PRO BAHN Resumee: 10 Jahre ICE

Der Anfang

Am 2. Juni 1991 wurde der ICE-Verkehr in Deutschland offiziell eröffnet, als erste Linie wurde die Linie Hamburg - Frankfurt - München gestartet. Motivation für die Konstruktion und spätere Beschaffung des ICE war, daß die Neubaustrecken neues, drucktüchtiges Wagenmaterial erforderten. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um ein neues Angebot zu schaffen, das als Hauptkriterium schnell und komfortabel ist. Dabei war am Anfang geplant, die bestehenden IC- und InterRegio-Züge als Ergänzung beizubehalten. Eine Umstellung auf den ICE sollte nur erfolgen, wenn aufgrund einer Neubaustrecke deutlich kürzere Fahrzeiten erreicht werden konnten. Der ICE wurde - auch aufgrund der intensiven Werbung und als Symbol einer modernen Bahn - am Anfang begeistert aufgenommen. Der dazugehörige Werbeslogan war: "Vor 156 Jahren war Bahnfahren aufregend - jetzt ist es wieder soweit."

Ausweitung des Netzes

Doch bereits 1992 entstand das Problem, das die Züge von Hamburg über Würzburg nach München mit der Umstellung auf den ICE nicht schneller wurden, weil die eingesparte Fahrzeit auf der Neubaustrecke durch den Umweg über Nürnberg wieder aufgebraucht wurde. 1992 wurde auch erstmals ein ICE-Zugpaar auf der Strecke Hamburg- Frankfurt - Basel - Zürich eingesetzt - in Abweichung vom ursprünglichen Konzept, das mindestens Stundentakt und Schnellfahrstrecken vorgesehen hat. Dies war aber nur der ersten Sündenfall, "aus Imagegründen" erfolgte nun häufiger eine Umstellung auf ICEs, wo dies weder von den Reisendenzahlen noch von der Reisegeschwindigkeit angebracht war.

Relationstarif

1992 wurde der Relationstarif statt ICE-Aufpreisen zu normalen Fahrkarten eingeführt. Bereits für 1994 war geplant, daß dieses Sys= tem den gesamten Fernverkehrstarif ersetzt und unter anderem IC-Zuschläge ersetzt. Nach mehrfachem Verschieben und Änderungen des Tarifmodells ist derzeit die Einführung unter dem Namen PEP für Mitte 2002 geplant.

ICE-Varianten

In den letzten Jahren ist eine erstaunliche Vielfalt an ICE-Typen entstanden. Die neueste Variante, der ICE TD kann so wenige Fahrgäste aufnehmen, sie praktisch immer im Defizitbereich fährt. Zum Sommerfahrplan 2002 wird diese Entwicklung vervollständigt: Auf der Strecke Nürnberg - Hof ist die ICE-Verbindung langsamer als der Regionalexpreß! Zugleich wird der bisher durchgehende EuroCity München - Zürich durch einen Diesel-ICE zwischen München und Lindau und einen IC in der Schweiz ersetzt. Der Diesel-ICE ist zwar nicht schneller als der bisherige EuroCity, aber deutlich teurer.

Verwässerung des Produktes

Der Anfangserfolg des Spitzenprodukts ICE sollte auf möglichst viele Strecke übertragen werden. So wurden auch solche Zugverbindungen in ICE-Relationen umgewandelt, auf denen die Produktmerkmal Geschwindigkeit nicht erreicht werden konnte oder die nicht genügend Fahrgastpotential boten.

Der dadurch geschaffene Kostendruck führte zu eigentlich unnötigen Sparmaßnahmen. So wird beispielsweise und die Überlastung einzelner Zugverbindungen am Wochenende toleriert, statt mit ausreichenden Entlastungszügen die Produktqualität zu sichern.

Das Image des ICEs wird immer noch weiter verwässert: Auch die anderen Fernverkehrszüge werden jetzt im typischen ICE-Aussehen angestrichen.

Damit weiß der Fahrgast beim Besteigen eines Zuges nicht mehr, welche Leistung er auf einer Reise zu erwarten hat, die Zugqualität wird nicht mehr transparent.

Die einst mühsam gepflegte Marke ICE verfällt.

Streckenausbau

Auch der Ausbau der notwendigen Strecken ist ins Stocken geraten: Massive Kostenüberschreitungen bei Strecken in Berlin, Frankfurt - Köln oder München - Nürnberg führen teilweise zu Kompromissen, die für mehr Geld schlechtere Leistung bieten als im Vorfeld ausgeschiedene Alternativen. Der Fortschreibung der Ausbaumaßnahmen und die weitere Netzkonzeption ist ins Stocken geraten. Gerade im Vergleich zum Hauptkonkurrenten Straße wird nicht nur zu wenig, sondern praktisch nichts getan. Die Verbesserung der Verbindung München - Berlin ist für die nächsten Jahre nicht mehr absehbar, weil an einer unsinnigen, zeit- und kostenraubenden Streckenführung festgehalten wird.

Einbindung ins Gesamtnetz

Ein mit Hochgeschwindigkeit verkehrender Zug kann alleine für den Fernverkehr in Deutschland kein gutes Angebot bieten. Vielmehr muß er von anderen, attraktiven Angeboten flankiert werden. Bei Inbetriebnahme des ICE-Systems war geplant, daß im Jahr 2000 je ein Viertel des Schienen-Personen-Fernverkehrs vom ICE, von IC-Zügen, vom InterRegio und auf andere Weise abgedeckt wird. Die letzten drei Kategorien wurden allerdings in den letzten Jahren systematisch entfernt. Dies hat an vielen Stellen zu Angebotsverschlechterungen geführt, die wieder rückgängig gemacht werden müssen.

Der Kostendruck auf die Bahn wird durch den Einsatz der teuren ICE-Züge auf für diese unwirtschaftlichen Strecken verstärkt. Der Versuch, durch Einsparungen bei der Wartung von Fahrzeugen und Fahrweg einen Teil dieser Kosten aufzufangen, hat die Zuverlässigkeit des Systems Bahn beschädigt.

Nur durch ein mehrstufiges Angebot kann das Spitzenprodukt ICE und der öffentliche Verkehr insgesamt attraktiv sein. Und nur in der Gesamtplanung für einen Integralen Taktfahrplan im Fernverkehr ergeben sich auch die vordringlich auszubauenden Streckenabschnitte für den ICE.

Heute erscheint der Fernverkehr leider immer häufiger als Bedrohung der regionalen Streckennetze. Es erscheint zweifelhaft, ob der Fernverkehr wirklich eigenwirtschaftlich ist, und wohin die Trassengebühren für den Regionalverkehr verschwinden. Die Bundesregierung wird ihrer grundgesetzlichen Verpflichtung, einen guten Fernverkehr zu garantieren, leider nicht gerecht.

Eschede

Der ICE-Unfall von Eschede am 3. Juni 1998 war das schlimmste Ereignis in den 10 Jahren ICE. Bei diesem Unfall starben 101 Menschen.

Im Laufe der weiteren Ermittlungen stellte sich als Unfallursache ein gebrochener Radreifen heraus. Daraufhin wurden in allen ICEs die Radreifen durch Monoblockräder ausgetauscht, bis November 1998 wurde daher viele ICEs durch konventionelle Züge ersetzt. Der Unfall von Eschede war der Einstieg in eine Sicherheitsdiskussion bei der Bahn.

Zusammenfassung

In den vergangenen 10 Jahren hat der ICE Erfolge gezeigt. Allerdings hat die Bahn es auch in weniger als zehn Jahren geschafft, aus einem innovativen Produkt mit Entwicklungspotential ein schöngeredetes Verlustgeschäft auf Kosten der Fahrgäste und Steuerzahler zu machen. Mit dem neuesten Sproß der ICE-Familie, dem ICE-TD ist ein vorläufiger Höhepunkt erreicht, er fährt mit Verlust, wenn er nicht über 100 Prozent ausgelastet ist.

Der ICE ist ein Symbol für die Bahn in den letzten Jahren geworden - auch für die Probleme der Bahn.

Um dem ICE wieder den Erfolg zu geben, den er am Anfang hatte, muß wieder eine Rückbesinnung auf die Grundüberlegungen erfolgen:

  • Den ICE nur dort verwenden, wo entsprechende Geschwindigkeiten gefahren werden können.
  • Das ICE-Netz muß von einem langsameren und billigeren Fernverkehrsnetz (wie dem Interregio) überlagert werden.
  • Die Gesamtplanung für den Fernverkehr muß integriert werden; daraus ergibt sich auch, welche Strecken vorrangig ausgebaut werden müssen.
  • Der Ausbau der notwendigen Strecken muß vorangetrieben werden.
  • Die Marke ICE muß eindeutig positioniert werden.
Andreas Barth; 30.05.01

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