der Fahrgast 106: Mai - Juni 2006

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Aus dem Inhalt

Winter 2006: Dank an die Eisenbahner

Der Winter 2006 brachte in Süddeutschland Schnee im Übermaß. Während viele Fahrgäste auf den Bahnsteigen über mangelnde Information klagten, erlebten Fahrgäste in den Zügen, wie sich die Lokführer und Zugbegleiter einsetzten - oft weit über ihre Pflicht hinaus.

Je mehr Trennung, um so mehr Verkehr

Eindeutiges Ergebnis - schwierige Entscheidung

Je unabhängiger das Schienennetz von den Verkehrsunternehmen wird, desto mehr Verkehr kommt auf die Schiene. Das ist das Ergebnis des von der Bundesregierung eingeholten Gutachtens "Privatisierungsvarianten mit und ohne Netz" (kurz: PRIMON-Gutachten) zum Börsengang der Deutschen Bahn AG. Trotz der Zweifel an der Unabhängigkeit einiger beteiligter Berater und trotz Schwärzungen im Gutachten ist das Ergebnis so eindeutig, dass der Bundestag kaum noch für den von DB-Chef Mehdorn gewünschten integrierten Börsengang des gesamten Bahnkonzerns votieren kann. Ganz nebenbei kam ans Tageslicht, dass die Börsenbahn auch 6.000 Kilometer Strecken stilllegen würde. Es geht also um die Entscheidung zwischen "mehr Zukunft für die Schiene" und "etwas mehr Geld in die Staatskasse".

Die Bewertung des PRIMON-Gutachtens
Alle Pluspunkte für die Trennung

Mit dem integrierten Börsengang soll der Staat an Schenker und Bax verdienen

Das PRIMON-Gutachten hat reichlich Pluspunkte für die vollständige Trennung von Netz und Verkehr zutage gefördert. Als einzigen Pluspunkt für den von der DB gewünschten integrierten Börsengang mit Netz führt das Gutachten den höheren Erlös für die Staatskasse an - aber genau hier stehen die Berechnungen der PRIMON-Gutachter auf tönernen Füßen: Sie beruhen auf der Erwartung, dass die DB im Logistikgeschäft satte Dividenden erwirtschaftet, an denen der Staat teilhaben soll.

Außerdem basieren die "Erlöse" auf einer Verpflichtung des Staates, jährlich mindestens 2,5 Mrd. Euro für das Schienennetz zuzuschießen.

Auch andere Ausführungen des PRIMON-Gutachtens greifen zu kurz, und eine nähere Beschäftigung mit den vor allem politischen Wirkungen hätte noch weitere Vorteile der Trennung zutage gefördert. Die Gutachter haben vor allem die Tatsache nicht ausreichend gewürdigt, dass das Schienennetz ein Monopol ist. Wir bewerten das Gutachten aus Sicht der Fahrgäste - und des Steuerzahlers.

Privatisierungserlös aus Staatsvermögen

Wird die DB AG unter Wert verkauft?
(von Karl-Dieter Bodack)

Das PRIMON-Gutachten rechnet bei einem Verkauf von 49 % einer integrierten Deutschen Bahn AG mit einem Erlös von 5 bis 8,7 Mrd. Euro, beim Verkauf der Verkehrsgesellschaften ohne Netz mit 4,6 bis 6,5 Mrd. Euro. Ist die DB wirklich so wenig wert?

Dieses gravierende Problem wurde im vorliegenden Gutachten nur aus der Sicht von Investoren, nicht jedoch aus der Sicht der Eigentümer - das sind die Bundesregierung und die Bürger dieses Landes! - erörtert. Im Folgenden soll abgeschätzt werden, wie hoch der tatsächliche Wert der DB AG ist. Damit dies nachvollziehbar und verständlich wird, muss hier auf viele mögliche Details verzichtet werden: Alle Daten stellen deshalb nur Größenordnungen dar.

Schwärzungen aufgedeckt: Börsenbahn legt forciert still

6.000 Kilometer Strecke in Gefahr

Was Kenner der Materie schon immer vorausgesagt hatten, steht auch im PRIMON-Gutachten: Eine Börsenbahn legt forciert Bahnlinien still. Die betreffende Passage war geschwärzt und damit Bundestagsabgeordneten und der Öffentlichkeit vorenthalten worden.

Die Börsenbahn nutzt aber aber auch ganz andere Methoden als ein gemeinnütziger Staatsbetrieb: sie setzt auf die Länge des Rechtsweges und schafft unterdessen vollendete Tatsachen.

Streikdrohung der Eisenbahner: Erst für, jetzt gegen Börsengang

Gewerkschafter verwechseln Erhalt des Konzerns mit sicheren Arbeitsplätzen

Einige Gewerkschafter der Eisenbahner drohen mit Streik - erst für, jetzt gegen den Börsengang der Deutschen Bahn AG. Der plötzliche Kurswechsel wird verständlich, wenn man sich die Landschaft der Gewerkschaften genauer ansieht. Denn die Gewerkschaften der Eisenbahner sind gespalten. Die drei Eisenbahnergewerkschaften haben unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Strategien und unterschiedliche Gründe für ihre Stellungnahmen zur Bahnreform.

Trennung zwischen Rad und Schiene: Technik kontra Politik?

Gerät der Schienenverkehr mit der Trennung aufs Abstellgleis?

Aus technischer Sicht scheint sich die Einheit von Rad und Schiene, von Transport und Schienennetz aufzudrängen. Eine wohl begründete Analyse des Verhältnisses von Netz und Transport ergibt, dass das Netz das Bahnwesen dominiert, weil hier die Signale und Weichen gestellt und die Fahrpläne realisiert werden. Ergibt sich daraus zwingend, dass das Schienennetz im DB-Konzern verbleiben muss? Wir setzen uns mit den Argumenten des Eisenbahnbetriebswissenschaftlers Prof. Jörn Pachl, TU Braunschweig, auseinander. Das Ergebnis: Was aus technischer Sicht wünschenswert ist, ist volkswirtschaftlich unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht tragbar. Da die Politik diese Rahmenbedingungen auch nicht durchgreifend ändern wird, müssen wir uns darauf einrichten, das System Schiene gleichzeitig technisch weiterzuentwickeln und bezahlbar zu machen.

Neue Wege zur Finanzierung des Verkehrsträgers Schiene: BBB-Allianz für PPP

Eignen sich alternative Finanzierungsformen auch für den Bahnbereich?
(von Joachim Kemnitz)

Seitdem die Staatskassen leer sind, kommt mehr und mehr die Diskussion über die stärkere Nutzung privater Finanzquellen im Wege einer öffentlich-privaten Partnerschaft (Public-Private-Partnership: aus dem Englischen als "PPP" abgekürzt) in Gang. Eignen sich neue Konzepte zur Finanzierung auch für den Schienenverkehr oder verdient daran nur die "BBB-Allianz" (Banken, Bauwirtschaft und Berater), wie Kritiker behaupten?

Ein Symposium mit dem Titel "Ansätze zu alternativen Finanzierungen in der Schieneninfrastruktur" am 1. und 2. Februar dieses Jahres in Dresden, veranstaltet vom dortigen "Innovationszentrum Bahntechnik Europa" sollte diese Fragen klären und - so die Hoffnung zumindest der Teilnehmer aus den Reihen der "BBB-Allianz" (Banken, Bauwirtschaft, Berater) - den Startschuss für die Belebung von Investitionen im Bahnbereich geben. Doch tatsächlich sind die Einsatzfelder, die für die öffentlichen Haushalte vertretbar sind, für privates Kapital begrenzt - und genaues Zuhören machte dem Besucher des Symposiums deutlich, wie viel Augenwischerei die Befürworter der privaten Finanzierung betreiben.

Regionalisierungsmittel gut angelegt: Die Rhönbahn

Wichtige Nahverkehrsverbindung und Bahnlinie mit hohem Freizeitwert
(von Thomas Bayer)

Die Rhönbahnstrecke Fulda - Gersfeld (DB-Kursbuch 616, RMV-Linie 52) ist eine der wichtigsten Nahverkehrsstrecken im hessischen Teil des UNECSO-Biosphärenreservats Rhön. Der Erhalt ist der Initiative der Fahrgäste zu verdanken: Der "Rhönbahnvertrag" von 1993 geht auf eine Initiative von PROO BAHN zurück und war einer der Beweise für die Notwendigkeit der Regionalisierung des Nahverkehrs. Trotz einiger Kritikpunkte ist die Bahnlinie für PRO BAHN ein Erfolgsmodell. Am 1. Mai starten ab Gersfeld wieder die Busse, die die Touristen von Gersfeld in die Rhön bringen.

Selketalbahn verlängert: Dem Tourismus Dampf machen

Neue Schmalspurstrecke ab Quedlinburg eröffnet - warum aber im kalten Winter?
(von Erich Preuß)

Die Selketalbahn von Gernrode nach Harzgerode und nach Hasselfelde steht im Schatten der grandiosen Brockenbahn. Während jährlich Millionen Menschen mit den Dampfzügen zum 1142 m hohen Gipfel fahren, werden die ebenfalls zu den Harzer Schmalspurbahnen gehörende Selketalbahn und die Ausflugsziele im Unterharz weitgehend ignoriert. Nach den Fahrgastzahlen müsste die Selketalbahn stillgelegt werden.

Das soll sich ändern. Ab 26. Juni 2006 werden die Schmalspurzüge bereits in Quedlinburg beginnen. Sowohl die Harzer Schmalspurbahnen erhoffen sich viele Fahrgäste auf der Selketalbahn wie die Tourismusorganisationen im Unterharz. Doch die reizvolle Kombination von Bahn und Wandern ist noch sehr unterentwickelt.