Positionen

Anhörung
vor dem Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
des Deutschen Bundestages

am Mittwoch, dem 11. Oktober 2000

Stellungnahme des Fahrgastverbandes PRO BAHN e.V.
Kurzfassung

Grundsätzliches zu den Mängeln der Bahnreform

Die Bahnreform wird von PRO BAHN zwar als im Grundsatz richtig angesehen. Die Erfahrungen reichen von Modellen wie den EXPO-Projekten "Haller Willem" und "Egronet" bis zur illegalen Stilllegung von Bahnlinien. Insgesamt sind die Mängel jedoch so gravierend, dass der Fortbestand des Eisenbahnnetzes und der Bahn-Unternehmen existentiell gefährdet ist.

Langfristig hat die Europäische Union (EU) die Zielsetzung, für alle Verkehrsträger gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen, wobei jeder Verkehrsträger seine Kosten einschließlich der Infrastruktur selbst decken soll. Konkret in Angriff genommen wurden jedoch nur Regelungen für den Bereich Schiene, während für die übrigen Bereiche entsprechende Vorschriften nicht in Sicht sind. So scheiterte erst im Februar 2000 der Versuch einer Kerosinbesteuerung.

Den Vorgaben der EU folgend hat der deutsche Gesetzgeber bei der Bahnreform des Jahres 1994 ebenfalls nur Regelungen für den Schienenbereich geschaffen.

Vor dem Hintergrund, dass der Schienenverkehr in Deutschland im Bereich Personenverkehr nur einen Anteil von 7 Prozent und im Bereich Güterverkehr einen Anteil von 16 Prozent aller Verkehrsleistungen hat, ist der Fahrgastverband PRO BAHN der Meinung, dass der Herstellung des intermodalen Wettbewerbes, das heißt der Schaffung gleicher Rahmenbedingungen für alle Verkehrsarten, größere Bedeutung beikommt als der Schaffung des intramodalen Wettbewerbs, also der Einführung von Wettbewerb allein zwischen Unternehmen, die auf der Schiene transportieren. Unter den gegebenen Wettbewerbsbedingungen hat das System Eisenbahn keinerlei Wachstumschancen, so dass auch neue Wettbewerber keine ernstzunehmende Gewinnerwartung haben und daher auf der Schiene nur ein Verdrängungswettbewerb stattfinden kann.

PRO BAHN ist weiter der Meinung, dass die seit der Bahnreform aufgetauchten und heute zu beobachtenden Probleme im Bereich der Deutschen Bahn und im Schienenverkehr generell vor diesem Hintergrund zu sehen sind und dass darauf nur unter Berücksichtigung der fehlenden gleichartigen Rahmenbedingungen für den intermodalen Wettbewerb zu reagieren ist.

Generelle Probleme entstanden durch folgende Regelungen der Bahnreform:

  • durch die Verpflichtung zur vollen Erwirtschaftung der Infrastrukturkosten, mit der erschwerenden Vorschrift, diese den drei Verkehrssparten Güterverkehr, Fernverkehr und Nahverkehr verursachungsgerecht anzulasten;

  • durch die unterschiedliche Behandlung des Personenfern- und Nahverkehrs, indem der Fernverkehr als eigenwirtschaftlich, der Nahverkehr als zuschussfähig definiert ist, obwohl die Praxis zeigt, dass wegen eines erheblichen Überlappungsbereiches zwischen beiden Verkehrsarten keine scharfe Grenze zu ziehen ist;

  • durch die im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern unterschiedliche Belastung "der Schiene" bei Mineralöl-, Öko- und Mehrwertsteuer sowie auf der Kundenseite bei der Einkommenssteuer ("Kilometerpauschale");

  • durch ausstehende Regelungen für gleichartige Rahmenbedingungen im intermodalen Wettbewerb der Verkehrsträger;

  • durch eine sehr mangelhafte Regelung der staatlichen Verantwortung, Aufsicht und Finanzierung für die Infrastruktur; das führt dazu, dass Strecken illegal stillgelegt werden und dass Aufgabenträger auf den guten Willen des Eisenbahnunternehmens angewiesen sind, wenn sie ihren Verpflichtungen nachkommen wollen. Die gesetzlichen Regeln über die Abgabe von Infrastruktur werden durch die DB AG unterlaufen und sind wirkungslos.

  • durch nicht durchdachte Regelungen, die das Engagement von Ländern und regionalen Aufgabenträgern hemmen.

Zu Einzelfragen

Zu den im Einladungsschreiben gestellten Fragen und den Bundestagsdrucksachen 14/2691 und 14/2781 nimmt PRO BAHN im einzelnen wie folgt Stellung:

Zu 1). Entwicklung des Verkehrsmarkts

PRO BAHN erwartet einen weiteren Rückgang des Anteils des Schienenverkehrs auf allen Gebieten, wenn die Wettbewerbsbedingungen gegenüber anderen Verkehrsträgern unverändert, also verzerrt bleiben.

Zu 2). Wechselbeziehungen zwischen Politik und unternehmerischem Auftrag und
zu 3). Zuordnung von Netz und Betrieb

Bahnlinien sind keine Fabrikhallen! Für die Zuordnung von Netz und Betrieb müssen neue Lösungen gefunden werden, die

  • Wettbewerb
  • politische Einflussnahme und
  • Synergien des Zusammenspiels von Fahrweg und Fahrzeug sichern.

PRO BAHN fordert daher:

  • die Rückgabe von Grund und Boden in unmittelbaren Staatsbesitz,
  • eine wirksame Aufsicht,
  • den Netzunterhalt im Auftrag des Grundeigentümers durch privatrechtliche Netzbetreiber, vorerst durch die DB AG.

Zu 4). Restrukturierung der DB AG und notwendiger Flankenschutz

Die Eisenbahn bietet in fast allen Anwendungsfällen das beste Verhältnis zwischen Energieaufwand, Schadstoffausstoß und Leistung. Nur unter gerechten Rahmenbedingungen werden unternehmerische Kräfte freigesetzt. Dafür braucht die Eisenbahn Flankenschutz:

  • Die dritte Stufe der Bahnreform muss neu gestaltet werden.
  • Die Bundesverkehrswegeplanung muss auf mehr Wirtschaftlichkeit und Wachstum im Schienenverkehr ausgerichtet werden.
  • Die Einheit des Verkehrsmittels Eisenbahn aus der Sicht ihrer Fahrgäste muss gesichert werden.

Zu 5). Nationale Rahmenbedingungen, insbesondere Infrastruktur, Wegekosten, Besteuerung, finanzielle und finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen, weitere Entwicklung der Nebenstecken (Regionalisierung)

Die steuerliche Gleichbehandlung und die Gleichbehandlung bei den Wegekosten muss auf nationaler Ebene hergestellt werden, bis europäische Regelungen greifen. Weiteres Warten gefährdet die Eisenbahnen existenziell. Risiken aus dem Netz, die auch bei Straße und Wasserstraße gesamtstaatlich getragen werden, sind künftig wieder unmittelbar durch den Staat abzudecken. Eine andere Handhabung führt zu Streckenstillegungen wegen Unwirtschaftlichkeit einzelner aufwendiger Abschnitte. Die in Deutschland getroffene Abgrenzung von ‚Fernverkehr' und ‚Nahverkehr' ist nicht interessengerecht und daher zu ändern. Die Regionalisierung ist unvollständig geregelt. Viele Vorschriften hemmen das Engagement der Länder und der regionalen Aufgabenträger.

Zu 6). Europäische Rahmenbedingungen, Kostenanlastung, staatliche Förderung, Liberalisierung der Staatsbahnen, Zugang zu den Netzen, Abbau technischer Hindernisse (Interoperabilität der Systeme)

Die Europäische Union muss mehr Gewicht auf die Angleichung der Rahmenbedingungen für alle Verkehrsträger legen. Die Durchsetzung als richtig erkannter Prinzipien bei nur einem Verkehrsträger benachteiligt diesen einseitig und gefährdet seine Existenz und Leistungsfähigkeit.

Zusammenfassung und Forderungen des Fahrgastverbandes PRO BAHN

  • Die Eisenbahn ist allen anderen Verkehrsmitteln grundsätzlich ökologisch überlegen. Im Personennah- und fernverkehr bietet sie das günstigste Verhältnis zwischen Geschwindigkeit und Energieaufwand. Im Güterverkehr reduziert die Zugbildung den spezifischen Energieaufwand erheblich. Die Eisenbahn verdient daher eine Förderung, die diesem Vorteil Rechnung trägt und zur weiteren Leistungssteigerung anregt.

  • Die Planung und Finanzierung des Schienennetzes ist als politische Aufgabe unter dem Gesichtspunkt der Daseinsvorsorge und unter Beachtung von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu gestalten. Auf dieser Grundlage ist die Rechtslage für das Netz neu zu bestimmen.

  • Die Bundesverkehrswegeplanung ist auf eine Gesamtnetzplanung umzustellen. Mit dem Beitrag "Der letzte Fahrplanwechsel" hat PRO BAHN dafür bereits ein Konzept vorgelegt.

  • Die steuerliche Gleichbehandlung der Bahn gegenüber anderen Verkehrsträgern ist herzustellen.

  • Die Förderung von Wachstumsstrategien in zukunftsweisenden Geschäftsfeldern ist Voraussetzung für die Börsenfähigkeit der DB AG

  • Das Verkehrssystem 'Schiene' muss aus Sicht der Fahrgäste eine Einheit bleiben, auch wenn es mehrere Betreiber gibt. Dem Benutzer steht das gesamte Straßennetz auch zu einheitlichen Bedingungen zur Verfügung, unabhängig davon, dass es unterschiedliche Straßenbaulastträger gibt.

    Die Fahrgäste erwarten

    • eine durchgehende Transportkette,
    • eine durchgehende Auskunft vom ersten Ansprechpartner,
    • einen durchgehenden Fahrschein.

  • Es muss jetzt gehandelt werden - sonst ist die Bahn schon 2003 eine Schrumpfbahn, die niemand mehr will. PRO BAHN begrüßt daher, dass die Bundesregierung der DB AG jährlich 2 Milliarden DM für die Infrastruktur zur Verfügung stellen will. Die Bundesregierung wird darauf zu achten haben, dass diese Mittel zügig und zweckentsprechend verwendet werden.

Schlussbemerkung

Abwarten und hoffen auf den Wettbewerb als 'deus ex machina' (nach dem Motto: Der Wettbewerb wird es schon richten!) reicht nicht aus. Nirgends in der Welt hat bisher ein unregulierter Wettbewerb zu einem langfristigen Gleichgewicht im Schienenmarkt geführt.

Verfasser:
Joachim Kemnitz, PRO BAHN e.V., stellvertretender Bundesvorsitzender