Positionen

Deutsche Bahn AG will Behinderte diskriminieren

Schreibtischtäter am Werk

Während die Eisenbahner im Bahnhof und in den Zügen Behinderten meistens freundlich und hilfsbereit entgegentreten, haben die Schreibtisch-Juristen der Deutschen Bahn AG sich neue Schikanen für Behinderte ausgedacht. Sie stehen in den neuen Allgemeinen Beförderungsbedingungen und werden selbst intern nicht verstanden.

Diskriminierung durch Beförderungsbedingungen

Mit den neuen Tarifen führt die DB AG am 15. Dezember 2002 neue "Allgemeine Beförderungsbedingungen" ein, die den bisher geltenden "Deutschen Personen- und Gepäcktarif" ablösen. Sie liegen inzwischen gedruckt vor und enthalten allgemeine Bestimmungen über den Tarif und damit über die Bedingungen, unter denen die Züge benutzt werden dürfen. Zwei Bestimmungen sind darin enthalten, die es so bisher nicht gab: ein Verbot, Tandems mitzunehmen, und die Bestimmung, dass Behinderte ohne Fahrschein den Bordpreis zahlen müssen, wenn sie nicht blind sind. Beide Bestimmungen diskriminieren Behinderte ohne Grund.

Das Tandem-Verbot

Blinde und Sehbehinderte können bekanntlich nicht selbst mit einem Fahrrad unterwegs sein, sondern benötigen ein Tandem - das ist ein zweisitziges Fahrrad - und einen sehenden Begleiter. Diese Personen sollen ab 15.12.2002 von der Mitnahme in den Zügen der DB AG ausgeschlossen werden.

In Punkt 8.1 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen heißt es, dass künftig die Beförderung von Tandems ausgeschlossen ist, es sei denn, sie werden in "besonderen Zügen" mitgenommen. Solche besonderen Fahrradzüge gibt es bisher nur auf ganz wenigen Strecken und in der Regel nur an Sonntagen.

Zur Zeit ist die Mitnahme von Tandems uneingeschränkt zugelassen, soweit dafür genügend Platz zur Verfügung steht, und erfordert nur das Lösen von zwei Fahrradkarten. In zahlreichen Fernzügen werden sogar spezielle Stellplätze vorgehalten, die auch speziell reserviert werden können.

Aus einer e-mail der DB AG geht hervor, dass selbst die für die Fahrradbeförderung zuständigen Manager der DB AG von dieser Regelung überrascht wurden. Am 26. September 2002 schrieb Thomas Ts. Koch von der DB AG an der Fahrgast:

"Wichtig ist zu sagen, dass die Grundform der Fahrradmitnahme nicht immer alle Arten von Fahrrädern einschließen kann. Schon normale Fahrräder mit Überlänge oder Überbreite führen vielfach zu Nutzungseinschränkungen für andere, die für ihre Fahrräder Reservierungen vorgenommen haben. Aus diesem Grund haben wir schon in der Vergangenheit versucht, spezielle Mitnahmemöglichkeiten zu schaffen, die auch für Tandems geeignet sind. So wurden z.B. in den Fahrradabteilen der IR-Züge 2 Hängevorrichtungen umstrukturiert, damit Tandems aufgehängt werden können, und wir haben die Buchbarkeit dieser Plätze gezielt für Tandems ausgerichtet. Auch in der überwiegenden Zahl der Nahverkehrszüge wurde aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit den Fahrradverbänden seit ca. 10 Jahren gezielt darauf geachtet, dass alle neuen Züge sowohl über Mehrzweckräume als auch reine Fahrradabteile verfügen, die grundsätzlich für die Tandemmitnahme geeignet sind. In unseren neuen Triebzugbaureihen haben wir die Möglichkeit vorgesehen, je nach Wunsch der regionalen Besteller, die Mehrzweckraumanteile grundsätzlich oder saisonal zu erhöhen. Hiervon ist jedoch bislang kaum Gebrauch gemacht worden. Als weitere Verbesserung möchte ich erwähnen, dass künftig kein Unterschied mehr zwischen verschiedenen Arten von Rädern besteht und deshalb auf den Kauf einer doppelten Fahrradkarte verzichtet werden kann."

Die neuen Allgemeinen Beförderungsbedingungen, die dem widersprechen, erwähnt dieses Schreiben mit keinem Wort. Auf den sofortigen Hinweis auf diese Bedingungen liegt PRO BAHN e.V. nach mehr als einem Monat keine Rücknachricht vor.

Bordpreis-Erlass weiter eingeschränkt

Gemäß Ziffer 3.9 der Allgemeinen Beförderungsbedingungen müssen Reisende beim Lösen von Fahrausweisen im Zug einen "Bordpreis" zahlen, einen Zuschlag zum gewöhnlichen tariflichen Fahrpreis von 2 bis 10 Euro.

In den "Beförderungsbedingungen für besondere Personengruppen" Ziffer 2.3 findet sich dann die Bestimmung, dass "Blinde" davon befreit werden.

Nach dem bisher geltenden Deutschen Personen- und Gepäcktarif galt, dass auch die alleinreisenden Behinderten keinen Bordpreis zahlen müssen, für die ein Behindertenausweis mit dem Merkzeichen "B" ausgestellt ist. Das sind Personen, die nach der Definition des Sozialgesetzbuchs "die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung nachgewiesen ist". Diese Ausweisart wird für einen erheblich erweiterten Kreis von Behinderten ausgegeben. Er bedeutet aber nicht, dass die Behinderten sich von einer anderen Person begleiten lassen müssen. Was ein Behinderter ohne fremde Hilfe leisten kann, muss er letztlich selbst entscheiden und dabei auch darauf rechnen könne, dass Behörden und Unternehmen ihm diese Selbständigkeit ermöglichen.

Bereits diese Regelung war und ist nicht ausreichend. Das Verkaufssystem der DB AG ist auch für andere Behinderte alles andere als barrierefrei. Beispielsweise hochgradig Sehbehinderte, die nicht im Sinne des Gesetzes "blind" sind, sind in der Regel nicht in der Lage, die Automaten in Bahnhöfen und Zügen zu bedienen: die Schrift ist zu klein, die Tasten sind schlecht zu finden, und die Benutzung von Sehhilfen wie Lupen löst die Touch-Screen-Bildschirme unbeabsichtigt aus und macht die Bedienung unmöglich. Gerade diese Personengruppe ist aber in der Lage, mit etwas Einübung, gutem Gedächtnis und Fernglas ausgestattet, sich frei und fast unauffällig mit dem Zug zu bewegen.

Nicht viel anders steht es mit Steh- und Gehbehinderten. Fahrkartenschalter sind häufig überlastet, sie befinden sich an ungeeigneter Stelle, und beim Umsteigen von Verkehrsmittel zu Verkehrsmittel wird die Zeit knapp. so dass sie anders als die "Normalen" den Fahrkartenkauf nicht schaffen. Dennoch können auch sie die Züge ohne Einschränkung benutzen - aber sie benötigen das Entgegenkommen des Personals.

Weiter will die DB AG immer mehr Fahrkartenausgaben schließen und die Reisenden immer öfter auf die Benutzung von Automaten und des Internets verweisen.

Betroffen sind alle Behinderten, die Fernverkehrszüge der DB AG benutzen (Intercity, ICE). Diese Züge können von den Behinderten nicht im Rahmen der unentgeltlichen Beförderung mit dem Schwerbehindertenausweis benutzt werden.

Betroffene sind aber auch Behinderte, die Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn AG benutzen. In zahlreichen Bundesländern gibt es nach wie vor keine flächendeckenden Verkehrsverbünde, so dass Behinderte auch hier einen Fahrausweis benötigen, wenn sie den Nahbereich ihres Wohnorts überschreiten.

Der Fahrgastverband PRO BAHN e.V. hatte aus guten Gründen gefordert, statt eines Bordpreises, der den Charakter einer Strafgebühr hat, einen generellen Vorverkaufsrabatt für den Fahrkartenkauf vor dem ersten Geltungstag einzuführen. Das wäre eine diskriminierungsfreier Anreiz, Fahrkarten vorab zu kaufen. Die DB AG bietet diesen Rabatt aber ab dem 15.12. nur für Fahrkarten, die auf einen bestimmten Fernverkehrszug ausgestellt sind.

Rückfragen: Rainer Engel (Stand: 24.10.2002)

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