PRO BAHN Aktivitäten

"Vorhang auf" für die Außerfernbahn

Wie aus einem Stilllegungs-Drama eine Erfolgsgeschichte wurde

Am 15. September haben wir Grund zum Feiern: die Ausserfernbahn fährt wieder elektrisch. Das ist fast ein Wunder, denn eigentlich sollte sie ja gar nicht mehr fahren, geschweige denn elektrisch. Spätestens zum Fahrplanwechsel werden die Dieseltriebzüge durch elektrische Züge ersetzt, vorerst wohl lokbespannt, weil für die Triebwagen der Reihe ET 426 aufgrund fehlender Schneeräumer in Österreich bisher keine Zulassung möglich ist. Der Güterverkehr soll dem Vernehmen nach sogar künftig auf 3 Zugpaare ausgeweitet werden. Die Zukunft der Strecke ist damit gesichert.

Dass das wirklich ein Grund zum Feiern ist, versteht jeder, der die Vorgeschichte kennt. Noch vor zwei Jahren hätte niemand mehr einen Pfifferling auf den Fortbestand der Strecke gewettet. Ein erster Höhepunkt im sattsam bekannten Drama vom langsamen Sterben der Bahn war das Pfingsthochwasser 1999, das die Strecke verwüstet hatte; schon damals gab es Befürchtungen, dass die Schäden das Ende der Bahn bedeuten. Nach den zögerlichen Reparaturen, die die Versicherung bezahlte, stellte die DB und das Eisenbahn-Bundesamt aber fest, dass unter der Fahrleitung nur noch mit 40 km/h gefahren werden darf, in der Folge wurden Anschlüsse versäumt und die Fahrgäste aus den Zügen vertrieben. Nun war der Kreis der Mitspieler an diesem Drama aufgrund der Internationalität der Bahnstrecke etwas größer und die Verwicklungen der Handlung noch spitzfindiger gestrickt, sodass zeitweilig nicht erkennbar war, wer nun wirklich die Strecke stilllegen will. Nachdem die Österreichischen Bundesbahnen die Einstellung des Personenverkehrs verkündeten, hatte auch die DB Netz einen Grund gefunden, die Oberleitung abzureissen und nicht wieder aufzubauen. Damit war auch das Ende des Güterverkehrs angesichts des enormen Aufwands im Dieselbetrieb absehbar. So schien das Stück seinen gewohnten Verlauf zu nehmen - wo im letzten Akt immer der Abbauzug kommt. Ich erinnere mich noch gut an die Äußerung eines leitenden DB Netz-Mitarbeiters, der - auf einen neuen S-Bahn-Zug deutend - mir sagte: "Soviel Fahrgäste, wie hier reinpassen (ca. 200), fahren auf der Ausserfernbahn den ganzen Tag über". Die Ausserfernbahn galt auch bei DB-Regio als "Schwachlaststrecke" - es fuhr ja die ÖBB und auf dem deutschen Streckenteil Garmisch - Griesen hatte man die Haltepunkte Untergrainau und Griesen über Jahre gar nicht mehr bedient - woher sollten die Fahrgäste auch kommen ohne Bahnhöfe?

Dass das Drama jetzt ein glückliches Ende gefunden hat, war im Drehbuch ursprünglich nicht vorgesehen. Zu den üblichen Personen der Handlung hatten sich schon beim ersten Akt ein paar ungebetene Mitspieler hinzugesellt, und andere, die nur für Statisten-Rollen vorgesehen waren, hielten sich nicht an die Stilllegungs-Dramaturgie. Ein paar Beispiele: Das Zementwerk Schretter in Vils wollte und konnte partout nicht seine Güter von der Schiene auf die Straße verlagern und beharrte auf den Gleisanschluss. Dr. Schretter ist hier ein großer Dank auszusprechen für sein unermüdliches Engagement. Mittlerweile ist das Güteraufkommen der Ausserfernbahn mit 140.000 Tonnen pro Jahr so groß wie nie zuvor, ein wichtiges Standbein für die Zukunft. Für die Gemeinden entlang der Strecke war nur ein kurzer Auftritt mit dem Satz "Schad is schon um die Bahn, aber der Bus ist ja viel flexibler" vorgesehen. Doch die hielten sich nicht an den eingeübten Text und forderten stattdessen vehement den Erhalt der Bahn, allen voran der Bürgermeister von Reutte, Helmut Wiesenegg. Dadurch verkümmerte die ursprüngliche groß geplante Rolle der österreichischen Bundesbus-Gesellschaft zu einer kurzen Lachnummer. Wie immer ungefragt hatte PRO BAHN die Bühne betreten und mit Presseartikeln, Fernsehbeiträgen die Masken und Listigkeiten anderer Mitspieler enttarnt und für die Ausserfernbahn geworben. PRO BAHN war seit jeher klar, welches enorme touristische Potenzial diese Strecke aufweist und es sich keineswegs um eine "Schwachlaststrecke" handelt, wenn man die Züge zuverlässig fahren lässt und bewirbt. Zum Hoffnungsträger - die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt sehr düster - wurde unsere Fahrt im Juli 2000 mit dem Saarbrücker Stadtbahnwagen nach Griesen. Obgleich uns die ÖBB an der Fahrt über die Grenze hinderten, kamen die Tiroler eben nach Bayern zur Probefahrt mit der "neuen Außerfernbahn". Für viele Fahrtteilnehmer wurde erstmals deutlich, wie moderner Regionalverkehr im Außerfern aussehen kann. Helmut Wiesenegg äußerte sich damals auf der Kundgebung in Griesen sinngemäß so, dass er eigentlich schon die Hoffnung aufgegeben habe, der Anblick des modernen Fahrzeugs in ihm aber wieder die Zuversicht wecke. Am 11.8.2000 titelte die Tiroler Tageszeitung "Ende der Außerfernbahn - Am 6. Oktober wird der Betrieb seitens der ÖBB und der Deutschen Bahn eingestellt" während die Süddeutxche Zeitung schon am 5. Mai wusste: "Sanierungskosten sind zu hoch - Außerfernbahn im Abseits"

Die überraschende Wendung erfolgte, als das Land Tirol den Schienenanschluss ins Außerfern nicht aufgeben wollte und einen neuen Betreiber suchte. Plötzlich trat die DB Regio aus dem Hintergrund - man hatte die Bühne bisher den Kollegen vom Netz überlassen - und bot sich als neuer Betreiber an. Man wurde sich über den Preis handelseinig und seit Februar 2001 fahren wieder Züge auf der Ausserfernbahn. Zuvor hatte sich ein Marketing-Beirat gegründet, in dem sich Anliegerkommunen, Fremdenverkehrsämter, die Euregios Zugspitze-Wetterstein-Karwendel und Via Salina , die PRO BAHN-Arbeitsgruppe Allgäu-Tirol und andere zusammenfinden, um die Zukunft der Außerfernbahn zu schmieden und voranzutreiben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Oberleitung kommt wieder, die Verkehrsleistung ausgedrückt in Personenkilometern hat sich gegenüber 1998 um 100 Prozent gesteigert. Die PRO BAHN-Arbeitsgruppe Allgäu-Tirol hat in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Tirol mittlerweile zwei attraktive Wanderwege beschildert und beworben. Broschüren und Faltblätter informieren die Ausflügler über die Attraktionen entlang der Strecke. Bayern-Ticket und Schönes-Wochenende-Ticket erkennt die DB Regio ebenso grenzüberschreitend an wie Fahrscheine des Tiroler Verkehrsverbundes oder die österreichische Vorteils-Card. Dr.Schennach, der Bezirkshauptmann von Reutte und treibende Kraft im Marketing-Beirat, sieht die Zukunft der Außerfernbahn in einer Mischung aus Erlebnis- und Alltagsbahn und fördert die Präsenz der Bahn in der öffentlichen Wahrnehmung. Seine nächsten Ziele sind der Einbau einer zeitgemäßen Zugsicherung, die Verbesserung der Fahrplanabstimmung von Bus und Bahn und die Attraktivitätssteigerung des Fahrplanangebots.

Und so sind am Schluss doch noch alle glücklich und zufrieden geworden, auch die, die sich ihr Glück erst anders vorgestellt hatten - oder doch nicht alle? Zumindest war zu hören, dass der ÖBB-Personenverkehr jetzt gerne wieder mitspielen möchte. Aber wer selbst unbedingt von der Bühne will, bevor das Stück aus ist, hat halt Pech gehabt.

Artikel aus der "PRO BAHN Post" September 2002, Regionalverband Oberbayern

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