Hintergrund-Informationen

Haller Willem bis Osnabrück

Erste Bahnlinie in Niedersachsen wird reaktiviert

Teil 1: Langer Atem zahlt sich aus (Juni 2000)
Teil 2: Scheitern des Funkfahrbetriebs (Februar 2002)
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Langer Atem zahlt sich aus (Juni 2000)

Erstmals seit der Regionalisierung wird in Niedersachsen eine Eisenbahnlinie reaktiviert. Das ist ein Erfolg der langjährigen Bemühungen von PRO BAHN Niedersachsen Südwest.

Die Bahnlinie von Bielefeld über Halle (Westfalen) (deshalb "Haller Willem" genannt) nach Dissen-Bad Rothenfelde und Osnabrück wurde im niedersächsischen Abschnitt bereits 1984 für den Personenverkehr stillgelegt. Auch der westfälische Abschnitt galt jahrelang als stillegungsgefährdet. Die Untersuchungen zum Nahverkehrsplan für Ostwestfalen-Lippe hatten aber gezeigt, dass es nicht gerechtfertigt war, die von der DB heruntergewirtschafteten, von Bielefeld ausgehenden Regionalstrecken einzustellen. Vielmehr wurden erhebliche Wachstumspotentiale festgestellt. Schon vorher hatten PRO BAHN Ostwestfalen-Lippe für die Modernisierung der Bahnlinie von Bielefeld nach Lemgo gekämpft und sich durchgesetzt: bundesweit konnte erstmals die Modernisierung einer Bahnlinie (80 km/h Höchstgeschwindigkeit, Rationalisierung) durchgesetzt werden. Hier galt bereits ein Bahn-Bus-Verbundtarif, und steigende Fahrgastzahlen bestätigten die Richtigkeit der Zukunftsinvestition.

Seit der gleichen Zeit war an der Bahnlinie von Bielefeld nach Osnabrück die Initiative Haller Willem, ein überparteilichen Zusammenschluss von VCD, GdED/Transnet, Naturschutzverbänden, Einzelpersonen und der PRO BAHN RV Ostwestfalen-Lippe und Niedersachsen-Südwest tätig. Dieser Initiative und dem Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe gelang es, die Bahnlinie Bielefeld - Halle - Dissen als externes EXPO-Projekt anerkennen zu lassen. Das beschleunigte die Bewilligung von Fördermitteln und die Bauarbeiten so, dass die Bahnlinie tatsächlich zum 28. Mai 2000 als mustergültig modernisierte Regionalbahn präsentiert werden konnte. Ein besonderer Schwerpunkt des Projektes ist die bahnhofsnahe Siedlungsentwicklung, die vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird.

Das vielfältige und kontinuierliche Engagement seit Anfang der 90er Jahre auch auf der niedersächsischen Seite überzeugte zuletzt große Teile der Bevölkerung und der Politik. Bevor die Reaktivierung spruchreif wurde, hatte der Landkreis Osnabrück die Strecke vor dem akut drohenden Abriss gerettet. Hierzu mussten gegen eine Stillegung sogar Rechtsmittel beim Eisenbahnbundesamt eingelegt werden. Die DB AG schließlich weigerte sich, die Strecke zu verkaufen, so dass der Landkreis die Strecke zu symbolischen Bedingungen anpachtete.

Auch bei der Landesregierung ist die Saat nun endlich aufgegangen. Bisher stand man dem Vorhaben dort sehr skeptisch gegenüber und will diese Strecke auch nicht als Auftakt für weitere Reaktivierungen verstanden wissen.

Der Prellbock im niedersächsischen Bahnhof Dissen-Bad Rothenfelde, der die Züge aus Westfalen nicht weiterfahren lässt, drohte zu einem Symbol für die niedersächsische Einstellung gegenüber dem öffentlichen Verkehr zu werden. Jetzt wird er fallen. Es ist zu erwarten, dass der Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe und der Landkreis Niedersachsen Hand in Hand arbeiten werden, um den durchgehenden Verkehr zu organisieren. Erste Berechnungen deuten darauf hin, dass nur ein weiterer Triebwagen nötig ist, um den Verkehr bis Osnabrück aufzunehmen.

Nach diesem Meilenstein geht es jetzt darum, für die prognostizierten 3600 Fahrgäste/Tag weiter für ein attraktives Zug-/Busangebot zu kämpfen und auch die Gemeinden weiter "pro Schiene" zu stimmen. Zuerst wird die Trasse für ca. 32 Mio. DM saniert.

Weitere Informationen

Seite der Initiative HW
EXPO-Projekt HW
Land Niedersachsen

Scheitern des Funkfahrbetriebs (Februar 2002)

Das Experiment des "Funkfahrbetriebes" (FFB) auf der Bahnlinie Bielefeld - Dissen-Bad Rothenfelde, im Volksmund "Haller Willem" genannt, gilt in Fachkreisen als gescheitert.

Als EXPO-Projekt wurde der "Haller Willem" mustergültig instandgesetzt, alle Bahnhöfe modernisiert und Konzepte zur Entwicklung der Bahnhofsumfelder gestartet. Dieser Teil des Projekts ist uneingeschränkt ein Erfolg. Die Fahrgastzahlen haben sich mittlerweile auf 3000 werktägliche Fahrten erhöht. Der Wochenendverkehr ist ebenfalls erfolgreich. Zusätzlichen Schub erhielt das Projekt durch die Bahn-Rad-Route Teuto-Senne von Osnabrück über Bielefeld nach Paderborn, die auch im zweiten Jahr viele Ausflügler anzog. Der Ausbau des nach Nordwesten weiterführenden, niedersächsischen Abschnitts von Dissen-Bad Rothenfelde nach Osnabrück ist beschlossen und läuft an.

Zusammen mit dem EXPO-Projekt wurde auch der FFB mit großen Vorschusslorbeeren "gestartet". Statt von der Strecke sollten nun alle Signale zur Steuerung des Bahnverkehrs aus dem All kommen. Als wesentliche Kosteneinsparung wurde immer wieder angeführt, dass ortsfeste Anlagen und aufwändigen Kabelkanäle für Steuerleitungen entbehrlich würden. Doch der FFB wurde bis zur EXPO nicht zur Einsatzreife gebracht, und so mussten die alten Formsignale restauriert werden. Auch in der Folge stellten sich zahlreiche technische Probleme ein, die nicht einfach gelöst werden konnten. Wie der Bahn-Report berichtet, hätten sich auch im Güterverkehr grundsätzliche Schwierigkeiten gezeigt: Beispielsweise sei es nicht einfach möglich, die sonst zur Streckensicherung eingesetzten Achszähler durch eine satellitengestützte Technik zu ersetzen, da dafür jeder Güterwagen mit einem Rechner ausgerüstet hätte werden müssen. In der Konsequnez würden so Kosten der Infrastruktur auf den Betreiber des Eisenbahnverkehrs verlagert.

Für die nach Beginn des Projekts beschlossene Wiederinbetriebnahme des niedersächsischen Abschnitts nach Osnabrück stellte sich somit auch die grundlegende Frage, welche Sicherungstechnik dort eingesetzt werden sollte. Angesichts der mangelnden Fortschritte und der negativen Erfahrungen entschied sich eine Arbeitsgruppe gegen den FFB.

Nachdem zunächst AdTranz und dann auch Siemens das Interesse an dem Projekt verloren haben, steht nun DB-Netz "alleine" da. DB-Netz hat nun das Problem, die Einstellung des Experiments nicht öffentlich zugeben zu können, denn sonst die Forderung auf Rückzahlung von Fördermitteln des Landes Nordrhein-Westfalen droht.

Die Industrie arbeitet derweil verstärkt an vereinfachten und preiswerteren standardisierten elektronischen Stellwerken für Nebenbahnen - und die Manager der DB-"Regent"-Netze wenden sich dieser bewährten Nebenbahntechnik zu.

Der Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe betont hingegen, dass durch den Misserfolg des Funkfahrbetriebes der Erfolg des EXPO-Projekts nicht gefährdet sei, denn die Signaltechnik sei für den Fahrgast nicht von Bedeutung.

letzte Änderung: 27.2.2002; 16.2.2004; Text: Rainer Engel, Matthias Wiegner

Weitere Informationen

Bahn-Report 2/2002: Ende des Funkfahrbetriebes (ausführlicher Hintergrundsbericht)
der Fahrgast 1/2002, Seite 2: Rezension 115 Jahre Haller Willem
der Fahrgast 1/2002, Seite 25f: Signale von der Bahn
PRO BAHN Zeitung 3/2001, Seite 42f: Signale aus dem All
PRO BAHN Zeitung 3/2001, Seite 44f: Bahn-Rad-Route Teuto-Senne

Verweise:
Bahn-Report
PRO BAHN Zeitung, der Fahrgast
Verkehrsgesellschaft Landkreis Osnabrück
PRO BAHN Reaktivierungsübersicht