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PRO BAHN zur aktuellen Debatte in der Stadtverordnetenversammlung um die Weiterentwicklung des ÖPNV in Bensheim

Am 17.11.2016 brachte die Bensheimer SPD-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Stadt Bensheim“ in die Stadtverordnetenversammlung ein, woraufhin eine Debatte zwischen den Entscheidungsträgern folgte. PRO BAHN engagiert sich seit einigen Jahren unter anderem im fraktionsübergreifenden Arbeitskreis Stadtbus Bensheim, in dieser Angelegenheit und nimmt zunächst erfreut zur Kenntnis, dass das Thema seit einiger Zeit auf der Agenda der Stadt steht.

Denn Änderung tut Not: Fahrgastunfreundliche Linienführungen, weite Wegen zu den Haltestellen in vielen Teilen der Stadt, fehlender Wochenendbetrieb der innerörtlichen Linien, viel Umsteigezwang, um Ziele zwischen Stadtteilen zu erreichen, sowie unzureichende Taktungen sind prägende Merkmale ([1], Folien 40ff). Und das Ruftaxilinien-Sammelsurium in der heutigen Form ist weder für eine Stadt in der Größe Bensheims, noch für potenzielle Neukunden im Sinne einer Verkehrsverlagerung weg vom privaten Pkw-Verkehr akzeptabel und zeitgemäß. Immerhin soll für das Ruftaxi nun ein neues Konzept ausgearbeitet werden, was zu begrüßen ist.

Als Verbraucherverband setzt sich PRO BAHN dafür ein, Steuermittel für den ÖPNV mit dem größtmöglichen Nutzen einzusetzen. Höhere Fahrgeldeinnahmen sollten zur finanziellen Stabilisierung des Betriebs beitragen. Das Potenzial dafür ist in Bensheim zweifelsfrei vorhanden: „Es wird höchste Zeit, dass die Stadt ihren Zwangskunden-ÖPNV einer kritischen Überprüfung unterzieht und endlich handelt“, so Peter Castellanos, stellvertretender Vorsitzender bei PRO BAHN und Vertreter in der Verkehrskommission des Kreises Bergstraße. „Schon in der Vergangenheit haben die Zustände nicht die Anforderungen einer 40 000 Einwohner-Stadt mit ca. 10 000 Schülern, vielen wichtigen Arbeitgebern und Freizeitzielen abgebildet. Die Stadt gibt im Moment viel Geld für einen im Vergleich zu ähnlichen Städten, geringen Nutzen aus. Lemgo, Lindau oder Frauenfeld, seien hier nur als prominenteste Beispiele für attraktive Stadtbuskonzepte erwähnt“ [2].

Für „sehr ärgerlich“ hält PRO BAHN zudem das Informationsdefizit in den Kreisen der Regierungsparteien zu grundlegenden Fragen der ÖPNV-Gestaltung. So wird beispielsweise als Argumentation die Linie 672 zum Leimenberg und Waldfriedhof einzustellen immer wieder angeführt, diese habe aktuell eine zu geringe Nachfrage. PRO BAHN warnt vor zu pauschalen Fehlschlüssen auf Grundlage von Fahrgastzählungen in einem kundenfeindlichen Status quo. Im konkreten Fall existiert mit dem Wohngebiet Leimenberg ein Potential von schätzungsweise 1500 Fahrten pro Tag, die im Sinne des von der Stadt selbst gesteckten Klimaschutzkonzeptes ([3] S.68) stärker auf den ÖPNV verlagert werden sollten (vgl. hierzu Leserbrief „Mut zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs“ im BA vom 13.10.2016). Wenn jedoch wie heute nur von 8 bis 16 Uhr im Stundentakt mit Abweichungen dort hinaufgefahren wird und am Wochenende die Haltestellen durch fehlende Bedienung verwaisen, ist eine unterirdische Nachfrage nicht überraschend. Die Situation für Fahrgäste darf daher durch die nun geplante Ersatzbedienung durch ein Ruftaxi nicht weiter verschlechtert werden.

Enttäuschend wird außerdem die fehlende Sachdiskussion unter Beteiligung der Bürger zu detaillierteren Fragen zur Kenntnis genommen. „Wenn immer nur zu allgemein ohne Sachverstand und ohne Einbezug der Betroffenen, sowie auch noch auf falscher Informationsbasis diskutiert wird, werden Bürger fatal in die Irre geführt“, so Castellanos weiter.

Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang gerne das Kostenargument als Rechtfertigung gegen Angebotsverbesserungen angeführt. Es gibt allerdings einen Punkt an dem ein gutes Angebot durch einen hohen Kostendeckungsgrad, ähnlichen Zuschussbedarf verursacht, wie das alleinige Subventionieren eines schlechten Angebotes mit geringer Nutzerschar. Dies zu untersuchen, sollte vordringliches Ziel sein, und nicht Entscheidungen auf Grundlage eigener Meinungen, Vorbehalte und unzureichender Datengrundlagen zu fällen. Dieser Tatsache sind sich leider nur zu wenige Entscheidungsträger bewusst, worauf die Beobachtung über die Art und Weise der Diskussion in der Stadtverordnetenversammlung am 17.11.2016 schließen lässt.

Daher fordert PRO BAHN sowohl Stadt, als auch Entscheidungsträger dazu auf die versprochene Bürgerbeteiligung zum ÖPNV im Zusammenhang mit dem Verkehrsentwicklungsplan zeitnah mit professioneller Hilfe eines Planungsbüros zu starten. Im offenen Dialog lassen sich Sachargumente am günstigsten austauschen, um zu einer für Bensheim angemessenen Lösung zu gelangen. Der 2012 von PRO BAHN und der Bensheimer SPD initiierte Arbeitskreis Stadtbus Bensheim stellte bis zur Einstellung seiner Arbeit vor 1 1/2 Jahren eine gute Basis hierfür dar. PRO BAHN hofft, dass die dort im 90-Seiten starken Maßnahmenkatalog [4] eingearbeiteten Themen stärkere Berücksichtigung finden, als bisher.

Ein umfassender Planungsauftrag für ein ÖPNV-Konzept, das in einem Gesamtverkehrskonzept integriert ist und mit verschiedenen Ausbaustufen eine langfristige Umsetzung beinhaltet, ist aus Sicht von PRO BAHN die angemessenste Lösung. Ein attraktiver ÖPNV ist nicht unbezahlbar und kann schrittweise umgesetzt werden. Das kürzlich vorgestellte Konzept von plan:mobil im Zusammenhang mit der Neuausschreibung der Linienbündel „Bensheim“ und „nördliche Bergstraße“ bringt einige Verbesserungen, trägt aber insgesamt nur wenigen Kundenwünschen im Verkehrsmarkt Rechnung. Zu einseitig musste das Büro auf Grundlage einer politisch festgelegten Kostenobergrenze der Stadtspitze planen.

Die „lebendige Stadt an der Bergstraße“ braucht glaubwürdige Leitziele für den ÖPNV, die Schritt für Schritt unter Berücksichtigung des Klimawandels und Stadtsäckels umgesetzt werden müssen. Laut Klimaschutzplan der Bundesregierung sollen im Verkehrssektor 40% der Treibhausgasemissionen ggü. 1990 reduziert werden ([5], S.26). Dass hierbei viele komplexe Themen und verschiedene Meinungen zu berücksichtigen sind, dürfte selbstverständlich sein.

PRO BAHN steht im Diskussionsprozess als Ansprechpartner weiterhin gerne zur Seite. In der Vergangenheit haben leider nur wenige Parteien in Bensheim dieses Angebot für eine vorurteilsfreie Meinungsfindung genutzt.


Quellen
  • [4] Maßnahmenkatalog zur Optimierung des öffentlichen Nahverkehrs in Bensheim (Peter Castellanos, AK Stadtbus Bensheim, Stand März 2016): DOKUMENT, ANHÄNGE