PRO BAHN Aktivitäten

Schreiben an Frau Dr. Monika Forstinger

Am 9. November 2001 gab es einen folgenschweren Zusammenstoß zweier Züge auf der Außerfernbahn. FAHRGAST - PRO BAHN Allgäu/Tirol hat sich aus diesem traurigen Anlaß an die österreichische Verkehrsministerin Dr. Monika Forstinger gewandt. Den Brief vom 12. November 2001 finden Sie hier im Wortlaut

An die
Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie
Dipl.-Ing. Dr. Monika Forstinger
Radetzkystraße 2
1030 Wien

Schwaz, am 12. November 2001

Betr.: Zugzusammenstoß auf der Außerfernbahn am 09.11.2001

Sehr geehrte Frau Verkehrsministerin,

aus aktuellem Anlass darf ich zum in der Betreffsache genannten Zugzusammenstoß auf der Außerfernbahn zwischen einem Regionalzug der DB Regio AG und einem Güterzug der ÖBB eine Stellungnahme aus unserer Sicht als FahrgastvertreterInnen abgeben.

Factum est, dass auf den deutschen Streckenabschnitten der Außerfernbahn alle Bahnhöfe mit Ein- und Ausfahrtssignalen inklusive Indusimagneten ausgestattet sind. Die bei den Signalen angebrachten Indusimagneten bewirken, dass ein Zug, der keine Fahrerlaubnis hat und aufgrund menschlichen Versagens ein auf Halt stehendes Signal "überfährt", automatisch sofort durch eine Schnellbremsung zum Stillstand gebracht wird.

Factum est, dass auf dem österreichischen Streckenabschnitt der Außerfernbahn in einigen Bahnhöfen (z.B. auch im Bahnhof Bichlbach-Berwang) die Ausfahrtssignale und daher auch die Indusimagneten fehlen. Aus diesem Grund wurde der aufgrund menschlichen Versagens aus dem Bahnhof Bichlbach-Berwang ausfahrende Regionalzug der DB Regio AG nicht gestoppt. Er konnte ungehindert weiterfahren und vom ÖBB-Fahrdienstleiter, der diesen Vorfall bemerkt hat, nicht mehr angehalten werden, da zwischen den Lokomotivführern und den Fahrdienstleitern generell keine Funk- oder Telefonverbindung (Handy) besteht.

Factum est, dass auf dem österreichischen Streckenabschnitt der Außerfernbahn - selbst dort wo Ausfahrtssignale vorhanden sind (z.B. am Bahnhof Ehrwald) - keine Indusimagneten eingebaut wurden. "Überfährt" ein Zug an einem solchen Bahnhof aufgrund menschlichen Versagens ein Halt zeigendes Ausfahrtssignal, wird keine Zwangsbremsung eingeleitet. Der Zug kann also auch in diesem Fall nicht gestoppt werden.

Aus dem bisher Gesagten folgt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Fahrgäste und Personal auf den deutschen Streckenabschnitten der Außerfernbahn in einen Zugzusammenstoß verwickelt werden, weitaus geringer ist, als dies auf dem österreichischen Streckenabschnitt der Fall ist. Auch das ist ein Faktum, das nicht geleugnet werden kann.

Weiters sei darauf hingewiesen, dass der Unfall auf der Außerfernbahn auch verhindert werden hätte können, wenn die derzeit nicht in Verwendung stehende Fahrleitung in Betrieb gewesen wäre. Für die Verhinderung des Unfalls lassen sich zwei Punkte anführen:

  1. Wäre die Fahrleitung funktionstüchtig gewesen, wären keine Dieseltriebfahrzeuge sondern Elektrotriebfahrzeuge unterwegs gewesen. Der Fahrdienstleiter des Bahnhofes Bichlbach-Berwang, der ja bemerkt hat, dass sich der Zug der DB Regio AG in Bewegung setzte, obwohl er keine Fahrerlaubnis hatte, hätte sofort anordnen können, dass am Bahnhof Ehrwald die Abschaltung der Fahrleitung in die Wege geleitet wird. Laut Betriebsvorschrift V 3 müssen bei Stromausfall die Lokomotivführer den Zug unverzüglich zum Halten bringen, was einen Zusammenstoß verhindern hätte können.

  2. Wäre die Fahrleitung funktionstüchtig gewesen, wäre um diese Zeit gar kein Güterzug unterwegs gewesen. Der Güterzug fuhr u.a. deshalb um diese Zeit, weil aufgrund der Steilheit der Strecke, der Schwere der Güterzüge und des Einsatzes von Diesellokomotiven die Betriebssituation speziell beim Güterzugbetrieb "angespannt" ist.

Bleibt also noch zu klären, warum die Fahrleitung zur Zeit außer Betrieb ist:

Factum est, dass die ÖBB-Regionalleitung in Innsbruck im Jahr 2000 die DB AG davon in Kenntnis setzte, dass die ÖBB den Bahnverkehr in absehbarer Zeit einstellen werden und dass daher eine Sanierung der Fahrleitung zwischen Garmisch-Partenkirchen und Griesen durch die DB Netz AG nicht mehr erforderlich sei (dieses Faktum ist eindeutig belegbar). Die DB Netz führte daher die Sanierung der Fahrleitung nicht mehr durch und entfernte stattdessen im Herbst 2000 die schadhafte Fahrleitung im genannten Streckenabschnitt ersatzlos, obwohl das Geld für eine Sanierung der Leitung vorhanden gewesen wäre. Diese Vorgangsweise der ÖBB veranlasste Ihren Amtsvorgänger, Dipl.Ing. Michael Schmid, sich am 05.10.2000 kurz vor seinem Rücktritt in einem Brief an den Chef der Deutschen Bahn AG (Dr. Hartmut Mehdorn) zu wenden und für die Außerfernbahn eine Bestandsgarantie abzugeben. U.a. heißt es in diesem Schreiben: "Ich möchte nochmals in Erinnerung rufen, daß die Strecke auf der österreichischen Seite in jedem Fall aufrechterhalten wird, unabhängig davon, ob die ÖBB im Personenverkehr den Betrieb aufrechterhält oder ob dieser gegebenenfalls durch einen anderen Betreiber weitergeführt wird."

Ein weiteres Faktum ist, dass sich in jüngster Vergangenheit in Österreich Stimmen erhoben haben, die darauf hinwiesen, dass der Regionalzug der DB AG nach österreichischem Recht gar nicht auf dem österreichischen Schienennetz fahren hätte dürfen. Gemäß den EU-Richtlinien und den österreichischen Eisenbahngesetzen sind Dienstleistungen im Eisenbahnverkehr nämlich nur mit einer österreichischen Bahnkonzession zulässig, die die DB Regio AG auf der Außerfernbahn nicht besitze.

Diesem Faktum sei Folgendes gegenübergestellt: Factum est, dass das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über den erleichterten Eisenbahndurchgangsverkehr auf den Strecken Mittenwald (Grenze) - Griesen (Grenze) und Ehrwald (Grenze) - Vils (Grenze) [StF: BGBl. Nr. 242/1957, Änderung idF: BGBl. III Nr. 58/1998 (NR: GP XIX RV 47 AB 284 S. 47. BR: AB 5052 S. 603.)] immer noch seine Gültigkeit besitzt und die Frage nach der Bahnkonzession der DB Regio im konkreten Fall relativiert bzw. überflüssig macht. Dazu noch ein Hinweis: Die DB fährt seit Jahrzehnten den Bahnhof Kufstein mit eigenem Personal (unfallsfrei) an. Mir ist nicht bekannt, dass in der Vergangenheit in Österreich je Stimmen laut wurden, die darauf hingewiesen hätten, dass die Zugleistungen in Kiefersfelden zu enden hätten, da die DB Regio AG die entsprechende Bahnkonzession nicht besitze um Kufstein anzufahren. Demnach besitzt die DB Regio die entsprechende Konzession de facto bzw. ex lege.

Aufgrund der dargestellten Faktenlage stellt Fahrgast - Pro Bahn mit Nachdruck vielmehr folgende im Interesse der Fahrgäste und des Personals stehende Forderung an den Bund, der immer noch Eigentümer der Bahninfrastruktur im österreichischen Außerfern ist: Die Außerfernbahn muss in Bezug auf das Zugsicherungssystem durch Einführung eines computerunterstützten signalisierten Zugleitbetriebs möglichst bald auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Auf der Bahnstrecke zwischen Innsbruck und Scharnitz wird dieses moderne System im Laufe des Jahres 2002 in Betrieb gehen. Für die Außerfernbahn ist der Einbau dieses Systems seit Jahren geplant, aber bis heute nicht realisiert worden. Da der Bahnbetrieb nach Einführung des signalisierten Zugleitbetriebs von Reutte aus ferngesteuert werden wird und alle anderen Bahnhöfe nicht mehr mit ÖBB-Personal besetzt sein müssen, ist dafür Sorge zu tragen, dass in Zusammenarbeit mit den Anliegergemeinden, dem Land Tirol und den ÖBB sowie privatwirtschaftlichen Initiativen Lösungen ausgearbeitet werden, die auch hinkünftig garantieren, dass an den einzelnen Bahnhöfen zumindest zeitweise Personal vorhanden ist, das sich um die Bedürfnisse der Fahrgäste kümmert. Ohne entsprechendes Kundenservice an den Bahnhöfen und in den Zügen verliert der Öffentliche Personen(nah)verkehr seine Attraktivität. Der menschliches Leid verursachende Unfall vom 09.11.2001 war jedenfalls für den Öffentlichen Personenverkehr und das Image der Bahn ein schwerer Schlag, der mit moderner Technik verhindert hätte werden können.

Es sei Ihnen freigestellt - falls Sie es für zielführend und der Klärung des Zugzusammenstoßes dienlich erachten - die angeführten Fakten oder Teile davon an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Ich danke bereits im Voraus recht herzlich für Ihre geschätzte Antwort und stehe für Rückfragen gern zur Verfügung.

Vielleicht darf ich noch darauf hinweisen, dass sich die erfolgreiche Tätigkeit der DB Regio AG im Außerfern bisher in einer 20%-igen Fahrgastzunahme niedergeschlagen hat. Auch dieses Faktum spricht für sich.

Mit freundlichen Grüßen

MMag. Martin Teißl
Fahrgast - Pro Bahn Allgäu/Tirol
Pirchanger 73
A-6130 Schwaz in Tirol

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