PRO BAHN Zeitung 74 (Mai 1998)

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Aus dem Inhalt

Fahrgäste sind auch Fußgänger

Und Fußgänger sind die Mehrheit
(von Rainer Engel)

Wie kommt der Fahrgast zum Bahnhof? Mit dem Auto, mit dem Fahrrad, mit dem Bus. Um diese Fahrgäste machen sich Planer und Verkehrsbetriebe seit einigen Jahren verstärkt Gedanken. Doch diejenigen, die den Bahnhof zu Fuß erreichen, scheinen von Verkehrsbetrieben und Planern völlig vergessen worden zu sein. Zu Unrecht: Die Fahrgäste, die auch Fußgänger sind, sind die Mehrheit.

Feet last in unserer Gesellschaft

(von Claudia Warnecke)

Im Durchschnitt gilt für jeden von uns, daß wir - wenn wir unterwegs sind - dies überwiegend zu Fuß sind, nämlich zu rund einem Drittel der von uns für Mobilität aufgewendeten Zeit. Bei der Betrachtung der Verkehrsmittelnutzung insgesamt stellt es sich so dar, daß sich die meisten Wege aus einer Verkehrsmittelkombination zusammensetzen (rd. 1,5 Verkehrsmittel je Weg) und daß in drei von vier Fällen sich darunter ein Fußweg befindet.

Zwischen den Zeilen gelesen: Anmerkungen zum Fernfahrplan 1998/99

(von Joachim Kemnitz)

Auf den ersten Blick scheint die Vorschau auf den Fernfahrplan 1998 / 99 keine großen Neuigkeiten zu enthalten. Die Eröffnung der Neu- und Ausbaustrecke Berlin - Hannover, kommt nicht als das große Ereignis zum Fahrplanwechsel Ende Mai, sondern irgendwann in der Fahrplanperiode. Dennoch lohnt es sich, die Vorschau zur Hand zu nehmen und ein wenig auch zwischen den Zeilen zu lesen. Das haben wir getan.

Neues vom Nahverkehr

(von Rainer Engel)

Selten war die Lektüre der Vorschau-Hefte für den Nahverkehr so spannend wie in diesem Jahr. Die Regionalisierung hat sehr deutliche Spuren gezeichnet. Manche sind positiv, andere aber auch negativ. Manchmal gibt es Hinweise auf Ersatzverkehr oder auf noch offene Bestellungen. Manchmal verschwinden Bahnlinien aber auch spurlos aus dem Kursbuch, so, als hätte es Fahrgäste dort nie gegeben. Vergessen sind die vollmundigen Versprechen der Politik, nach denen die Bahnreform die Strecken des Ergänzungsnetzes stärken sollte.

Ist der Südharz schon verloren?

Wie können Ökonomie und Ökologie in Einklang gebracht werden? - Ein Thesenpapier zur Verkehrsentwicklung am Südharz
(von Dankwart August)

Ursprünglich sollten nur landschaftsökologische Probleme eines 15 Kilometer langen Eisenbahnabschnittes westlich von Nordhausen beleuchtet werden. Es geht genauer gesagt um die Strecke zwischen Kohnstein und Bad Sachsa. Von Interesse ist die verkehrsspezifische Beeinträchtigung der durch humides Klima geprägten Gipskarstlandschaft am Südharz, die Gefährdung einer in Europa einmaligen geomorphologischen Erscheinung.(1) Da aber Bezüge zum übergeordneten räumlichen Zusammenhang herzustellen sind, waren Schlußfolgerungen für den gesamten Südharzrand zwischen Northeim und Sangerhausen unausweichlich.

Fahrrad kostenlos

(von Winfried Karg; nach Angaben der DB)

Mit der Bahn unterwegs und das Fahrrad dabei - diese praktische und umweltfreundliche Kombination gewinnt immer mehr Anhänger. Das wird auch von Verkehrsunternehmen, Fremdenverkehrsverbänden und Politikern gern gesehen. Deutliches Anzeichen dafür: Es gibt immer mehr Eisenbahnstrecken, auf denen der Fahrgast sein Fahrrad umsonst mitnehmen kann. Dies gilt allerdings immer nur in den Nahverkehrszügen, also S-Bahn, Regionalbahn, Regionalexpress und Stadtexpress, abgekürzt: S, RB, RE und SE. Hier eine Übersicht der uns bekannten Angebote, Stand Anfang März 1998:

  • Bayern
    Auf zahlreichen Strecken in Südbayern kostenloser Fahrradtransport, unter anderem auf den Strecken Lindau - Kempten - Buchloe, Ulm - Kempten - Oberstdorf, Holzkirchen - Rosenheim - Mühldorf - Passau und alle Strecken südlich und östlich dieser Linie sowie weitere Strecken, die aus einer örtlich erhältlichen Broschüre hervorgehen.
  • Hessen
    Auf allen Strecken im Rhein-Main-Verkehrsverbund und im Nordhessischen Verkehrsverbund kostenlos, das heißt fast in ganz Hessen und einigen angrenzenden Gemeinden und Landkreisen. Im Stadtgebiet Frankfurt/Main montags bis freitags nur 9 bis 16 sowie nach 18.30 Uhr, am Wochenende und feiertags ganztägig.
  • Rheinland-Pfalz
    Verkehrsverbund Rhein-Neckar VRN: Kostenlose Fahrradmitnahme auf allen Strecken montags bis freitags ab 9 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen ganztags. Darüber hinaus ist die kostenlose Fahrradmitnahme bis zum 23.5.98 auf folgenden Strecken vereinbart, eine Verlängerung ist geplant, war aber bei Redaktionsschluß noch nicht beschlossen (KBS = Kursbuchstrecke):
    • KBS 470 Rolandseck - Brohl und Andernach - Koblenz
    • KBS 477 Remagen- Ahrbrück
    • KBS 478 Andernach - Mayern-West
    • KBS 479 Boppard - Emmelshausen
    • KBS 625 Koblenz - Limburg
  • Nordrhein-Westfalen
    Kostenlose Fahrradmitnahme vom 15.5. bis 15.10.98 im Nahverkehrsverbund Paderborn/Höxter auf den Strecken von Paderborn nach Holzminden, Lauenförde-Beverungen ,Steinheim, Hövelriege, Sandebeck, Salzkotten Warburg, Scherfede.
  • Hamburg
    Kostenloser Transport in den Zügen und U-Bahnen im Gebiet des Hamburger Verkehrsverbundes, Montag bis Freitag zwischen 9 und 16 Uhr sowie nach 18 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen ganztägig.

Weitere Informationen über die Kombination Bahn und Fahrrad enthalten die Prospekte "Bahn & Bike", die für 1998 neu erschienen sind. Die DIN-A 4 -Version informiert über die Bedingungen im Fernverkehr; lobenswert, daß hier auch die Frage des Fahrradtransports mit der Bahn ins Ausland beantwortet wird. Für die einzelnen Bundesländer gibt es kleine Taschenversionen des Prospekts, die auch die örtlichen Sonderregelungen und Angebote enthalten - bei einem Urlaub mit Bahn und Fahrrad sollten Sie sich die Version der Urlaubsregion besorgen! Für Fragen hat die Bahn eine Radfahrer-Hotline eingerichtet: 01803/194 194 (kostet pro 30 Sekunden eine Telefoneinheit).

Wochenend und Sonnenschein ...

Die Bedingungen für die Benutzung des Schönen-Wochenende-Tickets sind geändert worden: Seit dem 1.4 dürfen nur zwei statt bisher 5 Personen über 17 Jahre mit dem Ticket unterwegs sein. Sie dürfen drei Personen unter 17 Jahren mitnehmen, Eltern dürfen alle eigenen Kinder bis einschließlich 17 Jahren mitnehmen. Bis auf weiteres dürfen auch fünf Jugendliche bis zu 17 Jahren mit der Fahrkarte für 35 Mark beliebig weit fahren. Zudem hat sich ein weiterer Verkehrsverbund dem Schönen-Wochenende-Ticket geöffnet: seit dem 1.3. dürfen Fahrgäste mit diesem günstigen Fahrschein im Gebiet des Münchner Verkehrsverbundes MVV alle Verkehrsmittel benutzen, also nicht nur die Züge der Deutschen Bahn AG. Eine Liste aller anderen Verkehrsverbünde, die die Benutzung aller Verkehrsmittel mit dem Schönen-Wochenende-Ticket gestatten, war bereits in der PRO BAHN-Zeitung 2/1997 auf Seite 24 abgedruckt.

Bahncard vergessen?

Kein Problem mehr. Wer seine Fahrkarte im Zug löst, seine Bahncard aber vergessen hat, erhält trotzdem seine Ermäßigung: Der Zugbegleiter trägt den Namen des Fahrgastes auf die Fahrkarte, und gegen Vorlage von Fahrkarte und Bahncard erhält der Kunde an der Fahrkartenausgabe die 50-Prozent-Ermäßigung durch die Bahncard zurück.

Für Sie gelesen:

Handbuch der Verkehrsunternehmen

Die Herausgabe eines Handbuchs mit Daten über ihre Mitgliedsunternehmen ist beim Verband Deutscher Verkehrsbetriebe (VDV) zu Tradition geworden. Die Ausgabe 1998 des "Handbuchs der Verkehrsunternehmen im VDV" enthält Angaben über rund 530 Mitgliedsbetriebe, die auch statistische Daten über Strecken, Linienlängen, Fahrzeugbestand, Verkehrs- und Beförderungsleistungen und Personalbestand enthalten. Der Band ist durch eine Übersichtskarte und ein Register erschlossen.
Der Band sei angesichts des nicht unerheblichen Preises demjenigen empfohlen, der häufiger Grundinformationen über bestimmte Verkehrsbetriebe benötigt.
Handbuch der VDV-Unternehmen, Herausgeber: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, 1998, 456 Seiten, 1 Karte, DIN A 5 kartoniert, 86 DM, Erich Schmidt Verlag Berlin und Bielefeld, ISBN 3-503-04126-5.

PRO BAHN-Workshop: Regionalisierung in den neuen Ländern

Trotz schlechter Rahmenbedingungen wird der Schienennahverkehr in Sachsen-Anhalt zu einer echten Alternative für den Autoverkehr weiterentwickelt. Das ist das Ergebnis eines PRO BAHN Workshops, der am 21. März in Magdeburg stattfand. Zahlreiche PRO BAHN-Funktionsträger und PRO BAHN-Mitglieder, vor allem aus der weiteren und näheren Umgebung Magdeburgs, waren zu dieser Informationsveranstaltung angereist.

Im Rahmen einer Pressekonferenz und vor dem Tagungsplenum schilderten Dr. Heyer, Minister für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr, und der PRO BAHN-Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann ihre Vorstellungen und Ansprüche an einen attraktiven, zeitgemäßen Nahverkehr. Sachsen-Anhalt, so Heyer, erbte von der Reichsbahn ein sehr dichtes Streckennetz, so daß nur zwei Alternativen blieben: ein starker Rückzug, wie vor allem in der "etwas phantasielosen Verkehrspolitik" in Sachsen, oder ein mitgehender Erhalt und die Suche nach neuen Konzepten. Die Landesverkehrspolitik habe sich für letztere Variante entschieden. Naumann lobte diese Strategie, "in Netzen und nicht nur in einzelnen Strecken zu denken", als vorbildlich. Übereinstimmend betonten Heyer und Naumann die ökonomische und ökologische Bedeutung der Bahn für das Bundesland. So beschäftigt der Bahnsektor nach Heyers Worten immer noch rund 16.000 Arbeitsplätze allein in Sachsen-Anhalt. Und Naumann ergänzte, daß Investitionen in die Diens tleistung des öffentlichen Verkehrs mehr Arbeitsplätze schaffe als der Bau "toter Autobahnen".

Danach erläuterten Klaus-Rüdiger Malter für die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) und Thomas Hoffmann für den DB AG-Regionalbereich Nahverkehr Sachsen-Anhalt die Regionalisierung aus der Sicht der Besteller und der Betreiber. Malter wies darauf hin, daß effektiver Nahverkehr sich nur mit Kooperation und Koordination mit den Kommunen, Nachbarländern und allen Verkehrsträgern erreichen lasse. Daher arbeite die NASA bereits an einem Verbundtarif für alle Verkehrsmittel und könne bereits ein übergreifendes Auskunftssystem anbieten. Dabei gebe es vielfache Schwierigkeiten: Wenn zum Beispiel Sachsen grenzüberschreitende Linien ohne Rücksprache mit dem betroffenen Nachbarland abbestellt oder wenn Thüringen auf geänderten Taktzeiten "seiner" RE-Linie Erfurt - Sangerhausen besteht und damit den Knoten Sangerhausen mutwillig zerstört, sogar gegen den Rat und Willen der DB.

Auch für die DB AG sind Kooperationen dort von großer Bedeutung, wo das eigene Unternehmen vor Ort nicht über die notwendige Logistik verfügt. So sei es ein Vorteil, die Strecke von Klostermansfeld nach Wippra durch die ortsansässige Malsfelder Kreisbahn zu betreiben und die Fahrzeuge der Burgenlandbahn durch die Karsdorfer Eisenbahn warten zu lassen.

Auch Usedom ist ein gutes Beispiel erfolgreicher Regionalisierung unter schwierigsten Bedingungen. Horst Metzger, PRO BAHN, und Annett Blohm, Usedomer Eisenbahnfreunde, berichteten von den Erfolgen und Problemen bei der Entwicklung eines umweltfreundlichen Tourismus. Horst Metzger wird als Tourismus-Beauftragter von PRO BAHN ein integriertes Verkehrskonzept für Usedom entwickeln.

Große Gefahren für den Ausbau des Bahnverkehrs auf der Schiene birgt die mangelhafte Bereitschaft der Bundesregierung, die Finanzierung von Projekten des Regionalverkehrs zu sichern, wie Karlheinz Rochlitz darstellte. Rochlitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Albert Schmidt, Verkehrssprecher von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bundestag. Während prestigeträchtige Fernverkehrsprojekte wie die Neubaustrecke Nürnberg - Erfurt oder der Transrapid ohne Abstriche verwirklicht werden sollten, würden die Zuschüsse für Investitionen für den Nahverkehr gekürzt. Eine genaue Analyse, die Rochlitz mit Zahlen belegte, zeigte auf, daß die Investitionen in den Nahverkehr ständig zurückgehen und bereits seit Jahren die Investitionen für den Straßenbau die Investitionen in die Schiene wieder weit übersteigen.