halten, während der "bayerische Taktknoten" in Hof zur Minute 30 bestehen bleibt. Außerdem werden Dieseltriebwagen der Baureihe 612 eingesetzt, die mit ihren dröhnenden Motoren, dem ruppigen Fahrverhalten und der monotonen Innenausstattung zeitgemäße Komfortwünsche von Reisenden über längere Strecken nicht erfüllen.

Zwischen Karlsruhe, Stuttgart und Nürnberg entfallen einzelne Züge. Die letzte IC-Abfahrt von Karlsruhe nach Nürnberg besteht dann samstags um 15:07 Uhr, ab Stuttgart um 16:07 Uhr, montags bis donnerstags und sonntags jeweils zwei Stunden später. Umgekehrt fährt montags bis donnerstags und samstags der letzte IC bereits um 17:41 Uhr in Nürnberg ab. Auch die bisherigen Nachtschnellzüge ab Stuttgart und Frankfurt über Nürnberg nach Prag entfallen. PRO BAHN befürchtet, dass hier eine unheilvolle Entwicklung einsetzt: Wer abends nicht mehr zurück kommt, fährt schon auf dem Hinweg nicht mit der Bahn. In den verbleibenden Zügen ist daher ein weiterer Fahrgastrückgang zu befürchten, der die DB in ein oder zwei Jahren dazu bringen könnte, weitere Verbindungen zu streichen.

4. Nordanbindung von Augsburg mangelhaft

Zu erwarten war, dass nach Fertigstellung der Neubaustrecke viele Züge zwischen München und Nürnberg den schnelleren Weg über Ingolstadt nehmen und nur noch wenige Züge über Augsburg fahren. Nicht absehbar war aber, dass Augsburg derart chaotisch nach Norden angebunden würde: mal verkehrt ein ICE, mal ein IC, mal ein schneller RE zwischen Augsburg und Nürnberg. Mal besteht etwa stündlich eine Verbindung, mal fährt drei Stunden kein schneller Zug. (siehe Anm. 3)

PRO BAHN fordert auch hier klare und leicht nachvollziehbare Regelungen: Die Takte der ICE-Linien dürfen nicht willkürlich unterbrochen werden, weil dadurch wichtige Reiseketten zerbrechen. Besser wäre z.B. eine eigene vertaktete Fernverkehrslinie Nürnberg - Augsburg - Kempten - Oberstdorf mit dem Niveau eines InterRegio oder InterCity. Das, was die DB in letzter Minute als "Franken-Allgäu-Sprinter" zur Schließung der größten Lücken mit vier Zügen pro Tag in die Fahrpläne schob, kann allenfalls als erster kleiner Schritt in die richtige Richtung gewertet werden.

5. Schließung des Haltepunktes Nürnberg-Neusündersbühl

Mit Bedauern nimmt PRO BAHN zur Kenntnis, dass am 10.12.2006 der Haltepunkt Nürnberg-Neusündersbühl für immer dicht gemacht wird. "Man könnte mit der Schließung leben, wenn es nur für den Zeitraum der S-Bahn-Bauarbeiten wäre, weil man Platz für die Baumaschinen braucht." stellt Dr. Schempf fest. Aber bei Inbetriebnahme der S-Bahn nach Erlangen sollte auch in Neusündersbühl wieder gehalten werden – und zwar mit direkten Zugängen zu einer neuen Haltestelle der Ringbuslinie auf der Jansenbrücke.

„Bei fast allen neuen S-Bahnen entstehen bundesweit neue Haltepunkte, die die Verknüpfung zu den städtischen Verkehrsmitteln verbessern und damit neue attraktive Verbindungen für die Fahrgäste schaffen. Nur Nürnberg geht den umgekehrten Weg und reduziert mit der S-Bahn die Zahl der Haltepunkte.“ ergänzt Jörg Schäfer. "Auch hier fehlt wieder das nötige ‚Kleingeld’ beim Mammutprojekt Nürnberg - Forchheim: Es gibt Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass man mit dem S-Bahnhof Neusündersbühl viele neue Fahrgäste gewinnen könnte. Aber die im Vergleich zu den Gesamtkosten geringen Mehrkosten wollte niemand übernehmen."

PRO BAHN hofft, dass die Aussage einiger Verantwortlicher stimmt und der Ausbau unter der Jansenbrücke wenigstens so erfolgt, dass man dort noch zu einem späteren Zeitpunkt eine Umsteigestation zwischen S-Bahn und Bus errichten kann.

6. Bayern-Takt in Gefahr

Eine besorgniserregende Entwicklung schlägt aus Sicht von PRO BAHN der Bayern-Takt ein. "Den leicht merkbaren Fahrplan mit der Abfahrt zur gleichen Minute in jeder Stunde haben wir leider immer seltener" bedauert Dr. Schempf. Auf vielen Strecken ist es inzwischen so, dass zwei unterschiedliche Linien alle zwei Stunden fahren. So fährt etwa von Nürnberg nach Bamberg der Regional-Express in der geraden Stunde zur Minute 40 ab, in der ungeraden Stunde aber erst zur Minute 45. "Da muss man schon ein halber Mathematiker sein, um ohne Fahrplan in der Tasche seine Fahrt planen zu können."

Wenigstens die Regionalbahnen nach Bamberg fahren tagsüber stündlich zur Minute 50 in Nürnberg ab – könnte man bei einem Blick in das neue Kursbuch meinen. Aber Vorsicht: "Aus unerfindlichen Gründen wurde die Abfahrt um 11:49 Uhr schon eine Minute früher gelegt. Wer also den Takt im Kopf hat und ‚zeitgenau’ zum Bahnsteig kommt läuft Gefahr, dass er nur noch die Rücklichter seines Zuges sieht."

Verantwortlich für die Verschlechterung des Zugfahrplans und der Pünktlichkeit macht der Fahrgastverband vor allem die unzureichende Schieneninfrastruktur: An vielen Strecken nimmt die DB nur die nötigsten Unterhaltungsarbeiten vor, so dass das Tempo der Züge gedrosselt werden muss. Dadurch können veröffentlichte Fahrpläne nicht eingehalten werden oder Fahrzeiten müssen von Jahr zu Jahr weiter "gestreckt" werden. Wo die DB ‚ausbaut’, tut sie das leider oft im wahrsten Sinne des Wortes, denn Modernisierungen bringen fast immer den Abbau zahlreicher Weichen und Signale mit sich. Dadurch wird die Kapazität der Strecken erheblich eingeschränkt, und die Fahrpläne können sich nur noch an den betrieblichen Zwängen orientieren, Fahrgastbedürfnisse treten leider immer weiter in den Hintergrund.

"Da muss sich dringend etwas ändern" stellt Dr. Schempf dazu fest. „Aber man kommt dabei ganz schnell in die große Politik: Die Einsparungen am Streckenunterhalt tragen dazu bei, dass die Deutsche Bahn AG sich börsenfähig rechnen kann. Und die Bundespolitiker, die ja eigentlich noch die 100%-igen Eigentümer dieser AG vertreten, dulden das. Zurzeit können die für den Nahverkehr zuständigen Bundesländer durch gezielte Bestellungen und Vorgaben nur noch das Schlimmste verhindern.“ Noch nicht absehbar ist die ab 2007 greifende Kürzung der Investitionszuschüsse seitens des Freistaats Bayern für Infrastrukturprojekte. Diese „Komple-mentärfinanzierung“ hat in der Vergangenheit häufig dazu beigetragen, den Erhalt von Eisenbahninfrastruktur abzusichern.

Auch die Tatsache, dass aus Steuermitteln immer häufiger Züge des Regionalverkehrs (RE, IRE) bestellt werden, obwohl es eigentlich Aufgabe von eigenwirtschaftlich agierenden Verkehrsunternehmen ist, Personenverkehr über längere Entfernungen zu betreiben, dürfte der Intention der Bahnreform von 1994/96 entgegen stehen.

Auf Landesebene bringt PRO BAHN die Fahrgastbelange in zahlreichen Detailgesprächen mit der Bayerischen Eisenbahngesellschaft, den großen Verkehrsverbünden und auch bei den Verkehrsunternehmen selber ein – auf Bundesebene durch zahlreiche Kontakte und Stellungnahmen, z.B. auch bei der jüngsten Entscheidung des Bundestages über den Börsengang der DB.

Eine pdf-Version mit Anlagen können Sie hier downloaden.

Rückfragen bitte an
oder Jörg Schäfer, Mausendorfer Weg 3, 91574 Neuendettelsau, Tel. (09874) 5801
v.i.S.d.P.: Thomas Schempf