Positionen

Ein Verkehrsverbund aus Sicht des Fahrgastes

Auszüge aus einem Vortrag von Karl-Peter Naumann vom 21. 9. 1998 in Luxemburg anläßlich eines Symposiums "Öffentlicher Verkehr im Verbund - ein Modell für Luxemburg?"

Verkehr findet nicht auf Linien statt, sondern in einem Netz, gerade auch der öffentliche Verkehr. Er ist nur im Netz zu organisieren, wenn er wirklich für alle Kunden da sein soll. Ein Verbund ist die sinnvollste Organisationsform für das ÖV-Netz.

  1. Tarif

    Eine Fahrt ein Fahrschein - alles andere ist für Fahrgäste unnötiger Aufwand! Hinzu kommt, daß der Fahrgast die Regeln nur einmal lernen muß und nicht immer wieder neu.

    Häufige Unterschiede der Tarifsysteme sind:

    • Kindesaltergrenze
    • Definition der Gruppe/Familie
    • Tageskarte/ 24h Karte
    • Steifenkarten / Entwerter
    • Flächentarif (Tarifzonen) / Zeittarif / Streckentarif (Bahntarif)
    • unterschiedliche Verkaufsmodalitäten für die Tickets, insbesondere für die Zeitkarten und das Abonnement - aus der Sicht des Kunden sollten ein jährliches Abonnement mit Verlustversicherung (1 Wertmarke/Jahr) und übertragbare Formen ohne Verlustversicherung (monatliche Wertmarken) angeboten werden.

    Ideen für einen fahrgstfreundlichen Tarif hat PRO BAHN für Deutschland einmal zusammengestellt (s.Anlage). Ein großer Teil hiervon ist in Luxemburg bereits verwirklicht.

    In einem Verbund können die Verteilung Zeitkarte/Mehrfahrtenkarte/Einzelkarte einheitlich geregelt werden. Sowohl im Sinne der Unternehmen, wie auch im Sinne des Fahrgastes, sind möglichst hohe Zeitkarten-Anteile. Wenn in einem Bus oder Straßenbahn alle Fahrgäste einzeln beim Fahrer bezahlen, sind erhebliche Verspätungen vorprogrammiert.

    Elektronische Zahlungsmittel (PAY CARD bzw. Geld-Karte) sind nach der Auffassung von PRO BAHN geeignet, den Zahlungsvorgang vor allem am Automaten zu beschleunigen. Zusätzlich sollte es auch eine "pre-paid" - Verbund - Karte geben, die wie die klassische Streifenkarte dem Fahrgast einen Rabatt gewährt, wobei mit dieser Karte alle Fahrscheine zum ermäßigten Preis gelöst werden können.

    Kontaktlose elektronische Fahrausweise sind aus der Sicht der Fahrgäste datenschutzrechtlich äußerst problematisch. Außerdem sind Gruppen - und Kombi - Tickets, wie sie für die zunehmenden Freizeitverkehre von großer Bedeutung sind systemfremd.

  2. Fahrplan

    Die Abstimmung der Umsteigezeiten ist in einem Verbund leicht möglich, insbesondere im Spätverkehr und an Wochenende. Die Stadtbusse sollten kurz nach Ankunft des/der Zuges/Züge abfahren, in der Regel ist eine Umsteigezeit zwischen 3 und 5 Minuten ausreichend. Durch gemeinsame Leitstellen müssen aber die Anschlüsse gesichert werden.

    Ein Verbund kann einheitlich die Taktfrequenz festlegen, wovon dann auch nicht abgewichen werden darf:

    • 10 min / 20 min / 40 min / 120 min (10 und 20 min - Takte lassen sich einfach merken, der 40 min-Takt läßt sich dagegen nur schlecht merken)
    • 10 min / 20 min / 60 min oder 10 min / 30 min / 60 min ( Varianten für die Verbindung von 10 min Takt und Stundentakt)
    • 7,5 min /15 min / 30 min / 60 min (vom Stundentakt dominiertes System - der 7,5 min-Takt erfordert auch Rechenkünste, allerdings ist eine Wartezeit von 7,5 min durchaus erträglich)

    Eine Mischung verschiedener Takt-Systeme führt immer zu unerträglichen Wartezeiten für den Fahrgast, z.B. passen 30- und 40 min Takt sowie 40 min- und 60 min-Takt nicht zusammen.

    Für den Überlandverkehr gilt entsprechendes. Hier sind z.T. etwas längere Übergangszeiten erforderlich. Zum anderen können in Zeiten geringen Verkehrsaufkommens ASTs eingesetzt werden.

    Die Planungen der Fahrzeiten für kommende Fahrplanperioden können in einer verbundeinheitlichen Planungsgruppe rechtzeitig festgelegt werden.

  3. Linienführung

    In einem Verbund hat man die Möglichkeit für den Fahrgast die Linien und vor allem deren Verknüpfung optimal zu planen, da es keine Konkurrenz mehr zwischen ein zelnen Anbietern gibt. Parallelverkehre von Zug und Bus müssen dann nicht mehr sein.

    Ein Verbund kann im einzelnen festlegen:

    • ob es auf einer Stecke nur 1 Linie gibt
    • ob es dort verschiedene Systeme (Schnellbus / Bus oder Bahn / Bus) geben soll
    • wo Verknüpfungen zwischen verschiedenen Linien bzw. verschiedenen Systemen sinnvoll sind
    • wo Verknüpfungen mit dem IV hergestellt werden sollen (B+R und/oder P+R)

    Damit kann das ÖPNV-Gesamtsystem für den Fahrgast optimiert werden. Durch den Abbau von Parallelangeboten profitieren ebenso die Anbieter.

  4. Erscheinungsbild

    Ein einheitliches Erscheinungsbild macht es für den Fahrgast leicht, die Haltestelle zu finden und das System-Verkehrsmittel zu erkennen. Dabei sollte der Verbund einheitliche Systembezeichnungen festlegen, die im ganzen Verbund gelten.

    Haltestellen sehen oft in Stadt und Land deutlich verschieden aus. Der Fahrgast ohne Ortskenntnis kann dann u.U. Probleme der Wiedererkennung haben. Das gleiche gilt für unterschiedliche Systeme wie z.B. Schnellbus und Bus. In Hamburg z.B. sind Schnellbusse rosa lackiert, Stadtbusse rot. Hinweis-Symbole, Fahrkaten-Automaten usw. lassen sich einem Verbund leichter im Erscheinungsbild - wie auch in der Bedienung standardisieren.

    Für den Fahrgast sind auch genau definierte Haltestellen-Namen von großer Wichtigkeit. Dabei muß der Zielanzeiger am Bus oder Zug den gleichen Namen wie im Fahrplan anzeigen. Es ist für den Fahrgast nicht nachvollziehbar, wenn die Endhaltestelle im Fahrplan z.B. Industriestraße heißt, auf dem Bus aber "Gewerbegebiet Nord" steht. Ebenso muß eine Umsteigehaltestelle bei allen Linien, die sie anfahren den gleichen Namen haben. Woher soll ein Kunde wissen, daß die Haltestelle A-Dorf, Post genau am Bahnhof A-dorf ist? Das gleiche gilt für Zusatzbezeichnungen, die einheitlich zu regeln sind. Wenn der Bahnhof die Bezeichnung Weinheim (Bergstr.) trägt, die Straßenbahnhaltestelle aber nur Weinheim heißt, dann ist u.U. neben dem Kunden auch die EDV ratlos. Bei einer elektronischen Fahrplanauskunft in Deutschland passierte mir folgendes : Ich wollte von Hamburg nach Weinheim (Bergstraße) fahren, eigentlich ganz einfach: ICE bis Darmstadt, dann der IR. Da ich aber nur "Weinheim" als Ziel eingegeben hatte, sagte die EDV mir, ich solle bereits in Bensheim aus dem IR aussteigen und dann mit dem Überlandverkehr weiterfahren bis zum Bahnhof Weinheim. Heute ist dieses Problem allerdings behoben.

    Auch systematisierte Liniennummer sind für den Fahrgast von großem Wert, er kann daran erkennen in welche Region / Stadtteil das Fahrzeug fährt oder auch sofort zwischen innerörtlichem Bus und Überlandbus untescheiden. Schienengebundene Systeme lassen sich z.B. durch zusätzliche Buchstaben kenntlich machen wie Sie es schon eingeführt haben. Allerdings sollte man überlegen, ob es nicht sinnvoll ist über lange Abschnitte parallellaufende Linien mit einer gemeinsamen Stamm-Nummer zu versehen, z.B. R11,R12,R13. Busse, die mit diesen Linien verküpft sind, könnten dann diese Linien-Nummer in einer vierstelligen Bezeichnung wieder aufnehmen wie 1301, 1302 bzw. 1001, 1002 dort die verschiedenen Regionalbahnen auf einer gemeinsamen Strecke zusammenfahren. Für die Stadtverkehre in Luxemburg könnte man dann 3stellige Linien-Nummern vorsehen, wobei bei zeitweilig parallelfahrenden Linien die ersten oder letzten beiden Ziffern übereinstimmen sollten (161/162 ... oder 161/261).

  5. das einheitliche Fahrplanbuch / die einheitliche Auskunft

    Für den Fahrgast ist es von große Vorteil, wenn er nur 1 Fahrplanbuch bzw. 1 CD-ROM für alle Verkehrsmittel des Verbundes kaufen muß anstatt eines/eine von jedem Unternehmen. In einem Verbund ist es leichter möglich alle Verbindungen auf einer Strecke, auch wenn sie von unterschiedlichen Verkehrsmitteln gefahren werden, in einer zusammenfassenden Tabelle unterzubringen. Wenn ein Kunde von Diekirch nach Ettelbrück fahren will, findet er heute die Züge und einige Busse (die mit Zuganschluß in Ettelbrück) im Bahnkursbuch. Im Busfahrplan gibt es dann noch zusätzlich auf 20 Tabellen verteilt weitere Busverbindungen.

    Der Verbund sollte auch darauf achten, daß das Fahrplanbuch auch für den Kunden einfach zu handhaben ist. Das gilt sowohl für die Übersichtlichkeit der Tabellen (im CFL-Fahrplan sehr gut gelöst, wenn auch sehr platzverschwenderisch) wie auch für Größe und Gewicht. Wenn der luxemburgische Busfahrplan mit 488 Seiten genau so viel wiegt wie der schweizerische mit 2300 Seiten, nämlich 0,89 kg, dann ist das kundenfreundliche Optimum noch nicht erreicht.

    Vor allem aber ist der Kunde darauf angewiesen, daß er eine einheitliche und komplette Auskunft von Haus zu Haus bekommt. In einem Verbund bekommt er i.d.R. auch die optimale Verbindung genannt und nicht die, die möglichst mit dem Verkehrsmittel des befragten Unternehmens (z.B. die Bahn) läuft. Dazu ist erforderlich, daß alle Verkehrsmittel auch in den elektronischen Medien vorhanden sind (HAFAS/Internet).

    Betriebstage können in einem Verbund auch einheitlich geregelt werden. Ferienfahrpläne und besondere Schülerfahrten/Berufsfahrten können für alle verständlich in einheitlicher Form dargestellt werden (gleichartige Fußnoten/Zeichen).

    Auch die Fahrpläne, die an den Haltestellen aushängen, lassen sich in einem Verbund einheitlich gestalten, so daß der fremde Fahrgast nicht immer neu lernen muß, wie dieser Fahrplan-Aushang nun zu lesen ist. Dabei sind haltestellenspezifische EDV-Ausdrucke kompletten Kursbuchtabellen - wegen ihrer Übersichtlichkeit - vorzuziehen. Gerade im Überland-Verkehr sehen wir in Deutschland immer wieder Haltestellen mit 5 oder 6 verschiedenen Fahrplan-Aushängen, müssen dann aber feststellen, daß hier vielleicht nur 8 - 10 Busse am Tag fahren, die man leicht auf einer Tabelle hätte unterbringen können.

  6. Fahrgastbeiräte

    Der ständige Dialog mit den Fahrgästen hilft auf Dauer die Qualität des ÖV zu verbessern. Die Unternehmen bekommen dadurch Informationen über die kleinen täglichen Unzulänglichkeiten, die es überall gibt. Sie erhalten aber auch neue Ideen und Anregungen von den Menschen, die täglich oder doch häufig mit dem ÖV fahren.

    Ein funktionierender Verbund hat aus der Sicht der Fahrgäste unzählige Vorteile, die aber von den Verantwortlichen genutzt werden müssen.