Neue Wettbewerbsstrukturen - Fluch oder Segen?
Aus der Presse war schon zu entnehmen: Der Wettbewerb im Öffentlichen Verkehr soll verstärkt werden. Doch was bedeutet dies für die Fahrgäste? Ein Beitrag aus der PRO BAHN POST (Heft 03/2001), dem Mitteilungsblatt des Regionalverbands Oberbayern, widmet sich dieser Fragestellung.
Bisher ...
Bisher unterlag der Busverkehr einer Konzessionspflicht: nur der Konzessionsinhaber durfte (und musste aber auch) fahren; er ist rechtlich weitgehend unabhängig und hatte so beispielsweise (theoretisch) die Tarifhoheit.
Im Schienenverkehr dagegen darf theoretisch jeder fahren -- wenn es sich für ihn rechnet. Viele Verkehre sind aber nur mit Zuschüssen wirtschaftlich darstellbar. Diese Zuschüsse wurden de-facto in den meisten Fällen nach Verhandlungen mit einem einzigen Unternehmen per Vertrag an dieses Unternehmen gegeben, ohne daß es davor eine Ausschreibung der entsprechenden Leistung gab.
Im Bereich von Busverkehren können sich derzeit theoretisch alle Unternehmen aus der gesamten Europäischen Union für Konzessionen bewerben, wenn die Öffentliche Hand Zuschüsse gibt. De-facto werden jedoch weiter die Bestimmungen für "eigenwirtschaftliche Konzessionen" auf eine Art und Weise angewendet, daß Wettbewerb kaum besteht. Diese Rechtsanwendung - auch beim Eisenbahnverkehr - erscheint für die Zukunft mehr als nur fraglich.
Zum einen gibt es derzeit einen Vorlagebeschluß des Bundesverwaltungsgerichtes an den Europäischen Gerichtshof, der die Vereinbarkeit der deutschen Gesetze mit europäischem Recht prüfen läßt. Als Ergebnis könnte herauskommen, daß die einzig europakonforme Auslegung ist, daß (beinahe) alle Konzessionen zukünftig ausgeschrieben werden müssen. Übergangsfristen würde es in diesem Fall, wenn überhaupt, nur sehr kurze geben.
Zum anderen gibt es derzeit Vorschläge zur Überarbeitung der Verordnung 1191/69/EWG. Die neue Verordnung wäre Basis für die Vergabe von ÖPNV-Leistungen innerhalb der Europäischen Union. Sollte der derzeitige Vorschlag umgesetzt werden (womit trotz der starken Kritik an Details zu rechnen ist), so wäre praktisch alles ausschreibungspflichtig. Diese neue Verordnung wird (zusammen mit der neuen Transparenzrichtlinie und der Infrastrukturverordnung) für die nächsten Jahrzehnte die Basis der Struktur der Öffentlichen Verkehrsmittel bilden.
Neue Vorschläge ...
Folgendes soll sich durch die neuen Regeln, die einheitlich für jede Art des Nahverkehrs (also auch auf der Schiene) gelten sollen, ändern:
- Die Aufgabenträger (auf Ebene der Europäischen Union heissen diese "zuständige Behörden") können zwingend für alle allgemeine Standards wie Ausstattung der Busse, Qualitätsmanagment oder auch Integration in ein einheitliches Tarifsystem vorschreiben; für bestimmte dieser Standards kann ein finanzieller Ausgleich gewährt werden
- Wenn obiger Ausgleich über 20% der Einnahmen des Unternehmens sind, es weitergehende öffentliche Zuschüsse gibt oder exklusive Rechte (wie die derzeitigen Konzessionen) gewährt werden, dann muß ein "gemeinwirtschaftlicher Vertrag" geschlossen werden; dieser hat eine maximale Laufzeit von 5 Jahren, wenn nicht Investitionen erforderlich sind, die nur lokal verwendbar sind (Beispiel: Fahrzeuge für die Wuppertaler Schwebebahn). Derartige Verträge müssen - von wenigen, in der Praxis wohl unbedeutenden Ausnahmen abgesehen - immer ausgeschrieben werden. Wenn keine staatlichen Mittel, sondern nur exklusive Rechte vergeben werden, gibt es einen Qualitätswettbewerb; das Unternehmen, das den höheren Qualitätsstandard anbietet, gewinnt. Damit wird das komplette Feld der Öffentlichen Verkehrsmittel dem Wettbewerb geöffnet.
- Die Unternehmen müssen umfangreiche Daten offenlegen.
- In vielen Fällen haben die allgemeinen Regelungen für die Vergabe von Dienstleistungen Vorrang vor der Regelung für die Vergabe von Verkehrsleistungen.
- Verkehrsinfrastruktur ist nur ortsfeste Infrastruktur und Navigations- und Kommunikationssysteme für den Betrieb dieser Infrastruktur. Nur diese Infrastruktur darf - wenn sie jedem interessierten Unternehmen diskriminierungsfrei offensteht - unabhängig von Zuschüssen für Verkehre (siehe oben) bezuschusst werden. GVFG-Mittel für Busse werden damit der Vergangenheit angehören. An Unternehmen, die die Infastruktur nutzen, dürfen Zuschüsse für die Nutzung der Infrastruktur nur gewährt werden, wenn die Nutzung für den Güterverkehr erfolgt und nur in dem Umfang, in dem bei konkurrenzierenden Verkehrsträgern nachweislich größere ungedeckte externe Kosten bestehen.
... und die Folgen
Die neuen Vorschläge sind an vielen Stellen ein Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Zustand. So werden den Aufgabenträgern die Mittel in die Hand gegeben, die sie brauchen, um ein einheitliches Angebot auch dann sicherzustellen, auch wenn sie nicht - wie die Stadt München heute - Eigentümer des Verkehrsunternehmens sind. Die Verantwortung für attraktive Öffentliche Verkehrsmittel liegt damit dann eindeutig bei den Aufgabenträgern. Ebenso ist erfreulich, daß die Europäischen Organe mit diesem Vorschlag bestätigt haben, daß ein hohes Qualitätsniveau Ziel der Regelungen sein soll.
Interessant ist die Auswirkung auf die Schieneninfrastruktur: Wenn eine private oder vom Staat getrennte Firma diese unterhält, so wie dies heute die DB Netz AG tut, dann sind Zuschüsse nur unter ganz bestimmten Bedingungen erlaubt; bereits heute stehen aber die Mittel nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSchwaG) im Verdacht, europarechtswidrig zu sein. Würde dagegen das Schienennetz von einer Behörde geführt, dann gäbe es keinerlei rechtliche Bedenken gegen staatliche Mittel in beliebiger Höhe.
Qualifikation und Motivation des Personals ist von entscheidender Bedeutung für die Qualität und damit auch die Akzeptanz des Angebotes. Gerade deswegen sollte der Wettbewerb auch kein Wettbewerb nur um den Preis sein. Auch die Sicherstellung der Qualifikation des Personals sollten für die Aufgabenträger möglich sein; Qualifikation und Lohnniveau sind aber nur zwei Seiten der gleichen Medaillie.
Wenn die Unternehmen nicht ein ausreichendes Maß an unternehmerischer Risiko tragen, wird anstelle der spezialisierten Regelungen für den Öffentlichen Verkehr die Dienstleistungsrichtlinie angewendet, die auch für Vergabe anderer Dienstleistungen wie Gebäudereinigung gilt. Diese enthält aber gerade keine Sonderbestimmungen für Öffentliche Verkehrsmittel. So würden beispielsweise festgelegte Mindestkriterien für Verträge, die nach der Dienstleistungsrichtlinie vergeben wurden, nur dann verbindlich, wenn sie auch Teil der Ausschreibung sind. An dieser Stelle ist noch eine Nachbesserung erforderlich.
Die Hoffnung der Verkehrsunternehmen und ihrer Eigentümer, daß die oben angesprochenen Ausnahmen von der Ausschreibung als Nachfolger der eigenwirtschaftlichen Konzessionen Verkehrsunternehmen vor dem Wettbewerb schützen könnte, wird sich nicht erfüllen. Die Konzessionen in Deutschland sind eindeutig exklusive Rechte; eine Abschaffung der exklusiven Rechte würde den Wettbewerb eher intensivieren denn verhindern. Auch die weiteren Ausnahmen dürften nicht zum Tragen kommen: Nachzuweisen, daß nur eine Direktvergabe die Einhaltung der Sicherheitsstandards erlaubt (Artikel 7I), dürfte beinahe unmöglich sein, weil die Sicherheitsstandards Teil der Ausschreibebedingungen sein können - auch wenn es dann eventuell nur ein Angebot gibt. Der Nachweis, das der Koordinierungsaufwand höher ist als der Nutzen der Ausschreibung (Artikel 7II), wird im allgemeinen auch nicht weiterhelfen, da dazu praktische sämtliche interne Kalkulationen der Verkehrsunternehmen rechtzeitig offen gelegt werden müssen - für ein Unternehmen im Wettbewerb tödlich. Die einzige wirklich wirksame Ausnahme wird sein, daß bei neuen Verkehren, die keine Zuschüsse, sondern nur exklusive Rechte benötigen, der erste Vertrag ohne Ausschreibung geschlossen werden kann - für maximal 5 Jahre, und soviele neue eigenwirtschaftliche Verkehre wird es nicht mehr geben.
Vor dem Wettbewerb lassen sich aber einzelne Teile schützen, wenn sie in die Verwaltung integriert werden: Sei es die Festlegung der Tarife, die Bereitstellung der Infrastruktur, die Koordinierung der Verkehre, der Kauf der Fahrzeuge, ja sogar das Personal. Vorbedingung ist aber in jedem Fall, daß die vom Staat verwalteten Mittel jedem Unternehmen diskriminierungsfrei, das heißt zu den absolut gleichen Bedingungen, zur Verfügung gestellt werden.
Die derzeitige Orgnisation der Schülerverkehre, die sich auf die §45a-Mittel stützen, wird hinfällig werden. Denn häufig werden dazu GFVG-geförderte Busse eingesetzt, die Zuschüsse für die Fahrtkosten sind über 20% der Einnahmen des Unternehmens, es gibt exklusive Rechte. Damit wird aber Ausschreibung zwingend, die Förderung wird nicht mehr von den beförderten Personen und der gefahrenen Strecke abhängen, sondern von den echten Kosten.
Noch ein Absatz zu den Gesetzen:
Das europäische und das deutsche Recht klaffen schon jetzt in den
Begriffen, Strukturen und Werkzeugen auseinander. Seit Ende der 60er Jahre
bereits sind Busunternehmen normalerweise auf Zuschüsse angewiesen, während
das Recht nachwievor vom Regelfall des eigenverantwortlichen Unternehmens
ausgehen, der ohne Zuschüsse ein attraktives Angebot machen kann. Durch den
Einbau der gemeinwirtschaftlichen Konzession hat
sich die Situation eher verschlechtert: Es gibt ein geeignetes Werkzeug,
das nicht genutzt wird. Einer der Wege, durch die nachwievor
eigenwirtschaftliche Konzessionen ermöglicht werden, ist der Begriff der
"sonstigen handelsrechtlichen Erträge", unter den unter anderem auch
Eigenmittelausstattungen durch Aufgabenträger und Erträge durch die
Schülerbeförderung (beides öffentliche Gelder) gefasst werden. Bloß ist
dieser Begriff aufgrund Artikel 10 EG-Vertrag ("[Die Mitgliedstaaten]
unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses
Vertrages gefährden können.") nach unter Europarechtlern herschender
Meinung eigentlich so eng zu verstehen, daß
beinahe Nichts mehr darunterfällt - und damit wären dann doch die
gemeinwirtschaftlichen Konzessionen anzuwenden, die Ausschreibung zwingen
vorschreiben.
Die endgültige Entscheidung dieses Falles liegt
derzeit beim Bundesverwaltungsgerichtes, das den Europäischen Gerichtshof
um Vorabentscheidung gebeten hat, weil die europäischen Regeln entscheidend
für die Auslegung des deutschen Gesetzes sind. Schon diese
Fallkonstellation zeigt auf,
daß ein Verständnis der deutschen Gesetze nur noch mit
umfassender Kenntnis des europäische Recht möglich ist. Viel sinnvoller
für alle Beteiligten wäre aber, wenn bereits der Blick ins deutsche Recht
darstellen würde, wie die Rechtslage ist. Nur dann können auch alle
Beteiligten vernünftig damit arbeiten.
Dies muß bei der bald notwendigen Überarbeitung des
deutschen Rechtes berücksichtigt werden.
Was noch offen ist
Es bleiben offene Fragen, auch für PRO BAHN:
Was passiert mit den §45a-Mitteln, werden sie den Aufgabenträgern in gleicher Höhe wie heute als Mittel für den ÖPNV zugewiesen? Wenn nicht, werden die Aufgabenträger finanziell deutlich schlechter gestellt. Zudem haben manche Aufgabenträger damit fast den ganzen Busverkehr finanziert. Aber weil er so auf die Schüler fixiert ist, ist meistens auch unattraktiv für alle anderen Fahrgäste.
Wie werden die Aufgabenträger überhaupt reagieren? Es war bisher sehr bequem, sich von der RVO "eigenwirtschaftlich" bedienen zu lassen. Besteht dort überhaupt Interesse, die Dinge in die Hand zu nehmen? Man sieht an diesen Fragen: Aufgabenträger ist nicht Aufgabenträger. Beispielsweise der Landkreis Fürstenfeldbruck hat bisher schon die Dinge als Landkreis in der Hand, die Stadt München dagegen als Eigentümer der Stadtwerke, und einige Landkreise lassen die RVO "eigenwirtschaftlich" schalten und walten.
Text: Andreas Barth
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