Dieser Text basiert auf einem Artikel für die PRO BAHN Post August 2007 und wurde für das Internet leicht überarbeitet.

 

Die neue Wissenschaft: Fahrscheinkauf

Wenn man von der Deutschen Bahn AG (DB) zu einer anderen Bahngesellschaft umsteigt, merkt man dies am Aussehen der Züge und häufig am Service in und um den Zug, aber nur selten beim Bahntarif. Meist erhält man auch heute eine durchgehende Fahrkarte am Automaten oder Schalter, und muss sich nicht darum kümmern, dass man Züge zweier verschiedener Unternehmen benutzt.

Mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) gibt es jetzt ein Beispiel, bei dem es für den Fahrgast in vielen Fällen komplizierter werden kann. Letztes Jahr zum 1. August wurde südlich von München, auf der Strecke bis Holzkirchen, der Tarif umgestellt.

Der Grund für die Änderung liegt im Bereich der Abrechnung zwischen den beiden Bahngesellschaften. Nach Informationen von PRO BAHN hatte sich die DB geweigert, bei der Anerkennung des DB-Tarifs in den Zügen der BOB ihre Ausgleichszahlungen an die gestiegenen Fahrgastzahlen anzupassen. Da es ähnliche Probleme auch beim bis Holzkirchen von der BOB anerkannten Verbundtarif gibt, entspricht die Erlössituation bei weitem nicht den Fahrgastzahlen auf diesem Streckenabschnitt.

Seit 1.8.2006 wird der DB-Tarif in den Zügen der BOB zwischen München und Holzkirchen nicht mehr anerkannt. Auf dem betroffenen Streckenabschnitt wird jetzt, wie bereits vorher südlich von Holzkirchen, ein Tarif für sogenannte Anstoßverkehre angewendet. Der Fahrpreis setzt sich bei Fahrten, die über den Verkehrsverbund und das BOB-Netz hinausgehen, immer aus einem BOB- und einem DB-Anteil zusammen. Aus Sicht von PRO BAHN Oberbayern ist diese Regelung nicht praktikabel und weit von dem entfernt, was kundengerecht ist.

Durch die Umstellung kommt zwar die BOB etwas besser zu dem ihr zustehenden Geld, die Nachteile der neuen Regelung tragen aber die Fahrgäste. Bei allem Verständnis für die Probleme eines Eisenbahnunternehmens, das auch deshalb in dieser Situation ist, weil der Aufgabenträger Freistaat Bayern sich seiner Verantwortung entzieht, ist es die Aufgabe von PRO BAHN, eine Verbesserung einzufordern.

Warum in diesem Fall der Tarif für Anstoßverkehre zwischen DB und nicht-bundeseigenen Eisenbahnen (NE-Bahnen) nicht richtig funktioniert, hat verschiedene Gründe:

  1. Auf dem Streckenabschnitt München – Holzkirchen fährt sowohl die DB als auch die BOB. Bei einer solchen Parallelbedienung ist ein Anstoßtarif nach den Beförderungsbedingungen der DB nicht vorgesehen:
    "Anstoßverkehr im Sinne dieser Beförderungsbedingungen ist der Wechsel des Beförderers auf den Strecken der beteiligten Eisenbahnen auf aneinander anschließenden, nicht parallelbedienten Strecken."
    Dadurch, dass man sich nicht an die eigenen veröffentlichten Bestimmungen hält, ist der Fahrpreis nun von der Wahl des Beförderers und vom Umsteigepunkt abhängig. Will man von einer S-Bahn-Station in der Münchner Innenstadt zu einem Bahnhof im Oberland, können sich so bis zu fünf unterschiedliche Preise für die gleiche Fahrstrecke ergeben.
     
  2. Außer in München grenzt auch in Holzkirchen eine von der DB bediente Strecke an den BOB-Abschnitt an. Damit treten die bekannten Probleme beim doppelten Übergang zwischen DB und einer NE-Bahn auch hier auf. Zwischen dem Mangfalltal und dem restlichen DB-Netz kann die DB für eine Verbindung mit BOB-Anteil keinen durchgehenden Fahrschein verkaufen. Fahrgäste beispielsweise ab Bruckmühl nach Augsburg müssen beim Umsteigen in Holzkirchen oder München einen zweiten Fahrschein erwerben, wenn sie Züge der BOB nutzen.
     
  3. Die BOB erlaubt im Gegensatz zur DB keine kostenlose Mitnahme eigener Kinder bis 14 Jahre. Damit entstehen zwischen Verbindungen mit BOB-Anteil und reinen DB-Verbindungen gerade bei der Kindermitnahme enorme Preisunterschiede.
     
  4. Die Nahverkehrsautomaten der DB im Raum München verkaufen auch Fahrscheine ins BOB-Netz, berechnen aber im Gegensatz zu Fernverkehrsautomaten oder zum Schalterverkauf bis Holzkirchen den DB-Tarif. Die Tickets haben damit nicht nur abweichende Preise, sie werden auch inklusive kostenloser Mitnahme eigener Kinder verkauft, obwohl diese Regelung bei der BOB nicht gilt. Offiziell dürfen mit solchen Fahrscheinen bis Holzkirchen die BOB-Züge nicht genutzt werden. Da dies für den Fahrgast nicht erkennbar ist, wird er ganz schnell und unbeabsichtigt zum Schwarzfahrer.

Das entstandene Tarifchaos müssen nun die Fahrgäste ausbaden. Die Bahnunternehmen lösen ein Problem, das sie miteinander haben, indem sie es zu einem Problem ihrer Kunden machen. Und dies mit Wissen und Billigung des Bestellers. Motto der im öffentlichen Auftrag handelnden Bayerischen Eisenbahn-Gesellschaft (BEG) scheint zu sein, sich bei Tariffragen vornehm zurückzuhalten, und dies den Unternehmen zu überlassen. In einem regulierten Markt wie dem Schienennahverkehr Tarife von einer Kontrolle durch den Auftraggeber auszunehmen, kann aber auf Dauer nicht gutgehen. Ohne eine solche Kontrolle werden sich bei Tariffragen die Lasten immer mehr in Richtung Fahrgäste verschieben.

Unverständlich ist auch, wie eine solche Situation entstehen kann, obwohl DB und NE-Bahnen unter dem Dach des Tarifverbands der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen (TBNE) zusammenarbeiten. In der Juni-Ausgabe der DB-Zeitung "Regio Aktuell" wird der Geschäftsführer der TBNE, Bernd Rössner, mit folgendem Satz zitiert: "Ein attraktiver und damit eben durchgehender Tarif bietet die Chance, neue Kunden zu gewinnen." Zwischen Holzkirchen und München scheinen dann die Uhren rückwärts zu gehen – dort geschieht genau das Gegenteil. Im selben Interview stellt Herr Rössner fest, dass ein Anstoßtarif nur noch in Ausnahmefällen sinnvoll ist. Die TBNE muss sich fragen lassen, warum dann im BOB-Netz diese Tarifform zu Lasten der Fahrgäste ausgeweitet wurde. Es wird Zeit, dass die von dieser Organisation und damit auch von DB und BOB vertretene Tariftheorie in eine dementsprechend kundenfreundliche Praxis umgesetzt wird!

Solch eine kundengerechte Tarifzusammenarbeit verschiedener Bahn- und Busunternehmen gibt es beispielsweise in unserem Nachbarland Schweiz schon seit Jahrzehnten. Da auch in Deutschland der Übergang zwischen verschiedenen Bahngesellschaften immer mehr zum Normalfall wird, sollten sowohl die TBNE als auch die Aufgabenträger nicht nur in Worten, sondern auch in Taten für eine der Schweiz vergleichbare Tariflandschaft eintreten. Genauso wie PRO BAHN für eine unternehmensunabhängige Infrastruktur eintritt, ist auch ein unternehmensübergreifender Tarif und ein unabhängiger Fahrscheinvertrieb anzustreben. Dies sind aber politische Fragestellungen. Wenn man wie in Bayern hofft, dass Bahnunternehmen dies unter sich regeln können, werden es immer die Fahrgäste sein, die die Probleme letztlich ausbaden müssen.

PRO BAHN Oberbayern hat eine Analyse der Situation zwischen München und Holzkirchen veröffentlicht. Den Forderungen nach einer Änderung des momentanen Zustands wurde mit einer Pressemitteilung Nachdruck verschafft. Auch wenn bisher nur die BOB zu einem Dialog bereit war und von anderen Beteiligten keine Reaktion erfolgte, wird PRO BAHN die Problematik weiter thematisieren und nicht locker lassen.

Eine Beibehaltung der jetzigen Situation kann aus Sicht der Fahrgäste nur als Scheitern beurteilt werden. Ebenso ist es aber als Scheitern zu beurteilen, wenn der Aufgabenträger zulässt, dass ein von ihm beauftragtes Unternehmen mittels einer unfairen Erlösaufteilung so benachteiligt wird, dass es in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommt. Auch die BOB gehört zu einem Konzern, aber Konzernzentralen sind nicht immer beliebig geduldig, wenn es irgendwo Probleme gibt.

Die ausführliche Problemdarstellung von PRO BAHN und eine Liste von Beispielen findet man im Internet unter http://www.pro-bahn.de/oberbayern/tarif-m-holzk/.