S-Bahn München - Prioritäten müssen neu bewertet werden

Oktober 2005

Nach 10 Monaten des Fahrplankonzepts "Takt10" zeigt sich, dass das neue Signalsystem der Stammstrecke zu einer besseren Pünktlichkeit führt, wenn die S-Bahnen ungestört verkehren können. Es zeigt sich aber auch, dass Störungen und Verspätungen ebenso wenig aufgefangen werden wie vor der Stammstreckenertüchtigung. In einem dicht befahrenen S-Bahn-Netz mit an vielen Stellen unzureichender Infrastruktur sind solche Störungen grundsätzlich nur schwer auszugleichen. An dieser Tatsache werden weitere Investitionen zum Stammstreckenausbau und auch eine zweite Stammstrecke nichts ändern können.

S-Bahn wieder so unpünktlich wie früher

Im Gegensatz zum Frühjahr gibt es im Herbst 2005 bisher keine Häufung großer Störfälle, die das S-Bahn-System durcheinander bringen. Dies spricht dafür, dass die mit Takt10 verbundene neue Technik besser beherrscht wird. Seit September fällt jedoch insbesondere in den Hauptverkehrszeiten eine allgemeine Unpünktlichkeit auf, die die S-Bahn-Kunden nur allzu gut aus früheren Jahren kennen.

Wenn es aber um die verschlechterte Verspätungslage und weniger um große Störfälle geht, darf man nicht nur darauf setzen, dies innerhalb des S-Bahn-Netzes auszugleichen. Ein solcher Ausgleich ist aufgrund der Struktur des Netzes und der Dichte des Betriebs prinzipiell nicht ausreichend möglich. Der Ansatz für Verbesserungen muss sein, die Störeinflüsse von außen auf das S-Bahn-Netz stärker zu reduzieren.

Störeinflüsse reduzieren

Diese Störeinflüsse treffen die S-Bahn aber nicht auf der Stammstrecke, sondern auf den Außenstrecken. Mangelhafte Infrastruktur erzwingt dort häufig Einschränkungen beim S-Bahn-Betrieb, die man sich eigentlich nicht leisten sollte. Auf Gleisen, die die S-Bahn gemeinsam mit anderen Zügen nutzt, werden immer wieder Verspätungen ins S-Bahn-Netz hinein verschleppt.

Um Verbesserungen zu erzielen, müssen zunächst die Prioritäten neu festgelegt werden. Der dringendste Bedarf für Änderungen besteht bei Strecken, auf denen sich die S-Bahn die Gleise mit anderen Zügen teilt. Dies gilt insbesondere, wenn Regional-, Fern- und Güterzüge öfter als einmal pro Stunde auf diesen Gleisen verkehren. Auf die folgenden Positionen einer Prioritätenliste gehören dann eingleisige Strecken, ungenügend ausgebaute Stationen, sowie Strecken mit geringerem Mischverkehr. Neben einem solchen Ausbauprogramm müssen natürlich Schäden an der Infrastruktur, die Langsamfahrstellen zur Folge haben, vordringlich beseitigt werden.

Diese Zusammenhänge haben auch alle zum S-Bahn-Ausbau befragten Gutachter erkannt. Sie befürworten eine zweite Stammstrecke nur, wenn gleichzeitig massiv in den Ausbau der Außenstrecken investiert wird. Wenn man dies unterlässt, weil die Stammstrecke soviel kostet, dass man anderswo sparen muss, wird die Wirkung der Investitionen überwiegend verpuffen. Die momentanen Planungsverfahren zeigen aber, dass man die Gutachten missachtet, und mit aller Gewalt und aus sachfremden Gründen die zweite Stammstrecke vorantreibt, während der Zustand der Außenstrecken politisch kaum interessiert.

Gesamtkonzept notwendig

Weitere Investitionen in die S-Bahn-Stammstrecke sollten erst getätigt werden, wenn die schlimmsten Engpässe und Störquellen auf den Außenstrecken beseitigt sind. Es ist natürlich zu begrüßen, wenn in die S-Bahn investiert wird. Allerdings muss es Ziel sein, mit den begrenzten Mitteln die beste Wirkung zu erzielen. Dies kann man nach einhelliger Meinung der Sachverständigen nicht mit einer zweiten Stammstrecke erreichen, wenn gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der S-Bahn auf den Außenstrecken heruntergebremst wird.

Es ist unvermeidbar, dass der Bau eines zweiten Stammstreckentunnels auf einen Schlag sehr viel Kapital bindet. Damit zeichnet sich ab, dass Geld für die Beseitigung der Schwachstellen im Außenbereich auf Jahre hinaus fehlen wird. Die einzig bekannte Möglichkeit, die Investitionen zwischen Stammstrecke und Außenstrecken vernünftig zu verteilen, ist ein sukzessiver Ausbau des Eisenbahnsüdrings. Der Südring kann im Gegensatz zu einem Tunnel dem steigenden Bedarf allmählich bis zu einem Vollausbau angepasst werden. Dadurch bieten sich Chancen, gleichzeitig die Außenstrecken auf den notwendigen Ausbaustand zu bringen.

PRO BAHN fordert die Deutsche Bahn und den Freistaat Bayern auf, ein Gesamtkonzept für die Beseitigung der Störeinflüsse und Engpässe im S-Bahn-Netz aufzustellen. Die in den bestehenden Gutachten aufgezeigten Hinweise zum Ausbau der Außenstrecken dürfen nicht länger ignoriert werden. Eine ehrliche Analyse und Bewertung des Bedarfs sollte bestehende und neue Erkenntnisse verwenden. Hierbei müssen die Bedürfnisse der S-Bahn-Kunden im Vordergrund stehen, nicht Prestige und Medienwirkung. PRO BAHN sieht auch die Verantwortlichen bei der Münchner S-Bahn in der Pflicht, die Interessen ihres Verkehrsmittels und ihrer Kunden gegenüber der Politik und anderen Abteilungen des DB-Konzerns offensiv zu vertreten, anstatt sich an politisch opportune Entwicklungen anzuhängen.


Dieses Papier ist auch als pdf-Datei verfügbar: s-bahn-herbst-2005.pdf