Probleme im Eisenbahntarif zwischen München und Holzkirchen

Ursachen, Auswirkungen und Folgerungen

Juni 2007


Sachstand:

Die Bayerische Oberlandbahn (BOB) ist eine nicht-bundeseigene Eisenbahn (NE-Bahn), für die im verbundüberschreitenden Personenverkehr mit der Deutschen Bahn AG (DB) ein sogenannter Anstoßtarif gilt. Die im Binnenverkehr der BOB zur Anwendung kommenden Tarife, sowie der Tarif für Fahrten innerhalb des Münchner Verkehrsverbundes (MVV) sind nicht Gegenstand dieser Betrachtung.

Die für Anstoßverkehre DB/NE maßgeblichen tariflichen Regelungen sind in den "Beförderungsbedingungen für Personen im Anstoßverkehr der Eisenbahnunternehmen in Deutschland" (BB Anstoßverkehr) zu finden. Diese sind Bestandteil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der DB AG enthalten (BB Anstoßverkehr). Die erste Seite der BB Anstoßverkehr sind als Anlage 1 beigefügt. Dort findet sich der folgende Satz:

Anstoßverkehr im Sinne dieser Beförderungsbedingungen ist der Wechsel des Beförderers auf den Strecken der beteiligten Eisenbahnen auf aneinander anschließenden, nicht parallelbedienten Strecken.

Bezogen auf die BOB müsste dies eigentlich bedeuten, dass der Tarif nach BB Anstoßverkehr nur zwischen DB-Bahnhöfen und BOB-Stationen südlich von Holzkirchen erhoben werden kann. Im Abschnitt München – Holzkirchen gibt es überall parallelfahrende S-Bahnen der DB, jede BOB-Station zwischen München und Holzkirchen ist auch ein DB-Halt (und DB-Tarifpunkt).

Eine entsprechende Regelung galt auch bis zum 31.7.2006. Dann hat man dies aber geändert – zu Lasten der Fahrgäste. Die Strecke zwischen München und Holzkirchen wurde in den Anstoßverkehr aufgenommen, alle BOB-Stationen zwischen München und Holzkirchen wurden tarifliche Übergangspunkte zwischen DB und BOB.


Auswirkungen:

Als erstes meldeten Fahrgäste aus dem Mangfalltal, dass sie keinen Fahrschein mehr ins DB-Netz via die BOB-Strecke erwerben können. Dies ist ein bekanntes Versagen des DB-Verkaufssystems, das Relationen DB – NE – DB nicht verkaufen kann. Jahrelang bekannt, die DB sah sich noch nicht dazu motiviert, dies zu ändern.

Schaut man genauer hin, sieht man das angerichtete Tarifchaos. Im Anhang finden sich einige Ergebnisse aus der Reiseauskunft der DB. Die dort ermittelten Preise erhält man beispielsweise ebenso, wenn man Fahrscheine an den DB-Automaten mit Touchscreen erwirbt (dies sind die Automaten, die auch Fahrscheine zu fast allen Fernverkehrszielen der DB verkaufen).

Bruckmühl – Germering-Unterpfaffenhofen (Anlage 2)

Hier sieht man, dass für Fahrten mit der BOB die DB-Auskunft keinen Preis für die Gesamtstrecke liefert. Die Automaten an den Stationen können daher auch keinen Fahrschein für die Gesamtstrecke verkaufen. Man muss unterwegs einen zweiten Fahrschein kaufen (Zeitverlust), oder man nimmt eine langsamere Verbindung. Die BOB verkauft im Zug keine Fahrscheine.

Bruckmühl – München Hbf (Anlage 3)

Aus dem Mangfalltal nach München Hbf kann man Fahrscheine auch für Fahrten mit BOB-Zügen erwerben, da es nur einen einfachen Übergang NE/DB gibt. Hier sieht man aber, dass eine reine DB-Verbindung über die identische Strecke (S27) deutlich billiger ist, wenn man Kinder dabei hat (keine freie Kindermitnahme auf der BOB!). Weitere unterschiedliche Preise ergeben sich bei Verbindungen mit Umsteigen in Rosenheim oder Kreuzstraße.

Will man vom Rosenheimer Platz in München zu einem BOB-Ziel wie Bad Tölz, gibt es mehr als eine Handvoll verschiedener Preise. Die folgenden Beispiele wurden alle für eine Person mit Bahncard 25 ermittelt.

Rosenheimer Platz – Bad Tölz mit Umsteigen Donnersbergerbrücke (Anlage 4)

Dies ist der Normalfall, der im Internet oder am Automaten ausgegeben wird, wenn man keine weiteren Optionen angibt. Fahrpreis: 8,60 EUR.

Rosenheimer Platz – Bad Tölz mit Umsteigen Hauptbahnhof (Anlage 5)

Möchte man am Hauptbahnhof umsteigen und gibt ein paar Minuten Aufenthalt ein, um dort beispielsweise noch eine Brotzeit zu kaufen, wird es billiger! Fahrpreis: 8,15 EUR.

Vor Ort am Rosenheimer Platz kann man zwischen Fahrscheinen für die beiden oben genannten Verbindungen mit unterschiedlichen Umsteigepunkten nur an den DB-Automaten mit Touchscreen wählen. Gibt man an einem Nahverkehrsautomaten der DB (Automat ohne Touchscreen mit zwei Tastenreihen für MVV-Fahrscheine und Zahlenkombinationen für DB-Ziele) am Rosenheimer Platz das Ziel Bad Tölz ein, kommt ein neuer Preis heraus: 9,50 EUR. (Anlage 6 zeigt ein Foto des Automatendisplays).

Wie kommt dieser Preis von 9,50 EUR zustande? Erster Gedanke: mit der S5 via Giesing. Doch die Auskunft liefert für diesen Fall einen Fahrpreis von 8,40 EUR. (Anlage 7)

Eine weitere Umsteigemöglichkeit zur BOB besteht am Harras. Die Reiseauskunft der DB liefert für diesen Fall jedoch mit 8,60 EUR den gleichen Fahrpreis wie beim Umsteigen an der Donnersbergerbrücke. Bleibt noch Siemenswerke als Umsteigepunkt. Hier ergibt sich ein Fahrpreis von 9,35 EUR (Anlage 8). Bei diesem Ergebnis stellt sich die folgende Frage: Wenn ein Fahrgast mit einem Fahrschein für 8,60 EUR erst an der Station Siemenswerke in die BOB umsteigt, anstatt an der Donnersbergerbrücke – fährt er in dem Fall dann schwarz, und wenn ja wo, in der BOB oder in der S-Bahn?

Die Auflösung der obigen Frage, wie der Nahverkehrsautomat zum Fahrpreis von 9,50 EUR kommt, erhält man, wenn man durch entsprechende Eingaben erzwingt, dass man bis Holzkirchen nur S-Bahn-Züge benutzt, dies aber auf genau der gleichen Strecke, auf denen die Züge der BOB verkehren. Das Ergebnis sieht man in Anlage 9.

Da sicher viele Kunden Fahrscheine an Nahverkehrsautomaten erwerben, stellt sich die Frage, ob so ein Fahrschein dann in der BOB überhaupt gilt, wenn man deren Züge ab Hauptbahnhof oder Donnersbergerbrücke benutzt. Die Preisberechnung geht offensichtlich von einem Umsteigen erst in Holzkirchen aus.

Solange man mit 9,50 EUR mehr bezahlt, als den günstigsten Preis von 8,15 EUR, liegt der Ärger sicher immer auf Seiten der Kunden. Aber der Nahverkehrsautomat verkauft den Fahrschein "inklusive Familienkinder" (siehe Foto). Die BOB erhebt jedoch auch für Familienkinder (eigene Kinder oder Enkel) einen Aufpreis. Anlage 10 zeigt eine Reiseauskunft bei Eingabe von 2 eigenen Kindern. Der Fahrpreis beträgt 18,20 EUR. Da dies erheblich mehr als 9,50 EUR ist, stellt sich wieder die Frage, ob man mit dem Fahrschein aus dem DB-Nahverkehrsautomaten schwarz fährt. Sollte man sich in der BOB weigern, irgendetwas zuzuzahlen? Oder wird man gar sofort (oder im Wiederholungsfall) mit einem erhöhten Beförderungsentgelt bedroht?

Weitere Tarifbeispiele für Fahrten ins BOB-Netz findet man im Internet bei den Tariftipps zum MVV und darüber hinaus.


Erstes Fazit:

Auch dann, wenn die BOB in Konfliktfällen maximale Kulanz walten lässt, muss aus Fahrgastsicht alles getan werden, damit die momentane Situation kein Dauerzustand wird. Das diffuse Tarifgewirr ist das genaue Gegenteil einer klaren und für den Fahrgast halbwegs transparenten Tarifregelung. Der jetzige Zustand schädigt zudem das Ansehen des Öffentlichen Verkehrs und bestätigt alle Vorurteile, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kompliziert ist, und dass die beteiligten Unternehmen nicht kundenorientiert sind.


Lösungsmöglichkeiten:

Die einfachste Lösung aus Fahrgastsicht ist die Rückkehr zum vorherigen Zustand. Bis zum 31.7.2006 hat die BOB DB-Fahrscheine bis Holzkirchen ohne Einschränkung anerkannt. Die Änderung zum 1.8.2006 kam wohl auf Drängen der BOB zustande, da vorher von der DB keine den Fahrgastzahlen entsprechender Einnahmeausgleich gezahlt wurde.

Um die für die Kunden nicht hinnehmbare Verschlechterung rückgängig zu machen, ist in erster Linie die DB gefragt, einer vernünftigen und gerechten Einnahmeaufteilung gegenüber NE-Bahnen zuzustimmen. Es ist aber auch die Politik gefragt, entsprechend Druck auf das bundeseigene Unternehmen DB auszuüben. In Bayern stehen in erster Linie Wirtschafts- und Verkehrsminister Huber in der Verantwortung, sowie die in seinem Auftrag handelnde Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG).

Die BEG bestellt die Verkehre bei den Eisenbahnunternehmen. Im Zuge von Ausschreibungen, Preisanfragen und Direktvergaben ist sie für die vertraglichen Regelungen verantwortlich. Wenn solche Verträge tarifliche Regelungen wie zwischen München und Holzkirchen erlauben, so sind sie schlecht ausgehandelt und laufen den Interessen der Bürger zuwider.

Neben einer anzustrebenden Rücknahme der Tarifänderung vom 1.8.2006 sind auch Kompromisslösungen denkbar, die allerdings von den Beteiligten eine gewisse Innovationskraft und Flexibilität erfordern. Bis zum 31.7.2006 war Holzkirchen der einzige tarifliche Anstoßpunkt bei Verkehren zwischen der DB und der BOB. Damit wurde der Abschnitt München – Holzkirchen zum finanziellen Zankapfel zwischen den beiden Unternehmen.

Außer der jetzigen chaotischen Regelung wäre auch denkbar, den tariflichen Anstoßpunkt in die ungefähre Mitte des fraglichen Streckenabschnitts zu legen, beispielsweise nach Deisenhofen. Dies hätte folgende Konsequenzen:

Vorteil einer solchen Lösung ist die Reduzierung der Anstoßpunkte auf Deisenhofen für Verkehre aus Richtung Norden, sowie zusätzlich Holzkirchen für den Verkehr zwischen Mangfalltal und BOB. Nicht gelöst wird das Problem, dass die DB keinen durchgehenden Fahrschein mit einem NE-Anteil in einem Mittelstück verkaufen kann. Dies ist aber ein Problem des DB-Vertriebssystem.

Der Vorschlag eines Anstoßpunktes in Deisenhofen ist zudem nur eine Lösungsskizze. Eine genauere Ausformulierung, eine Analyse der Machbarkeit und ein Abwägen der Vor- und Nachteile muss an anderer Stelle geschehen.


Zweites Fazit:

Alle Beteiligten sind aufgefordert, aktiv an einer Lösung zu arbeiten. Dass man finanzielle Streitigkeiten zwischen Unternehmen zu Lasten der Kunden löst, kann nicht sein. Da marktwirtschaftliche Mechanismen dies im Öffentlichen Nahverkehr offensichtlich nicht verhindern können, ist die Bestellerseite, also Politik und BEG, gefragt. Es kann ja nicht Sinn einer modernen Verkehrspolitik sein, dass dabei zugesehen wird, wie Unternehmen untereinander kundenfeindliche Regelungen verabreden.

Zur Qualitätssicherung gehört in erster Linie, die Situation aus Sicht der betroffenen Kunden zu beurteilen, anstatt sich mit einer Scheinlösung als notwendiges Übel zufrieden zu geben. Es sollte sich doch bei aller versammelter Kompetenz und Kreativität eine intelligentere Lösung finden lassen, die heutige Ansprüche an Kundenorientierung erfüllt. Ob auch bei allen Beteiligten der nötige Wille vorhanden ist, wird die Zukunft zeigen. Eine Beibehaltung der jetzigen Situation kann aus Sicht der Fahrgäste nur als Scheitern beurteilt werden.

 
PDF-Version dieses Positionspapiers (ca. 500 KB)

 
Übersichtsseite