Positionen
Kommentar: Die Zukunft des regionalen Schienenverkehrs
Eine Stellungnahme zu den Regent-Plänen der DB hat der PRO BAHN Regionalverband Oberbayern aus Sicht der bayerischen Situation im Juli 2000 erarbeitet und bei mehreren Gelegenheiten verbreitet.
Bringt "Regent" die Lösung?
Die Deutsche Bahn AG als das grösste Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in Deutschland ist zur Zeit in einer schweren Finanzkrise. Die Ursachen liegen in Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten der Bahn, in politischen Rahmenbedingungen und Fehlern des Bahnmanagements selbst. Derzeit werden verschiedene Ansätze diskutiert, um die Situation der Bahn (der DB AG, NE-Bahnen und neu zugründenden EVU) zu verbessern, denn die Bahn muß nach übereinstimmender Meinung wieder stärker am Verkehrsmarkt partizipieren als bisher.
Die zukünftige Rolle der Schiene wird in starkem Maße durch den Personennahverkehr bestimmt. Zu den Möglichkeiten und Grenzen, gerade in Hinblick auf die aktuelle Diskussion um Konzepte wie "Regent" nimmt der gemeinnützige Fahrgastverband PRO BAHN wie folgt Stellung:
Die Situation der Deutschen Bahn
Die Deutsche Bahn kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen. Zugunglücke, Personalabbau und Stilllegungsgerüchte verunsichern die Bahnkunden. Sechs Jahre nach der Bahnreform befindet sich die Bahn in einer prekären Situation:
-
Das Unternehmen Bahn ist wirtschaftlich nicht gesundet, sondern
steht im Gegenteil wieder vor einem wachsenden Schuldenberg, den
frühere Bahnvorstände durch geschickte Bilanzierungen und Verkäufe von
Unternehmensteilen und Immobilien verbergen konnten. Desaströse
Großprojekte belasten die Bahn.
- Das Ziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen,
wurde nicht erreicht.
- Nach Ansicht von Fachleuten lässt sich das Netz nicht
betriebswirtschaftlich betreiben.
- Das Zweigstreckennetz befindet sich aufgrund jahrelanger
Vernachlässigung größtenteils in einem
sanierungsbedürftigen Zustand.
- Qualitätsmängel wie Zugausfälle,
Verspätungen, überfüllte Züge haben in einem
inakzeptablen Maß zugenommen.
- Der Bund als Eigentümer der Bahn hat es versäumt,
durch eine Reform der Verkehrspolitik für gerechte
Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern zu sorgen,
und hat damit die jahrzehntelange Benachteiligung der Bahn
fortgesetzt. Der grundgesetzlichen Verpflichtung zum Vorhaltung eines
flächendeckenden Schienennetzes wird ignoriert zu Gunsten eines
Postulats der Kapitalmarkt- oder Börsenfähigkeit des Unternehmens
DBAG.
- Länder und Kommunen stehen der Situation zum Teil hilflos
gegenüber. Sie erwarten, dass durch Bestellungen von
Zugleistungen die Infrastruktur finanziert wird, müssen aber
feststellen, dass die Regionalisierungsmittel nicht verwendet werden,
um die Strecken zu verbessern.
- Fahrgastfreundliche Konzepte wie der Integrale Taktfahrplan
werden wieder zur Disposition gestellt und ihr Erfolg ignoriert.
Obwohl Fahrgastzuwächse erreicht wurden, werden wieder
Forderungen laut, Züge in den Schwachlastzeiten zu streichen.
- Die Deutsche Bahn muß kapitalmarktfähig werden. Der Bund streicht Zuschüsse.
Angesichts dieser Situation sieht sich die Deutsche Bahn AG zum Handeln gezwungen. PRO BAHN beobachtet folgende Strategien bei der DB:
- Unrentable Unternehmensbereiche werden aufgegeben oder
ausgegliedert: Zu diesen zählen nach Ansicht der Bahn Teile des
Fernverkehrs (Interregio-Verkehr), der regionale
Güterverkehr und die Infrastruktur der Zweigstrecken.
- Die finanziellen Leistungen aus dem Regionalisierungsgesetz, mit
dem die Länder den Nahverkehr bestellen, will die Bahn jedoch weiter
vereinnahmen: Deshalb sollen z.B. bestehende Interregio-Züge in
Nahverkehrszüge umgewandelt werden und Zugkilometer von den
Zweigstrecken auf Hauptbahnen umgeschichtet werden.
- Auf einem Teil des Streckennetzes werden keine Investitionen mehr
getätigt, zum Teil werden sogar notwendige Unterhaltungsmaßnahmen
unterlassen.
Diese "Sanierungsfälle" sollen entweder an
Dritte abgegeben oder stillgelegt werden.
- Zur Kostensenkung wird Personal abgebaut. Dies geschieht sowohl durch Rationalisierungsinvestitionen als auch durch Ausgliederungen und Einschränkungen bei personalintensiven Dienstleistungen.
Grundsätzliche Forderungen von PRO BAHN
Diese Unternehmenspolitik der DBAG hat zur Folge, dass der Schienenverkehr sich auf wenige, lukrative Nischen im Verkehrsmarkt zurückzieht. Das Ziel des Bundes als des Eigentümers der DB AG, diesen Konzern kapitalmarktfähig zu machen, konkurriert mit der im Grundgesetz gebotenen Aufgabe, ein leistungsfähiges Schienennetz zu erhalten. Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert in dieser Situation, den Vorrang einer am Gemeinwohl orientierten Verkehrspolitik vor betriebswirtschaftlichen Überlegungen einer Aktiengesellschaft sicherzustellen. Deshalb scheint eine Neustrukturierung der DB AG sinnvoll, die eine betriebswirtschaftlich orientierte Gesellschaft ausgliedert und von der Verantwortung für die volkswirtschaftlich gebotene Infrastruktur befreit.
Politischer Handlungsbedarf
- PRO BAHN fordert schnellstmöglich
eine
Nachbesserung der Bahnreform und eine Neuregelung der Verkehrspolitik,
die den dauerhaften Erhalt der flächendeckenden Infrastruktur Schiene
zum Nutzen der Fahrgäste, der Wirtschaft und des gesamten Standortes
Deutschland sichert.
- Sofortiger Abbau aller Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn,
insbesondere eine Absenkung der Steuerbelastungen auf das übliche
europäische Niveau.
- Der Bund muß Finanzmittel bereitstellen, um das Eisenbahnnetz in qualifizierter Form zu erhalten und auszubauen.
Die Unternehmenspolitik der Bahn
- Die Deutsche Bahn muß ihre wirtschaftliche Krise vor
allem dadurch bewältigen, indem mehr Verkehr auf die Schiene
kommt und die mit hohen Fixkosten belastete Infrastruktur stärker
ausgelastet wird. Das größte Hemmnis für ein Wachstum des
Schienenverkehrs sind die viel zu hohen Trassenentgelte.
- Die Deutsche Bahn darf ihre Monopolstellung, die sie mit der DB
Netz AG erhalten hat, gegenüber Dritten nicht missbrauchen. Die
Netz AG darf auch nicht dazu benutzt werden, mit Einnahmen aus
gemeinwirtschaftlichen Verkehren andere Unternehmensbereiche zu
subventionieren.
- Die Bahn (DB AG) muß mit einem aktiven Marketing, das
regional und streckenmäßig orientiert ist, für
zusätzliche Fahrgäste sorgen.
- Die zur Zeit laufenden Maßnahmen von DB Netz zur
"Optimierung" der Schieneninfrastruktur, die den massiven Rückbau
von Kreuzungs- und Überholungsmöglichkeiten, die Zerstörung von
Anlagen des Güterverkehrs, den Abbau von Abstellanlagen und den
Verkauf von Bahnimmobilien enthalten, müssen sofort gestoppt
werden.
- Eine Neugliederung der DB AG darf nicht einseitig das im Besitz
des Bundes befindliche Unternehmen DB AG zu Lasten der Länder und
der Kommunen finanziell sanieren.
Zukunft des Zweigstreckennetzes
In der augenblicklichen Situation sieht PRO BAHN die Gefahr, daß viele Strecken stillgelegt werden. PRO BAHN lehnt eine Kahlschlagsanierung zugunsten der Kapitalmarktfähigkeit des Bundesunternehmens DB AG ab. Unter dem Titel "Regent" hat die DBAG ein Konzept entwickelt, Strecken regionaler Bedeutung aus dem Konzern auszugliedern und an Dritte abzugeben. Dieses Vorhaben stößt bei den Ländern auf Skepsis bis Ablehnung. Erfolgreiche Beispiele wie die Schönbuchbahn (Böblingen - Dettenhausen; Baden-Württemberg) zeigen aber, daß regionale Verkehrsunternehmen mit attraktiven Angeboten weitaus mehr Kunden gewinnen als die bundesweit agierende DB AG. Auch in Bayern sieht PRO BAHN Chancen für regionale Strecken unter regionaler Verantwortung. In jedem Fall müssen folgende Forderungen eingehalten werden:
- Die Zweigstrecken müssen in einen sanierten und
modernisierten Zustand gebracht werden.
- Die Befähigung neuer Betreiber für ein qualitativ
hochwertige und zuverlässige Leistungserbringung ist
sicherzustellen. Beim Einsatz neuer Technik und Fahrzeuge sind
entsprechende Rückfallebenen und Reserven vorzusehen.
- Die neuen, regionalen Betreiber müssen selbständig
wirtschaftlich agieren können. Dies schließt eine beherrschende
Stellung des Konzerns DB AG aus.
- Überaltete Vorschriften, die mit überzogenen Forderungen
den regionalen Bahnbetrieb unnötig zu verteuern, sind zu prüfen
und ggf. zu ändern. PRO BAHN sieht hier innovative Möglichkeiten
durch andere Signaltechnik (z.B. bei Bahnübergängen) oder
durch einen Betrieb nach BOStrab.
- Das im Besitz der DB verbleibende Netz muß Kapazitäten
bereithalten, die die Nutzung durch neue Betreiber, z.B. für
durchgehende Personenzüge aus einem ausgegliederten Teilnetz in
das nächste Oberzentrum oder Führung von
Güterzügen, nicht einschränkt.
- Es ist sicherzustellen, daß ein flächendeckender
Bayern-Takt auch nach einer erfolgten Ausgliederung erhalten
bleibt.
- Die Etablierung neuer Betreibergesellschaften darf nicht zum Verlust der durchgängigen Tarifierung führen.
PRO BAHN erwartet deshalb vom Freistaat Bayern, dass
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auch auf (ausgegliederten) Zweigstrecken eine ausreichende und
dauerhafte Bestellung von Zugleistungen gesichert wird.
- eine sinnvolle Netzstruktur der auszugliedernden
Regionalgesellschaften verlangt und notfalls mit den durch die
Gesetze zur Eisenbahnneuordnung gegebenen Möglichkeiten erzwungen
wird.
- er sicherstellt, dass in ganz Bayern gleiche Chancen für die Modernisierung des Schienennetzes bestehen. Bürger, die an Strecken wohnen, die aufgrund der Topographie technisch aufwendig gebaut werden müssen, dürfen nicht Verlierer einer Umstrukturierung werden.
Fazit
Aus Sicht von PRO BAHN ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Ballungsräume sind ohne schienengebundenen Verkehr nicht lebensfähig, und auch auf dem sogenannten "flachen Land" haben innovative Bahnkonzepte (im Zusammenspiel mit bedarfsorientiertem straßengebundenem ÖPNV) bewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger gerne auf die Bahn umsteigen. Von wem dieses Angebot letztendlich erbracht wird, ist aus Fahrgastsicht zweitrangig, wenn die Qualität stimmt.
Verfasser: Norbert Moy und Andreas Barth unter Mitwirkung von Matthias Wiegner und Rudi Barth (20. Juli 2000).