Lese-Tipp

Abschied mit Hoffnung

Die Epoche des Interregio ist vergangen. Die allerletzten Züge dieser Gattung verkehren noch zwischen Berlin und Chemnitz, aber nur noch auf Abruf. Ein Buch zum Abschied? Meistens beschreiben Abschiedsbücher verklärend die Fassade, die nicht mehr ist.

Die herrlichen Fotos, die in ihrer Auswahl alle Erscheinungsformen des Interregio beleuchten, hat das Buch mit anderen Eisenbahnbüchern gemein. Doch schon beim Blättern fällt auf, dass sich die Dokumentation nicht auf schöne Fotos beschränkt. Design-Studien, Dokumente, Netzgrafiken - alles, was man sucht, ist hier liebevoll zusammengestellt.

Karl-Dieter Bodack hat ein Buch geschaffen, das ganz anders ist. Denn der Interregio war ganz anders. Nicht wie der Rheingold, der eine Legende war, weil der Normalverdiener ihn immer nur von außen sah. Nicht wie der "Fliegende Hamburger", der legendär schnell, aber auch kaum bezahlbar war. Nicht wie der ICE, der zwar bezahlbar ist, aber durch seine Geschwindigkeit besticht. Nicht wie der Glacier-Express, der zwar langsam fährt, aber durch eine einzigartige Landschaft.

Der Interregio fuhr überall. Im Flachland, in die Berge. Im Westen, dann auch im Osten. Er war ein Zug für alle, vor allem für die Menschen aus der Region, und für die, die in die Region wollten. Auf 20 Linien fuhren täglich über 400 Züge und bedienten im 2-Stunden-Takt über 300 Bahnhöfe. Außen ansprechend, aber unspektakulär, innen aber neu wie kein anderer Zug vorher. "Ein menschlicher Zug", wie Werbeprospekte belegen.

Der Interregio war das Kind eines Aufbruchs der alten, verstaubten Bahn hin zu ihren Fahrgästen. Eigentlich war das eine Revolution. Bevor das Wort "kundenorientiert" in das Vokabular der Marketing-Strategen Eingang fand, bevor die städtischen Verkehrsunternehmen ihre Fahrgäste entdeckten, hatte Karl-Dieter Bodack das im Blut, was ein Produkt erfolgreich machen kann: das Denken vom Kunden her.

Doch diese innere Bahnreform hatte nur ein kurzes Leben. Die sogenannte politische Bahnreform hat dem Interregio das Leben gekostet. Die "Börsenbahn" denkt nicht an den Kunden, sondern nur an das Geld aus dessen Geldbörse. So wurde der Interregio verstümmelt und kaputtgerechnet. Bodack beschreibt bis ins Detail, wie der Interregio entstand, wie er war und wie er wieder unterging. Bodack (be-)schreibt exakt, doch nicht wissenschaftlich. Dabei unterscheidet sich Bodack von vielen anderen Autoren, deren Bericht bei der Technik aufhört. Die unternehmenspolitischen Zusammenhänge kommen genauso schlagkräftig zum Tragen wie die kleinen Vorkommnisse am Rande und die Emotionen, die den "Vater des Interregio" bewegt haben. Dennoch ist das Buch keine Anklage, sondern dort, wo Kritik angebracht ist, ausgesprochen nüchtern und damit um so aufreizender. Man kann dieses Buch nicht aus der Hand legen, ohne dass Wut oder Trauer sich einstellt.

Doch damit läßt es Bodack nicht bewenden. "Wo Leben ist, da ist Hoffnung," schließt Bodack. Mit Recht: So manche Revolution hat schon ihre Kinder gefressen - und erst die Enkel sind wirklich frei geworden. Ob Flex, Alex oder Interconnex - der Geist des Interregio lebt. Und wenn man sich in das Obergeschoss des Schweizer Doppelstockzuges verirrt, kann man ermessen, dass der Interregio wiederkommen könnte. Denn die Fahrgäste und ihre Bedürfnisse sind immer noch dieselben: Die Fahrgäste haben den Interregio geliebt und ihm beste Noten erteilt, nicht ganz so schnell, aber komfortabel und direkt - so mochten viele unterwegs sein.

Dem ehemaligen Interregio-Fahrgast gibt dieses Buch eine letzte Chance, mit dem Kauf für den Interregio abzustimmen.

Karl-Dieter Bodack: InterRegio. Die abenteuerliche Geschichte eines beliebten Zugsystems
192 Seiten, 283 Abb.
Eisenbahn-Kurier-Verlag Freiburg 2004
29,80 Euro
ISBN 3-88255-149-6.

Autor: RE