Hintergrund-Informationen

Studie: Schienenverkehr statt Busverkehr

"Schienenverkehr statt Busverkehr bedeutet ein Wachstum der Fahrgastzahlen um 80%, die bei nicht vollständiger Auslastung der Bahnen auch eine einhergehende Zunahme der Einnahmen bedeuten würde."

Mit dieser Untersuchung liegt erstmals eine systematische Erfassung der längst bekannten, aber noch nicht erforschten Unterschiede in der Annahme von Bahn und Bus in der Fläche vor.

Baulandentwicklung an der Schiene
Verfasser: Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund
Herausgegehen vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
Mai 2000

Bezug:
kostenlos von GWN GmbH, Am Krausenbaum 11, 41464 Neuss
Fax 0 2131 / 74 50 21 32
unter Angabe der Veröffentlichungs-Nr. 1325

Hier der volle Text des Schlusskapitels:

Fazit

Diese empirische Untersuchung bezieht sich allein auf Kommunen im Ballungsrand und ist zunächst nur für diesen Raumtyp verallgemeinerbar. Auf Grund der dynamischen Siedlungsentwicklung, der hohen Motorisierung, einer im Vergleich zu den Ballungskernen niedrigeren Arbeitsplatzdichte und hohen Pendlerströmen sind diese Räume aber in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Dazu ergeben sich gerade im polyzentrischen Rhein-Ruhr-Raum vielfältige Verflechtungen.

Verkehrsverhalten wird von einer Reihe von Faktoren bestimmt: Durch eine sorgfaltige Auswahl der Gebietspaare, die nach ihrer Lage zu den Zentren, ihrer Raumstruktur und ihrer sozialen Struktur weitgehend übereinstimmen, konnten wichtige Einflussfaktoren konstant gehalten werden, um den Einfluss des Schienenhaltepunkts herauszuarbeiten. Sehr wesentlich für die Vergleichbarkeit der Gebiete sind darüber hinaus die herausgearbeiteten Übereinstimmungen in den wichtigen Mobilitätskennwerten, wie Zahl der mobilen Personen, Zahl der Wege, zurückgelegte Entfernungen sowie Zeit im Verkehr.

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung lautet: Bewohner eines Gebietes innerhalb 1000 m um einen Schienenhaltepunkt nutzen den ÖPNV häufiger als Bewohner in Gebieten mit reiner Busanbindung. Die Bewertung des dargestellten Unterschiedes von durchschnittlich vier Prozentpunkten im Modal-Split kann aus verschiedener Perspektive erfolgen. Auf der einen Seite mögen es "nur" 4 % sein und die gesamte Nutzung des Öffentlichen Verkehrs verharrt auch in den gut angebundenen Gebieten mit rascher Schienenverbindung in die umliegenden Zentren unter 10%. Auf der anderen Seite bedeutet eine solche Zunahme bei einem entsprechend niedrigen Ausgangsniveau ein Wachstum der Fahrgastzahlen um 80%, die bei nicht vollständiger Auslastung der Bahnen auch eine einhergehende Zunahme der Einnahmen bedeuten würde. Oder anders gerechnet: Steigt - wie hier beobachtet - jeder zehnte Pkw-Fahrer in die Bahn um, so bewirkt dies dort fast eine Verdopplung der Fahrten. Ein weiteres Indiz für den tatsächlichen Einfluss des Bahnanschlusses ist die etwa gleich hohe Zunahme der ÖPNV-Nutzung in den gut angebundenen Gebieten gerade bei denjenigen mit ständiger Pkw-Verfügbarkeit.

Die allgemeinen Ergebnisse des Verkehrsverhaltens werden auch durch die größere Anzahl der Stammkunden in den Gebieten mit einem Schienenhaltepunkt bestätigt. Hier beträgt der Unterschied sechs Prozentpunkte. Gleichzeitig sinkt der Anteil derjenigen, die den ÖPNV nur wenige Male im Jahr oder überhaupt nicht nutzen um 14 Prozentpunkte. Diese größere Nutzungshäufigkeit öffentlicher Verkehrsmittel setzt sich bei den Haushalten mit einer Zeitkarte fort und zeigt selbst Auswirkungen bei den Nutzern größter Wahlfreiheit, also mit einem ständig verfügbaren Pkw. Daher kann in einem ersten Fazit festgestellt werden, dass ein qualitativ hochwertiger Schienenanschluss nicht nur denjenigen nützt, die schon bisher viel mit dem ÖPNV unterwegs sind (Jüngere, Ältere oder Nichtmotorisierte etc.). Dadurch dass auch eher Pkw-affine Personen durch den gezeigten Schieneneffekt erreicht werden, ergeben sich Potenziale für eine ver- länderte Verkehrsabwicklung. Allerdings deuten die rapide sinkenden Nutzungszahlen bei den Haushalten mit Zweit- und Mehr-Pkw auf die Notwendigkeit eines adäquaten ÖPNV-Angebots inklusive geeigneter gruppenspezifischer Marketing-Strategien hin. Die größere gemessene Zufriedenheit der Bewohner mit "ihrem ÖPNV" bei paralleler Gleichbewertung der Einzelmerkmale ist ein Indiz dafür, dass die Schiene im Bewusstsein der Bewohner eine größere Rolle spielt. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass in einer Entfernung über 1000 m keine Wirkung des Haltepunktes mehr zu verzeichnen ist. Alle Ergebnisse zeigen deutlich, dass über diese Entfernung hinaus das Verkehrsverhalten mit dem der Bewohner ohne Anschluss an die Schiene praktisch identisch ist. Wo genau die Grenze des Einflusses verläuft, konnte hier nicht geklärt werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass 1000 m ein Maximum darstellt, der engere Einzugsradius jedoch kleiner zu fassen ist.

Aus der Betrachtung nach Wegezwecken geht hervor, dass die Unterschiede im Verkehrsverhalten insbesondere auf den entfernungsintensiven Berufsverkehr zurückzuführen sind. Hier liegen besondere Einsparpotenziale bei den mit dem Pkw zurückgelegten Entfernungen. Da die ÖPNV-Anteile bei den Einkaufs- und Freizeitwegen auf einem geringeren Niveau liegen, wird dabei auch deutlich, dass die Betrachtung der einzelnen Aktivitäten besonderes Augenmerk verdient. Der niedrigere Zuspruch bei der ÖPNV-Nutzung ist allerdings darauf zurückzuführen, dass große Teile der Freizeit- und noch ausgeprägter der Versorgungswege zu Zielen in geringer Entfernung führen, für die die Benutzung des Öffentlichen Nahverkehrs kaum einen Vorteil bringt. Die Untersuchung der Entfernungen im Berufsverkehr verdeutlicht, dass der ÖPNV seine systemimmanenten stärken vor allem auf Distanzen von 10-50 km besitzt. Aber auch bei den Freizeitwegen liegt die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs in den Orten mit Haltepunkt signifikant höher als im Fall ohne Schienenanbindung.

(Mai 2000)