der Fahrgast 98: Mai - Juli 2004

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Aus dem Inhalt

Vom Börsengang zum Bettelgang?

Von Großbritannien lernen heißt privatisieren lernen: Bahnprivatisierung zwischen Wunschbild und Wirklichkeit
(von Joachim Kemnitz)

Gut zehn Jahre sind vergangen seit der Bahnreform in Deutschland und dem Beginn der materiellen Bahnprivatisierung in Großbritannien. Ein günstiger Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen.
In Großbritannien wurde das unter dem Namen "Railtrack" ausgegliederte Netz im Mai 1996 vollständig an der Börse verkauft, zu einem Ausgabekurs von £ 3,90. Ende 1998 erreichte der Kurs mit £ 17,68 seine höchste Notierung. Weitere drei Jahre später, am 7. Oktober 2001, verhängte der Verkehrsminister mit Zustimmung des obersten Gerichts die Zwangsverwaltung über Railtrack. Der letzte notierte Kurs der Aktie lag bei £ 2,80.
Ein knappes weiteres Jahr darauf, am 1. Oktober 2002, hörte die Gesellschaft auf zu bestehen und der Nachfolger "Network Rail" übernahm den Betrieb des Netzes. Anfang 2003 wurden die Railtrack-Aktionäre mit £ 2,60 pro Aktie abgefunden. Ein kurzes Strohfeuer an der Börse also, dem der rasante Abschwung folgte. Der britische Steuerzahler zahlte viermal für das Netz: beim Börsengang für den sehr billigen Ausgabepreis, für die hohen Kosten der fast ein Jahr währenden Zwangsverwaltung, für den Rückkauf der Aktiva durch Network Rail aus der Konkursmasse und schließlich für die Entschädigung der Railtrack-Aktionäre. In Deutschland ist der Börsengang der Bahn geplant, zumindest nach dem Willen der DB AG.
Grund genug zu fragen: Was ist falsch gelaufen beim Börsengang des Bahnnetzes in Großbritannien und welche Lehren kann und sollte man in Deutschland daraus ziehen?

Von Japan lernen, heißt Qualität lernen

Wie die Japaner ihre Eisenbahnen betreiben
(von Oliver Mayer)

In den 1970er und 1980er Jahren, als Kameras, Videorecorder und Autos aus den japanischen Fabriken zu konkurrenzlos günstigen Preisen und in bester Qualität die Weltmärkte eroberten, wurden viele Bücher zu den japanischen Produktionsmethoden geschrieben. Heute ist es etwas stiller geworden um die japanische Industrie, auch weil weltweit viele Unternehmen Kaizen-, Kamban- und Just-in-Time-Systeme übernommen haben. Im Eisenbahnbereich lohnt der Blick in den fernen Osten jedoch auch heute: Japan hat das wohl zuverlässigste und leistungsfähigste Eisenbahnnetz der Welt und die Probleme, mit denen die Bahn in Deutschland in der letzten Zeit zu kämpfen hatte, sind praktisch unbekannt. Die Hintergründe dafür sollen hier erläutert werden.

Effizienz des Schienennetzes: Takt braucht Planung

Zerstört der Güterverkehr den integralen Taktfahrplan?

Während die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs das Netz des integralen Taktfahrplans immer enger knüpfen, klagen andere Interessenten darüber, dass für ihre Züge oft kein Durchkommen mehr sei. Ein Instrument für eine vorausschauende Planung fehlt, obwohl die Politiker seit einem Jahrzehnt mehr Güter auf die Schiene bringen wollen. Der Bundesverkehrswegeplan fördert in erster Linie Prestigeprojekte. Nun will die Bundesregierung ein weiteres untaugliches Planungsinstrument zur Flickschusterei hinzufügen: den "Plan zur Erhöhung der Schienenwegkapazität". Der integrale Taktfahrplan als Instrument zur effizienten Entwicklung und Nutzung des Schienennetzes hat im deutschen Recht hingegen keine Stütze.

Integrierte Verkehrsplanung: Güter im Takt

Die Schweizerischen Bundesbahnen zeigen den Weg

Statt der bisherigen maßgeschneiderten Trassen bietet das Infrastrukturunternehmen der Schweizerischen Bundesbahnen den Güterverkehrsunternehmen im Transit neu fixe Trassen an - der Kunde kann aus einem Trassenkatalog, quasi aus einem Güterverkehrs-Kursbuch, die für ihn geeignete Trasse auswählen. Wie in Deutschland auch heute noch üblich, bemühten sich bisher die Fahrplanplaner beim Trassenmanagement Infrastruktur, jedem einzelnen Güterkunden eine Trasse anzubieten, die voll und ganz auf seine individuellen Wünsche ausgerichtet war. derFahrgast fragte beim SBB Trassenmanagement nach: Wie funktioniert der "Güterverkehr im Takt"? Manfred Peverelli, Leiter Fahrplannetz Güterverkehr beim Trassenmanagement Infrastruktur der SBB, gab uns aufschlussreiche Antworten.

Wettbewerb: Nach Aschermittwoch

EU beanstandet Verträge zwischen Ländern und DB

Am 26. Februar 2004 führte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger (BAG-SPNV) die 4. Tagung zum "Wettbewerb im SPNV" durch. Rund 150 Fachleute waren gekommen. Ganz unfreiwillig stand die Tagung im Zeichen der am Vortag bekannt gewordenen Aufforderung der EU-Kommission an die Bundesregierung, die bereits abgeschlossenen Länderverträge mit der DB zu beenden und neue nicht abzuschließen.

Bahnreform: Der nächste Umbruch

Netzbetreiber als Richter, Verwalter und Käufer von Wettbewerbern?

Insolvenzen und Verkäufe bei Eisenbahnunternehmen in Deutschland häufen sich. Die DB kann bestimmen, wann Wettbewerber konkursreif sind und wer die Unternehmen erwirbt. Die Länderbahnen, die den Wettbewerb im Nahverkehr in Bewegung gebracht haben, stehen unterdessen zum Verkauf. Der nächste Umbruch im deutschen Schienenverkehr zeichnet sich ab - ohne dass die Politik eine Vorstellung hat, wohin die Reise gehen soll.

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Forschungsstelle für Reiserecht

Erste Projekte in Bielefeld erfolgreich durchgeführt

An der Universität Bielefeld besteht seit dem Sommer letzten Jahres eine Forschungsstelle für Reiserecht. Sie behandelt sowohl Fragen des Individual- als auch Pauschalreiserechts. Ihr Ziel ist es, das Reiserecht in der universitären Ausbildung stärker zu akzentuieren und den Nachwuchs durch Seminare zu schulen. Ferner soll das Reiserecht in die Praktikerfortbildung der Universität eingebunden werden. Die Forschungsstelle versteht sich darüber hinaus als Servicecenter, das Fragestellungen aus Ministerien, Unternehmen, Verbänden und Kanzleien wissenschaftlich begleitet.

Die "Kundencharta Fernverkehr" der Deutschen Bahn AG

PRO BAHN - Stellungnahme

Am 3. Februar 2004 stellte die DB AG die Kundencharta Fernverkehr der Öffentlichkeit vor. Auf ihrer Grundlage sollen am 1. Oktober 2004 neue Allgemeine Beförderungsbedingungen in Kraft treten. Eine kritische Analyse der Kundencharta ist nur anhand des Originaltextes möglich. Diese Analyse ergibt: Die Verbesserungen für den Fahrgast sind marginal und werden dem Gesetzgeber nicht ersparen, die Rechte der Fahrgäste zu regeln.

Interregio-Nachfolge: ALEX in Fahrt

Positive Eindrücke
(von Michael Werner)

Am Sonntag, dem 18. Januar wollten es einige PRO BAHNer aus Oberbayern genau wissen und wir machten uns von München auf den Weg nach Oberstdorf, um den ALEX kennen zu lernen. Ein Reisebericht vom ALEX, wie der Allgäu-Express werbewirksam genannt wird.

Nord-Ostsee-Bahn spricht mit Fahrgastvertretern

Bei der Entwicklung des Konzepts für die Marschbahn Hamburg - Westerland spicht die Nord-Ostsee-Bahn von Anfang an mit Fahrgastvertretern. Am 11. Dezember 2005 soll der Betrieb der Expresslinie und der Ragionalzüge starten, am 17. März fand ein erstes Pressegespräch statt, weitere Pressegespräche sollen folgen.

Regio-Netze und Bahnreform: Regio-Netze für alle!

Ein politisches Vorwort zu den Berichten über die Regio-Netze der DB AG
(von Rainer Engel)

Die Regio-Netze der Deutschen Bahn AG können Erfolge vorzeigen. Doch politisch stellen sich zwei Fragen: Warum wird das Konzept nicht weitergeführt? Und warum können andere Eisenbahnunternehmen nicht nach dem gleichen System profitieren? Dafür hat die Bahnreform von 1994 gesorgt - Korrekturen sind notwendig. Sie würden die Regio-Netze nicht zerschlagen, sondern Chancen für mehr Regio-Netze eröffnen, nicht nur bei der DB.

Die Aufgaben der Regio-Netze

(von Erich Preuß)

Regionalnetze gründete die Deutsche Bahn am 1. Januar 2001 und ein Jahr später, am 1. Januar 2002, die Regio-Netze. Weil es damals gerade Mode war, bezeichnete die Bahn das als Mittelstandsoffensive. Mittelstandsunternehmen sind die Regio-Netze keineswegs, denn hinter ihnen steht die finanzielle Macht des Konzerns, allenfalls werden sie wie mittelständische Unternehmen geführt. Sind die bisherigen Erfolgsmeldungen eine Erfolgsgarantie?

Auf regionalisiertem Netz zum Kunden

Die Erzgebirgsbahn
(von Stefan Jugelt)

Mit dem Regio-Netz Erzgebirgsbahn zeigt der DB-Konzern, dass regionale Konzepte wirtschaftlich tragfähig sein können. Vor allem die organisatorische Selbstständigkeit und die integrierte Bewirtschaftung von Netz und Fahrzeugen bringt Vorteile. Doch es gibt auch Probleme, da die Stationen nicht zum Regio-Netz gehören und der Tarif die Bahn benachteiligt.