Positionen
Erhöhtes Beförderungsentgelt (EBE)
Das Ergebnis einer Diskussion im Rahmen des Arbeitskreises "Tarife" am 18. Februar 2012 ist im folgenden stichwortartig zusammengefasst.
Der zentrale Streitpunkt ist die Identifikation der Fahrgäste, die - als ehrliche Fahrgäste - eine Fahrkarte kaufen wollten und denen es aus verschiedensten Gründen nicht gelang die richtige oder gar überhaupt ein Ticket zu kaufen. Nach Auffassung von VCD und dem Fahrgastverband PRO BAHN ist hier ein erhöhtes Beförderungsentgelt nicht gerechtfertigt, da es Aufgabe der Verkehrsunternehmen ist, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Kunden zu einem korrekten Fahrschein kommen. Dieses deckt sich auch mit den EU-Regeln zu einer ausreichenden Information der Kunden im öffentlichen Verkehr.
Wir Fahrgäste wollen ein offenes System und sprechen uns gegen eine generelle Einführung von Sperren und Schranken aus, ohne dass wir jeden Einzelfall generell ausschließen. So kann auch das Vorzeigen der Fahrkarten beim Einsteigen in den Bus sinnvoll sein.
Damit hat der Kunde schon eine Verantwortung für den Erwerb seines Fahrscheins. Es gibt aber viele Beispiele dafür, dass Kunden nicht zu ihrem Fahrschein gelangen, obwohl sie es wollen:
- defekter Automat
- Der Automat beim ersten Verkehrsunternehmen, das benutzt wurde, ist defekt, nach dem Umsteigen ins zweite Verkehrsmittel ist der Fahrgast aufgrund knapper Umsteigezeit ohne Fahrausweis
- Automat nimmt das Geld des jeweiligen Benutzers nicht an
- Automat kann die Karte des Benutzers nicht lesen
- Automatenschlitz ist durch Büroklammer oder Sekundenkleber verstopft (in diesem Fall wird der Automat über die Fernkontrolle als betriebsbereit angezeigt, da er ja auch mit Karten benutzbar ist)
- unverständliche/fehlende Tarifinformation am Automaten oder im Internet
- Automat wird nicht gefunden (er liegt nicht auf dem Weg zum Bahnsteig)
- ein Automat defekt, der zweite (funktionierende) Automat ist weit entfernt - Bsp. anderer Bahnsteig oder anderes Bahnsteigende - und der Zug kommt gleich
- in der Region (1-Stunden-Takt): es schaffen nicht alle Fahrgäste, sich eine Fahrkarte zu kaufen, da der Andrang zu groß ist - die Anzahl der Automaten ist zu gering (realer Fall in Lüneburg, HVV: mehrere Automaten defekt und viele Reisende wollen nach Hamburg zum Hafengeburtstag) und kein Verkauf im Zug
- kein Erwerb wegen knappen Übergangs möglich, insbesondere wenn an der Einstiegshaltestelle der Automat defekt ist und der Anschlussübergang nur wenige Minuten beträgt
- schlechte oder keine Lesbarkeit des Displays (Blendung durch Sonne oder zu große Höhe für Rollstuhlfahrer
- unterschiedliche Regelungen zur kostenlosen bzw. kostenpflichtigen Mitnahme von Gepäck/Fahrrädern (beispielsweise Wismar, wo dem Kunden erklärt wird, dass die Mitnahme von "Sachen" kostenpflichtig ist)
Hinzu kommen Verständnisprobleme ausländischer Mitbürger, vor allem Touristen, insbesondere wenn sie aus einem Land ohne lateinisches Alphabet kommen. Das gilt auch dann, wenn im kleinen Grenzverkehr unterschiedliche Regelungen gelten.
Ebenso kommt es vor, dass der Kunde aufgrund nicht ausreichender oder gar nicht vorhandener Information nicht den richtigen Fahrschein löst oder im weiteren Umgehen (z.B. "Entwerten") Fehler macht
- keine Entwertung, obwohl vorgeschrieben (aber kein deutlicher Hinweis)
- Entwertung nicht möglich, weil der Entwerter streikt
- nicht ohne Weiteres nachvollziehbare Wegeangabe (z.B. über "direkter Weg") oder fehlende Erläuterungen bei unterschiedlichen Wegen (Bsp. Hamburg - Hohenwestedt: 1. über Itzehoe (selten zu realisieren, aber preiswerteste Variante), 2. über Neumünster (übliche Variante im Stundentakt)
- fehlende Tarifhinweise am Automaten
- unklare Regeln zur "Entwertung" des Fahrscheins (in einem Verbund, Bsp. MVV, werden sowohl entwertete als auch nicht entwertete Fahrscheine ausgegeben)
Diese Reihe ist sicher nicht vollständig, zeigt aber, dass es auch seitens der Verkehrsunternehmen und Verbünde noch viele Schwachstellen und ungelöste Fragen/Probleme gibt.
Ein großes Problem ist hier auch die Beweisführung. In der Regel trägt der Kunde heute die Beweislast, dass seine Angaben korrekt sind. Das ist aus unserer Sicht bei den vielen Unwägbarkeiten nicht tragbar. PRO BAHN spricht sich hier für eine Beweislastumkehr aus.
Einigkeit besteht mit dem VDV darin, dass Reisende, die keine Fahrkarte kaufen wollten, echte Schwarzfahrer sind und mit einem EBE zu bestrafen sind. Dabei sind wir der Auffassung, dass Wiederholungstäter mit einem deutlich erhöhten EBE zu belegen sind.
Zur Klärung der offenen Fragen der Unterscheidung willentlicher und unwillentlicher Schwarzfahrer schlägt der Fahrgastverband PRO BAHN eine Kommission aus VDV und Fahrgastverbänden (VCD, PRO BAHN) vor, die die möglichen Schwachpunkte analysiert und zusammenstellt und Lösungsvorschläge erarbeitet. Die Kosten dieser Kommission könnten über das erhöhte EBE von Wiederholungstätern finanziert werden.
Aus Sicht der Fahrgäste ist es - gerade wegen dieser vielfachen Probleme - notwendig, dass es immer eine Rückfallebene gibt, auf die der Fahrgast im Notfall zurückgreifen kann. So hat der Triebfahrzeugführer bei der AVG stets ein Sortiment an "Notfallfahrkarten" zur Hand. Als weitere Möglichkeiten für eine Rückfallebene sehen wir:
- Auch im Regionalverkehr (außer S-Bahnen im Großstadtbereich mit
Grundtakt von 5 oder 10 min) fordern wir einen Fahrkartenverkauf im Zug
- Automat im Zug
- Verkauf im Bistro (Bsp. Alex)
- Verkauf im "Zugbüro" (Abteil des Zugchefs)
- oder zumindest eine Sprechverbindung mit Triebfahrzeugführer oder Zugchef
- Sinnvoll kann dabei die Wiedereinrichtung eines Nachlösewagens bzw. eines Nachlösebereichs sein, d.h. nur der Reisende ohne Fahrausweis, der sich hier befindet, ist kein Schwarzfahrer. Ein solcher Bereich ist von außen deutlich zu kennzeichnen.