Positionen
Der Anspruch von Bahnreform und Regionalisierung
Im Rahmen des Bahngipfels der Gewerkschaft TRANSNET sprach Norbert Moy, Vorsitzender des PRO BAHN Regionalverbands Oberbayern, im Namen des Landesverbands Bayern am 6. März 2001 in München über Anspruch und Realität von Bahnreform und Regionalisierung aus Sicht der Fahrgäste.
Mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn und der Übertragung der Verantwortung für den Nahverkehr auf die Länder sollte anstelle einer trägen Behördenbahn eine wettbewerbsfähige Bahn treten, die für die Bürger wesentliche Verbesserungen im Schienenverkehr bringt. Dies bedeutet für den Fahrgast: Mehr und bessere Angebote, Ausweitung der Netze, Verdichtung der Fahrpläne. Und es gab erste Ansätze: Die Einführung des Integralen Taktfahrplans in Schwaben, Allgäu und im Werdenfels stellte genau das dar, was die Bürger von einem modernen Verkehrsunternehmen erwarten. Der Erfolg stellte sich ein: Selbst auf Zweigstrecken mit 35 bis 40 km/h Reisegeschwindigkeit wurden Fahrgastzuwächse erzielt von 60 Prozent und mehr.
In vielen Ländern werden sogar stillgelegte Strecken reaktiviert. Bayern bleibt hier eine Ausnahme, zwar wurde auf bestehenden Strecken teilweise mehr Verkehr bestellt, eine Reaktivierung von noch bestehenden Bahnstrecken für den Nahverkehr ist bisher nicht erfolgt. Zumindest aber gab der Freistaat Bayern die Garantie ab (oder sich der Hoffnung hin), durch seine Bestellung von Zugleistungen den Bestand des Streckennetzes zu sichern.
Die Einführung des Bayern-Takts war nur eine Vorstufe, in der Folge sollten die Streckeninfrastruktur modernisiert werden, die Fahrpläne optimiert und verdichtet werden. Auch Service und Qualität, die Fahrgastinformation und die Verknüpfung mit den Bussen sollten verbessert werden. Ein Mittel hierzu sollte auch der Wettbewerb auf der Schiene sein.
Die Bahnreform ist gescheitert
Wo stehen wir heute? Lügen wir uns nicht in die Tasche, die Bahnreform ist an ihren Fehlern gescheitert. Die Anfangserfolge der Regionalisierung können nicht darüber hinweg täuschen, dass die wirtschaftliche Lage der Bahn noch nie so prekär war wie heute, die erwarteten Verkehrszuwächse insbesondere im Güter- und Fernverkehr wurden nicht erreicht, wir diskutieren heute über "weniger" statt "mehr" Verkehr, Interregio-Züge werden gestrichen, der regionale Güterverkehr bricht weg. Die Streckeninfrastruktur war noch nie so marode wie heute, auf zahlreichen Strecken droht das "technische" Aus. Die Bundesregierung weist auf die Eigenständigkeit der privatisierten DB AG hin und nimmt ihren grundgesetzlichen Auftrag zur Sicherung einer ausreichenden Schieneninfrastruktur nicht wahr.
Mehr noch: Mit dem drastischen Rückbau von Gleisanlagen an vielen Strecken wird das Ziel "mehr Verkehr" für die Zukunft verhindert. Die Fahrplanstabilität der eingleisigen Strecke München -Mittenwald ist nach den vorgesehenen Rückbauten zahlreicher Kreuzungsbahnhöfe nicht mehr gewährleistet, Mehrverkehre sind praktisch ausgeschlossen. Ladegleise des Güterverkehrs werden nur erhalten, wenn DB Cargo sie anmietet. Ausgerechnet DB Cargo wird gefragt, die keinen Einzelwagenverkehr betreiben wollen. Wo bleibt der diskriminierungsfreie Zugang für andere Güterbahnen, wenn Netz und Cargo vorher alles abgebaut haben?
Zweigstrecken: Stilllegung statt Sanierung
Auch in Bayern rechnen wir damit, dass trotz der bestellten Zugleistungen Bahnstrecken ohne rechtliche Grundlage aus technischen Gründen stillgelegt werden. Die Sanierung der Strecke Murnau - Oberammergau beispielsweise lehnt die DB Netz unter den derzeitigen Bedingungen ab. Gründe gibt es mehrere: Die Deutsche Bahn hat astronomische Kosten für Sanierung und Modernisierung veranschlagt. Ein Vergleich mit anderen Bahnen zeigt , dass es mit angepasster Technik auch sehr viel preiswerter geht. Meist ist die DB um Faktor 3 zu teuer. Zudem kommt der Bund seiner Verpflichtung, die Infrastruktur instand zu halten, nicht nach. Die Finanzmittel aus dem Bundesschienenwegeausbaugesetz stehen nur als Darlehen zur Verfügung, das Geld muss also verdient und zurückgezahlt werden. Deshalb fordert DB Netz jetzt nicht nur auch noch Baukostenzuschüsse vom Freistaat Bayern für die Sanierung der Strecke, sondern auch noch die Bestellung zusätzlicher Zugleistungen. Letztere Forderung ist pikant: Hat DB Netz doch selbst alle Kreuzungsmöglichkeiten entfernt. Mehr als der heute bestellte Stundentakt ist gar nicht möglich. Welchen Schluss ziehen wir daraus, wenn jemand Bedingungen nennt, die nicht erfüllbar sind?
Diese Beispiel steht für eine ganze Reihe von Zweigstrecken in Bayern. Doch wo sind die Trassenentgelte geblieben? Fazit: Die in der Bahnreform und Regionalisierung vorgesehenen Instrumente zur Finanzierung der Infrastruktur sind unzureichend oder unbrauchbar.
Die Strategien der Deutschen Bahn AG
Eine Lösung wäre die Herauslösung der Strecken aus des Bundeseigentum und Übergabe an einen neuen Infrastrukturbetreiber. Hier wäre das Problem zu lösen, wie der Bund seiner grundgesetzlichen Verpflichtung nachkommen wird, damit die neuen Aufgabenträger nicht Altlasten übernehmen müssen. Übernimmt eine NE-Bahn (Nichtbundeseigene Bahn) die Strecke, entfällt aber der Anspruch auf Mittel aus dem Bundeschienenwegeausbaugesetz, ebenso der Drittel-Beitrag des Bundes für die Sicherung der Bahnübergänge. Und mittlerweile lehnt die DBAG sogar die Abgabe von Strecken für 1,- Mark ab. Zunächst unverständlich, lässt sich daraus jedoch eine schlüssige Strategie der Bahn ableiten. Die Bahn will an die Börse, insbesondere auch das Netz soll 12 % Rendite abwerfen. Im Zwang , Einnahmen zu sichern und die Aufwendungen zu senken, hat die DB nur eine Chance: die Regionalisierungsmittel als Haupteinnahme in der Region zu behalten, und damit die bestellten und pauschal bezahlten Zugkilometer, diese aber auf einem möglichst kleinen Netz zu konzentrieren. Wenn DB Netz die Zweigstrecken repariert, behält sie das große aufwendige Netz, gibt sie die Strecken ab, verliert sie die Zugkilometer, denn noch will der Freistaat Bayern auf allen Strecken Züge fahren lassen. Werden die maroden Bahnstrecken aus technischen Gründen dichtgemacht - unter Umgehung der im AEG vorgesehenen Rechtswege - bleibt auch dem Besteller nichts anderes übrig als die Zugkilometer auf andere Strecken umzuschichten. Bedarf für diese Zugkilometer gäbe es andernorts genug. Die drohende Abschaffung des Interregio, bzw. die Umwandlung in ein vom Aufgabenträger finanziertes Zugangebot unterstützt diese Hypothese. Erschwerend kommt hinzu , dass in Bayern die Zugkilometerzahl auf die heutige Höhe kontingentiert worden ist, aus der Befürchtung heraus, der Bund könnte sonst die Regionalisierungsmittel für Bayern kürzen. Im Klartext, überall wo im nächsten Fahrplan ein neues Zugpaar erscheint, entfallen die Zugkilometer an anderer Stelle. Doch die Zahl der Zugkilometer ist auf Dauer keine betriebswirtschaftliche geschweige denn eine volkswirtschaftliche Steuerungsgröße für ein Verkehrsangebot, auch nicht die pauschale Abgeltung mit 15 Mark je Zugkilometer. Diese Vorgehensweise entstammt der Planwirtschaft, sie setzt keine Anreize für wirtschaftliche Angebote und hemmt die Entwicklung. Es ist ja geradezu ein Treppenwitz, dass der IR München-Salzburg eigenwirtschaftlich fährt, der parallele RE mit 15 Mark bezuschusst werden muss. Die beiden Zuggattungen werden mit je drei Zuggarnituren bedient, ein gemeinsamer Umlauf käme mit fünf Garnituren aus. Die DBAG nimmt diese Sparmöglichkeit aber nicht wahr, trotz ihres immer wieder kommunizierten Zwanges zum Sparen. Eingespart wurde auf dieser Relation nur ein IR-Zugpaar. Diese Sparmaßnahme hat den Bedienungszeitraum der Strecke eingeschränkt und geht zulasten der Fahrgäste, intelligente Sparmaßnahmen werden jedoch nicht wahrgenommen.
Zur Regionalisierung in Bayern müssen wir folgendes Fazit ziehen: Trotz ermutigender Anfangserfolge unterbleibt derzeit eine Weiterentwicklung des Angebots. Insbesondere die ungeklärte Finanzierung des Fahrwegs stellt sich als Hemmschuh heraus. Ein Wettbewerb, der den Markt beleben könnte und für mehr Qualität sorgen könnte, ist de facto nicht vorhanden, auch wo BOB draufsteht, ist mittlerweile DB drin. Mit dem Rückzug der politischen Verantwortung des Bundes für den Bahnverkehr hat man monopolistische Strukturen zugelassen, die dem privatisierten DBAG-Konzern erlauben, ohne Rücksichtnahme auf Gemeinwohlinteressen das Zugangebot und Streckennetz nach eigenwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gestalten. Der Freistaat Bayern als Besteller des Nahverkehrs hat seine Marktmacht mit 1,5 Mrd Mark Auftragsvolumen bisher nicht genutzt. Auf Bundesebene besteht dringender Bedarf für eine Nachbesserung der Bahnreform, insbesondere die Netzproblematik muss rasch und umfassend bereinigt werden.
Trennung von Netz und Betrieb als Lösung?
Es kommt sicher die Frage auf, ob der Ausweg aus diesem Dilemma die viel diskutierte Trennung von Netz und Betrieb darstellt. Aus Sicht von Pro Bahn haben sowohl die Befürworter recht, die um den Wettbewerb fürchten, aber auch die Gegner, die im System Rad / Schiene eine Einheit sehen, dessen technologische Weiterentwicklung gehemmt werden könnte. Die Herren diskutieren nämlich über die falsche Schnittstelle: Die liegt nicht am Radaufstandspunkt, sondern unterhalb der Schwellen, soll heißen: Grund und Boden der Verkehrswege gehört in die öffentliche Hand und nicht in eine private Aktiengesellschaft. Was passiert eigentlich, wenn die Aktionäre eines Netzbetreibers merken, dass mit der Verwertung der Immobilien mehr Geld zu verdienen ist als mit dem Schienenverkehr? Die Entscheidung , wer die Verkehrswege bewirtschaftet, kann dann unterschiedlich ausfallen: Auf regionalen Strecken kann es das Verkehrsunternehmen selbst sein, auf Hauptstrecken ein unabhängiges Unternehmen. Sichergestellt muss aber werden, dass Trassenentgelte dort investiert werden, wo sie verdient werden und nicht in desaströse Großprojekte verschoben werden.
Ausbau der S-Bahn wird verschleppt
Manche einer mag über unseren Einsatz für ein flächendeckendes Schienennetz lächeln. Der Spaß hört aber dann endgültig auf, wenn man beobachtet, wie auch der Ausbau der Münchner S-Bahn über Jahrzehnte verschleppt und boykottiert wird. Der Zustand der S-Bahn ist mittlerweile zu einem ernsten Strukturproblem des Ballungsraum München geworden, das in keinem Fall mit einem Transrapid zum Flughafen zu lösen ist.
Tarife kundenorientiert Gestalten
Ein weiteres Thema möchte ich hier anbringen: Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen des öffentlichen Verkehrs benötigen zwar Zuschüsse aus Steuermitteln, ein großer Teil der Einnahmen kommt aber direkt aus dem Geldbeutel der Bahnkunden. Als Verbraucherverband beobachten wir daher sehr kritisch die Tarifangebote bei Bahn und Bus. Unsere Forderung war immer, dass das Angebot des ÖV einfach, transparent und ohne komplizierte Regelungen zu benutzen ist. Doch was jetzt ehemalige Lufthansa-Manager für die Bahnkunden aushecken, stellt alles bisherige in den Schatten: Nur wer vorausbucht, kommt in den Genuß von Ermäßigungen, Der Kunde wird automatisch auf einen Zug festgelegt, weil seine Fahrkarte in anderen Zügen ungültig ist. Die BahnCard mit 50 Prozent soll durch eine mit 25 Prozent Ermäßigung und bisher unbekannten zusätzlichen Leistungen ersetzt werden. Ein System von Belohnungen und Bestrafungen soll eine gleichmäßige Auslastung der Züge herbeiführen und eine maximale Gewinnabschöpfung bei den Kunden ermöglichen, die auf die Bahn angewiesen sind. Weil das böse klingt, nennt es sich daher offiziell "Yield-management" und die Zwangs-Kunden heißen "zahlungsbereit".
Noch vor wenigen Jahren warb die DB mit einem Plakat, darauf zu sehen ein sich küssendes Pärchen, dabei stand "Eigentlich wollte er den IC um 10.27, 11.27, 12.27 usw. nehmen." Die Aussage war klar: Unser Kunde darf spontan, frei und individuell sein , die Bahn ist ein flexibler Dienstleister. heute müsste auf dem Plakat stehen: "ich muß jetzt leider fahren, mein Ticket gilt nur um 10.27." Die neue Bahn lässt keine spontanen Entscheidungen zu, sie bestimmt, wann der Kunde fährt. Entspricht das dem Denken unserer Gesellschaft?
Der Wettbewerber der Bahn ist der Pkw und nur geringfügig die Lufthansa, vielleicht hätte Mehdorn besser einen Tankwart als Tarif-Experten einstellen sollen: Das Auto kennt keine Ausschlusszeiten, Sie müssen kein anderes Benzin tanken, wenn sie von der Autobahn auf eine Staatstrasse wechseln usw. Und sie habe die Unterstützung aller Parteien, wenn sie billig mobil bleiben wollen. Das neue Tarifsystem - sollte es jemals kommen - bedeutet daher auch das Ende des kundenfreundlichen Taktverkehrs.
Die Abschaffung der BahnCard 50 Prozent trifft insbesondere das Flächenland Bayern hart, wo es hier keine flächendeckenden Verkehrsverbünde gibt und die Kunden in der Region auf die BahnCard angewiesen sind. Im Nahverkehr gibt es keine Vorausbucher-Rabatte, d.h. die treuen BahnCard-Kunden werden mit einer über 50-prozentigen Fahrpreiserhöhung bestraft. Warum lässt man die Kunden nicht selbst entscheiden zwischen der BahnCard 25 Prozent und der BahnCard 50 Prozent?
Fernverkehr in Bayern: Die Neubaustrecke hängt die Region ab
Zur Entwicklung des Fernverkehrs in Bayern : Es ist zwar erfreulich, künftig zwischen München und Nürnberg eine halbe Stunde kürzer unterwegs zu sein. Um die teure Neubaustrecke auszulasten, war zu in einer Fachzeitschrift zu lesen, sollen aber alle erdenklichen Fernzüge über diese Strecke umgeleitet werden. Die Augsburger werden vom Nord-Süd-Verkehr abgehängt. Es soll aber auch die EC-Linie Frankfurt - Wien nach München umgeleitet und dort gebrochen werden. Ostbayern wird dann komplett vom Fernverkehr abgehängt. Diese Vorgehensweise ist nicht nur kundenfeindlich, ist für die Region eine Katastrophe.
Resümee
Das Resümee von PRO BAHN mag Ihnen zu negativ erscheinen - vielleicht. Jetzt ist keine Zeit mehr mit Sonntagsreden zu verlieren. Wir bitten alle Beteiligten, nicht länger die Verantwortlichkeiten zwischen der Bahn , dem Bund und dem Freistaat hin und her zu schieben, sondern gemeinsam die Weichen für ein modernes Bayern-Netz zu stellen, für einen öffentlichen Verkehr für die Mehrheit der Bürger, für ein Angebot von Bahn und Bus, das so flexibel und einfach ist wie das eigene Auto.