PRO BAHN Aktivitäten

Schreiben an Verkehrsminister Klimmt und Bahn-Chef Mehdorn

Schreiben von PRO BAHN Oberbayern vom 13. Spetember 2000

Die Bahnlinie Garmisch- Partenkirchen - Griesen - Reutte in Tirol - Kempten ist akut von der Einstellung bedroht, obgleich weder auf deutscher noch auf österreichischer Seite ein reguläres Stilllegungsverfahren eingeleitet wurde. Als besondere Problematik kommt hinzu, dass der mittlere Streckenabschnitt von Griesen bis Pfronten von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) betrieben wird. Dieser Umstand wird durch einen Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich geregelt (BGBl IIII Nr.58/1998-Außerfern-Mittenwald-Übereinkommen AMÜ).

Die Betriebseinstellung erfolgt aus technischen Gründen und gegen den Willen der Aufgabenträger. Die DB Netz AG will ab 4. Oktober 2000 die Strecke Garmisch - Griesen sperren und aus Sicherheitsgründen die marode elektrische Fahrleitung abbauen. Ab diesem Zeitpunkt beabsichtigen DBAG und ÖBB den Verkehr dauerhaft mit Bussen abzuwickeln, die jedoch die Anschlüsse nicht erreichen können. Geeignete Schienen-fahrzeuge mit Dieselantrieb stehen angeblich nicht zur Verfügung. Eine durchgängige Verbindung Garmisch -Kempten gibt es dann nicht mehr. Diese Betriebseinstellung erfolgt unter Verletzung internationaler Verträge und innerstaatlichen Rechts und vor dem Hintergrund folgender Fakten:

  • Schon seit Jahren erleben die Fahrgäste der Außerfernbahn eine negative Entwicklung. Durch immer wiederkehrende, unzuverlässige und qualitativ minderwertige Schienenersatzverkehre mit Bussen, z.T. mit Fahrzeugmangel begründet, wurden die Fahrgäste der Außerfernbahn verunsichert und regelrecht aus den Zügen vertrieben, wie Fahrgastzählungen belegen. Bisheriger negativer Höhepunkt dieser von uns als Vergraulungsaktion empfundenen fortlaufenden Verschlechterung der Verkehrsbedienung war die Zeit ab August 1999. Damals wurde die Höchstgeschwindigkeit zwischen Garmisch und Griesen auf 40 km/h beschränkt, mit der Folge, dass die Anschlusszüge in Garmisch nicht mehr erreicht wurden. Fünf Monate ließ die Bahn sich Zeit, um den Notfahrplan so zu ändern, dass die Anschlüsse in Garmisch wieder erreicht wurden. Somit war die Strecke fast das gesamte Jahr unbenutzbar. Dieselfahrzeuge wären von dieser Geschwindigkeitsbeschränkung nicht betroffen gewesen, dennoch haben die beiden Bahnen am elek ischen Betrieb festgehalten, da geeignete Dieselfahrzeuge bis heute nach Auskunft der Bahnen nicht zur Verfügung stehen.

  • Entgegen der gesetzlichen Verpflichtung nach AEG §4 hat die DB Netz AG Instandhaltungsmaßnahmen an der Fahrleitung und an der Strecke unterlassen. Korrosionsschäden und Verschleiß treten nicht unerwartet auf und werden normalerweise durch regelmäßige Wartungsmaßnahmen unterbunden. Nach Informationen des Eisenbahn-Bundesamtes wäre laut Gutachten ein Weiterbetrieb sogar lebensgefährlich, da der Fahrdraht reißen könnte, Maste umstürzen und Passanten gefährdet werden können.

  • Für die Sanierung der Fahrleitung zwischen Garmisch und Griesen sind auf Betreiben des Freistaats Bayern Finanzmittel nach BSchwag §8.2 in Höhe von ca. 6 Mio DM bereitgestellt worden. DB Netz legte im März 2000 eine Entwurfsplanung für die neue Fahrleitung vor. Offenbar waren sich damals alle Beteiligten einig, dass die Fortführung des elektrischen Betriebs notwendig ist. Nachdem in anderen Fällen die DB Netz AG diese zinslosen Darlehen für aus ihrer Sicht unwirtschaftliche Maßnahmen erst gar nicht in Anspruch nimmt, haben die früheren Ankündigungen der DB zur Fahrleitungssanierung durchaus überrascht. Heute liegt der Schluß nahe, dass die DB schon damals nicht mit der Sanierung ernsthaft gerechnet hat und nur die Rückzugsabsichten der ÖBB abgewartet hat.

  • Im Frühjahr 2000 kündigen die ÖBB an, den Personenverkehr zwischen Ehrwald und Vils ab Juni 2001 einstellen zu wollen. Diese Absicht der ÖBB wird wiederum von der DB Netz AG als Vorwand genommen, die Fahrleitung nicht zu sanieren, sondern abzureißen, da somit die Strecke angeblich nicht mehr bestandsgesichert sei. Da die Fahrleitung den Winter nicht überstehen werde, müsse der Fahrdraht noch im Oktober 2000 entfernt werden. Die ÖBB begründen damit wiederum ihre Absicht, den Betrieb bereits ab Oktober dauerhaft einzustellen und verweisen auf die DB als Schuldigen.

  • Die von der DB Netz vorgelegte Planung für das elektronische Stellwerk (ESTW) in Garmisch fügt sich in die Stilllegungsabsicht der Bahn ein: Die Reduktion der Bahnsteiggleise von 7 auf 4 im Bahnhof Garmisch kann nur mit betrieblichen Einschränkungen erkauft werden. Die Anbindung des Bahnhofs Griesen an das ESTW ist nicht vorgesehen, die nachträgliche Anbindung jedoch ist mit einem erheblichen Aufwand von mehreren Millionen DM möglich. Diese Planung setzt offenbar die Betriebseinstellung der Außerfernbahn voraus.

  • Noch 1999 hatte DB Regio sich für einen Ausbau ausgesprochen, heute argumentiert die DB mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit der Strecke. So wird in der Öffentlichkeit nur die Zahl der Ein- und Aussteiger am Bahnhof Griesen genannt und damit ein völlig falsches Bild vom Fahrgastaufkommen gezeichnet. Der Großteil der Fahrgäste benützt die Bahn über Griesen hinaus.

Gegen die von den DBAG angegebenen Gründe zur Abtragung der Fahrleitung sprechen aber eine ganze Reihe von Tatsachen:

  • Der Freistaat Bayern und das Land Tirol haben 1999 eine Studie zur Zukunft der Außerfernbahn erstellen lassen. Die Interreg-Studie kommt zum Ergebnis, dass Erhalt und Ausbau der Außerfernbahn volkswirtschaftlich sinnvoll ist und bisher ein großes Fahrgastpotential nicht ausgeschöpft wurde. Die Bahnen hatten in der Vergangenheit alle Marketingmaßnahmen unterlassen.

  • Die Strecke ist in ihrem Bestand gesichert. Die Aufgabenträger, sowohl der Freistaat Bayern wie auch das Land Tirol, werden - auch aufgrund der Interreg-Studie - dauerhaft Zugleistungen bestellen und damit ein Verkehrsunternehmen beauftragen. Das Land Tirol will außerdem die ÖBB nicht aus dem bis 2007 geltenden Verkehrsdienstevertrag entlassen und ggf. sogar den Rechtsweg gegen die ÖBB beschreiten. Zudem hat der österreichische Infrastrukturminister Michael Schmid die ÖBB angewiesen, die Strecke bis zur Übergabe an einen neuen Betreiber im Jahr 2001 weiterzubetreiben und alles zu unterlassen, was den Wert der Strecke mindert, also z.B. der Abbau der elektrischen Fahrleitung und mangelnde Instandhaltung der festen und mobilen Anlagen der Strecke. Es werden bereits Gespräche mit Interessenten geführt, die die Strecke übernehmen wollen.

  • Nach Angaben von Fachleuten lässt sich jedoch der starke Güterverkehr auf dieser Strecke aufgrund der alpinen Trassierung nur mit elektrischen Triebfahrzeugen wirtschaftlich und zuverlässig abwickeln. Ein Versuch mit Dieselloks ist vor wenigen Jahren gescheitert. Der Güterverkehr jedoch stellt ein wichtiges Standbein dieser Strecke dar, für dieses Jahr sind 140.000 Tonnen prognostiziert. Da für die künftige Abwicklung des Güterverkehrs ohne Fahrdraht keinerlei Konzept vorliegt, stellt der Rückbau der Fahrleitung eine erhebliche betriebliche Einschränkung dar und erfordert aus unserer Sicht ein Stilllegungsverfahren nach AEG §11. Ein Abbau kann nur zum Zweck der gleichzeitigen Neuerrichtung erfolgen.

  • Aufgrund des Staatsvertrags zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland (Staatsvertrag für die Strecke Scharnitz - Ehrwald und Vils - Ehrwald, BGBl.242/1957 in der Fassung BGBl IIII Nr.58/1998-Außerfern-Mittenwald-Übereinkommen AMÜ, §10(1) ) kann daher dieser Rückbau nicht ohne Einvernehmen auf österreichischer Seite durchgeführt werden. Die DB Netz AG sieht sich jedoch nicht an den Staatsvertrag gebunden.

  • Die Außerfernbahn ist von großer Bedeutung für die Tourismuswirtschaft im Bereich Werdenfels, Außerfern und im Allgäu. Der zurzeit stetig wachsende Güterverkehr in diesem Bereich müsste auf die stark belasteten Straßen verlagert werden.

Aufgrund dieser Fakten ergibt sich für PRO BAHN folgendes Bild:

Die bisher durchgeführten und die angekündigten Maßnahmen laufen auf eine de facto-Stillegung hinaus, die aber die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen umgeht. Die Deutsche Bahn AG hat durch unzuverlässige Betriebsführung und unterlassene Instandhaltungsmaßnahmen eine Betriebseinstellung aus technischen Gründen herbeigeführt oder zumindest billigend in Kauf genommen und damit unter anderem gegen das AEG § 4 verstoßen. Im Fall der Außerfernbahn ist zudem ein Staatsvertrag mit Österreich einzuhalten , an den sich die DBAG als Privatunternehmen nicht gebunden fühlt.

Als anerkannter Verbraucherverband, der die Interessen der Fahrgäste öffentlicher Verkehrsmittel vertritt, ist PRO BAHN prinzipiell am Erhalt einer leistungsfähigen Schieneninfrastruktur interessiert, die Basis für einen attraktiven öffentlichen Verkehr ist.

PRO BAHN Oberbayern fordert daher folgende Maßnahmen:

  • Die illegale, weil ohne das gesetzliche Verfahren durchgeführte Betriebseinstellung der Bahnverbindung Garmisch-Partenkirchen - Kempten im Oktober 2000 muß verhindert werden.

  • Die DB Netz AG muß eine sofortige Grundsanierung der Strecke und der Fahrleitung durchführen entsprechend der grundgesetzlichen Verpflichtung zum Erhalt der Schienenwege.

Darüber hinaus erlauben wir uns anzuregen, die Bahnreform dahingehend zu überprüfen, ob die derzeit zu beobachtende Handhabung durch die DB AG den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers entspricht. Dazu gehören auch die Aufgaben und Befugnisse des Eisenbahn-Bundesamts als Aufsichtsbehörde ebenso wie die Organisation und Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland. Leider ist die faktische Mißachtung gesetzlicher Regelungen, wie von uns am Beispiel der Außerfernbahn dargelegt, kein Einzelfall. Um so dringlicher erscheint uns die Abhilfe.

Norbert Moy, Vorsitzender des RV Oberbayern e.V.

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