Fahrgastthemen

Dokumentation

Verkehrsgerichtstag: Erster Schritt in Richtung Reform

Die Empfehlung des 40. Deutsche Verkehrsgerichtstag hat einen allerersten zaghaften Schritt in Richtung auf eine Reform der Rechte des Fahrgastes getan. Doch zwischen den Vorstellungen und Bedürfnissen der Fahrgäste und den Vorstellungen der Deutschen Bahn AG klafft ein unüberwindlich tiefer Graben: die DB AG leistet heftigen Widerstand gegen eine Verbesserung der Rechte der Fahrgäste.

Der Verkehrsgerichtstag

Der Deutsche Verkehrsgerichtstag tagt seit 1963 Ende Januar in Goslar. In Arbeitskreisen treffen jährlich über 1 000 Fachleute zusammen, um in parallel tagenden Arbeitsgruppen Vorträge zu Schwerpunktthemen zu hören und zu diskutieren. Aus der Diskussion entstehen Empfehlungen, über die in den Arbeitsgruppe diskutiert und abgestimmt wird. Außer dem Straßenverkehr, der den größten Anteil der Arbeitskreise beschäftigt, wurden bisher auch Themen der See- und Binnenschifffahrt und der Luftfahrt erörtert. Anlässlich des 40. Deutschen Verkehrsgerichtstages wurde erstmals der Verkehrsträger Schiene in einer Arbeitsgruppe behandelt.

Die Vorträge

Der Arbeitskreis "Perspektiven der Bahn" bot drei Vorträge. Ministerialdirektor Thomas Kohl aus dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen erläuterte die Verkehrspolitik der Bundesregierung. Dipl. Ing Fritz Schröder, Bereichsleiter Sicherheit der DB AG sprach zu Sicherheitsphilosophie der DB AG, und PRO BAHN-Bundesvorsitzender Karl-Peter Naumann erläuterte den Reformbedarf bei den Fahrgastrechten. Wie nicht anders zu erwarten, wiederholte Kohl den bekannten Standpunkt der Bundesregierung und stellte vor allem die finanziellen Leistungen für den Schienenverkehr sowie die Einführung der Lkw-Maut heraus. Schröder zeigte die Probleme der Sicherung von Bahnübergängen, der Zulassung von Fahrzeugen und der darin eingebauten Sicherheitssysteme und der Behandlung der Suizidfälle auf. Naumann führte die heutige Situation der Fahrgäste bei Verspätungen und Betriebsstörungen plastisch vor Augen und wies darauf hin, dass aus der Sicht der Verbraucher die Benutzung des öffentlichen Verkehrs als Reisekette zu verstehen ist, die auch rechtlich und tariflich als Einheit zu sehen ist.

Mangelhaftes Vorinformation

Bei vielen Themen des Verkehrsgerichtstages genügt ein Stichwort, um Hunderte von Richtern, Rechtsanwälten und Vertretern aus Wirtschaft und verbänden zu elektrisieren: Titel wie "Unfallrisiko Lkw" oder "Senioren im Straßenverkehr" sprechen für sich selbst. Wenn mehrere Vorträge solche  Themen von verschiedenen Seiten beleuchten, entsteht von selbt eine hochrangige Besetzung und eine fachliche Diskussion. Nichtssagende Themen bergen hingegen das Risiko, dass solche Arbeitskreise wenig Zuspruch finden und die Teilnehmer sich einseitig aus vorinformierten Interessenvertretern zusammensetzen. Der Titel des Arbeitskreises "Perspektiven der Bahn" war so schwammig, dass darin drei Themenkopmplexe verpackt werden könnten, die kaum etwas gemein haben und vor allem sicherstellten, dass Bundesregierung und DB AG sich selbst darstellen konnte. Was das mit dem fachlichen Anspruch eines "Gerichtstag", also eines Juristentreffens zu run hat, wurde auch im Arbeitskreis nicht klar. So fanden sich denn auch kaum Praktiker aus Gerichten und Staatsanwälten ein. Wer nicht bei der Bahn sein Geld verdient oder ehrenamtlich oder hobbymäßig in diesem Thema engagiert ist, kann sich nter Thema und Referenten vorzustellen, worum es gehen würde. So blieb der Arbeitskreis mit rund 35 Teilnehmern recht klein.

Konfrontation zwischen "Die Bahn" und ihren Fahrgästen

So waren im Arbeitskreis eine ganze Reihe von hochrangigen Mitarbeitern der DB AG bis hin zur Pressesprecherin Christine Geißler-Schild vertreten, einige Richter und Anwälte, die die Bahn tatsächlich benutzen, und eine Reihe von Vertretern und Mitgliedern verschiedenster Verbände. Das Spektrum reichte vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen über den Automobilclub Europa bis zur Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und dem Fahrgastverband PRO BAHN. Juristischer Sachverstand wie auch Praxiserfahrung als Fahrgast war deutlich unterrepräsentiert. So musste PRO BAHN erst erklären, was ein Verbundfahrschein ist, weil sehr viele Teilnehmer das nicht wussten. Die Diskussion zur Politik der Bundesregierung und zu Sicherheitsfragen verlief in recht ruhigen Bahnen, aber schon hier zeigte sich die verbale Übermacht der Mitarbeiter der DB AG. Ungeniert wurde über die Konkurrenz hergezogen ("das Interregio-Angebot der Connex ist ein Witz"), und aus der Eisenbahn-Szene bekannte Tatsachen wie die Verschrottung betriebsfähiger Lokomotiven und Fahrzeuge wurden dementiert oder verdreht. Die Unsachlichkeit der Diskussion wurde auch davon geprägt, dass Vertreter von DB-Netz, die eigentlich wegen des Sicherheitsthemas gekommen waren, heftig und in der Diktion der offiziellen Pressemitteilungen der DB AG gegen bessere Fahrgastrechte eintraten. Von Wettbewerbsneutralität des Netzes konnte keine Rede sein. Bei der Diskussion der Fahrgastrechte führte diese Konstellation alsbald zu einer Spaltung der Diskutierenden in zwei Lager: hier die DB AG, dort die Fahrgäste. Während die Thesen von PRO BAHN bei den wenigen anwesenden Juristen mit zivilrechtlicher Erfahrung uneingeschränkt auf Zustimmung stießen, kamen von DB-Vertretern oder aus ihrem Umfeld Argumente wie diese: dass die Haftung ist nicht bezahlbar sei oder dass es mit den Verspätungen doch gar nicht so schlimm sei. Kennzeichnend waren Einwürfe  wie: "dann müsse der Fahrgast eben nach Hahnenklee laufen", oder: "eine Haftung der Bahn entspreche der allgemeinen Vollkasko-Mentalität". Fazit: die anwesenden Vertreter der Verkehrsunternehmen zeigten keinerlei Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Fahrgäste und keinerlei Gespür für das in der Bevölkerung vorhandene Gerechtigkeitsgefühl: sie akzeptieren nicht einmal, das eine verspätete Beförderung eine schlechte Leistung ist.

Die Empfehlungen

Dennoch gelang es den Leitern des Arbeitskreises und den Referenten, den Entwurf einer Entschließung zu entwerfen, die am nächsten Morgen sachlich diskutiert und mit wenigen Änderungen einstimmig angenommen wurde. Doch ganz zum Schluss zeigte sich die Konfrontation, aber auch das Geschick der Leiter des Arbeitskreises: Als vorgeschlagen wurde, der Empfehlung eine Einleitung voranzustellen, in der die Worte "Die Bahn" vorkamen, regte sich heftiger Protest, weil die DB AG diesen Begriff mittlerweile als Markennahme für sich vereinnahmt. Die Änderung in "Schienenverkehr" wurde von den Vertretern der DB AG wiederum empört abgelehnt. So wurden die Empfehlungen ohne Einleitungssatz verabschiedet. Wenn auch eine Einsicht in den Reformbedarf für das Recht der Fahrgäste bei der gegebenen Zusammensetzung des Arbeitskreises nicht zu erwarten war, so enthalten die Empfehlungen doch Keile, die sich in die von der DB AG mit aller Gewalt zugehaltenen Türen schieben könnten. Mit der "Reisekette" und der Forderung der Ausdehnung der Haftung auf alle Verkehrsträger kommt erstmals ein Begriff in die Diskussion, der das Aufbrechen der verkrusteten Strukturen beschleunigen könnte. Bisher sind die Rechtsvorschriften bei jedem Verkehrsträger anders. Aus der Sicht des Verbrauchers ist es aber völlig gleichgültig, ob Zug oder Bus, Schiff oder Flugzeug verspätet sind. Die Tür zu einer Reform der Fahrgastrechte ist einen Millimeter weit aufgestoßen, das reicht für einen Luftzug im Mief der Amtsstuben in Ministerien und Unternehmen.

Text: Rainer Engel

Empfehlung des Arbeitskreises VIII: "Perspektiven der Bahn"

40. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 23. bis 25. Januar 2002 in Goslar

  1. Der Arbeitskreis begrüßt alle Bemühungen, größere Verkehrsanteile sowohl im Personen- wie im Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Dazu muss die Schieneninfrastruktur modernisiert, eine gerechte Wegekostenanlastung bei allen Verkehrsträgern erreicht und der Wettbewerb auf der Schiene intensiviert werden. Der Arbeitskreis hält es in diesem Zusammenhang für nötig, auch die Voraussetzungen für eine verbesserte Verknüpfung der Schiene mit anderen Verkehrsträgern zu   schaffen.

  2. Der Arbeitskreis bittet die Bundesregierung, auf der europäischen Ebene nachdrücklich für eine möglichst rasche Öffnung der europäischen Schienennetze, insbesondere für den Schienengüterverkehr, einzutreten, um bessere Voraussetzungen für die Verlagerung weiträumiger Lkw-Verkehre auf die Schiene zu schaffen.

  3. Der Arbeitskreis begrüßt, dass durch die Umsetzung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) eine gesetzliche Grundlage für die Beförderung von Personen, Reisegepäck und Gütern im internationalen Eisenbahnverkehr geschaffen wird.

  4. Der Arbeitskreis begrüßt, dass bei der Umsetzung des COTIF-Übereinkommens ein gesetzlich verankerter Anspruch des Fahrgastes auf Ersatz für die durch Ausfall oder Verspätungen entstandenen Schäden und Nachteile (z. B. zusätzliche Übernachtung, verpasste Anschlussmöglichkeiten) eingeführt werden.

  5. Der Arbeitskreis empfiehlt die Regelungen zu den Nummern 3 und 4 auf den gesamten öffentlichen Personenverkehr entsprechend auszudehnen.

  6. Der Arbeitskreis empfiehlt die serviceorientierte Reisekette (als Verbund aller Verkehrsmittel zur Erreichung des vom Fahrgast gewünschten Zieles) mit einem Fahrschein für die gesamte Fahrt als Modell der Zukunft. Bereits vorhandene Modelle zeigen, dass dies erfolgreich umsetzbar ist.

  7. Der Arbeitskreis empfiehlt, auch dem Bundesgrenzschutz als "Bahnpolizei" eine Zuständigkeit für Untersuchungen von Personenunfällen auf Eisenbahnstrecken zu Übertragen. Der Bundesgrenzschutz sollte diese Untersuchungen nach geregelten kriminaltechnischen Verfahren durchführen und die Ergebnisse an die zuständige Landespolizei übergeben. So konnten die beim heutigen Verfahren (Untersuchungen ausschließlich durch die Landespolizei) auftretenden Verzögerungen im Bahnbetrieb verringert werden.

Sämtliche Entschließungen wurden einstimmig gefasst.