Positionen

Der Regionalverkehr vor dem Ausverkauf?

Am 16. März 2000 fand in Berlin unter dem Titel "Der Regionalverkehr vor dem Ausverkauf?" ein Hearing der GdED statt. Hier finden Sie das Eingangsstatement von Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzenden von PRO BAHN.

Acht Thesen aus der Sicht der Fahrgäste oder der Beförderungsfälle

A. nur im Wettbewerb kann der ÖPNV überleben

  1. Wettbewerb fördert Konkurrenz und damit die Qualität
    Regionale NE - Bahnen machen es vor - mehr Qualität zum günstigeren Preis, Bsp. Schönbuch-Bahn (WEG) oder OME. Ohne Wasserkopf, mit mehr Nähe zum Besteller (Land, Kreis) und zum Fahrgast werden Probleme schneller erkannt und oft pragmatische Lösungen gesucht. Zum Bispiel: Kaffee-Ausschank bei der OME; einfache (preiswerte) Bahnsteigzugänge bei WEG; AKN und anderen. Im Busbereich gilt dieses analog.

  2. Konkurrenz und Wettbewerb müssen gerade beim ÖPNV festen Regeln unterliegen
    Die billigste Lösung nützt dem Fahrgast nichts. Der Busfahrer muß schon die Haltestellen (-namen) kennen. Alle Mitarbeiter im ÖPNV müssen dem Kunden Auskunft geben können, dazu gehört auch ein Mindestmaß an deutschen Sprachkenntnissen und verkehrsgeografischem Wissen. Wir kennen ausländische Mitbürger als Angestellte im ÖPNV, deren Qualität und Qualifikation über jeden Tadel erhaben sind. Qualitätskontrolle setzt bereits in der Ausschreibung an.

  3. Die überregionale Regelungen von Preisen, Fahrplänen und Auskünften dürfen nicht verloren gehen
    Der Öffentliche Verkehr ist ein System und darf durch verschiedene Anbieter nicht zerstückelt werden. Auskünfte und Fahrkarten muß der Kunde überall und in alle Orte bekommen. Fahrpläne, Preise einerseits wie auch Anschlüsse von und zu anderen Systemteilen des ÖV dürfen keine Geheimwissenschaft werden. Wie auch im Telekommunikationsmarkt kann hier die DB eine Leitfunktion übernehmen, sie muß dafür aber die offensichtlichen Overhead-Kosten von den einzelnen Anbieter erstattet bekommen. Der regionale Anbieter, der sich nicht (voll) in das ÖV System integriert und dafür um die Overhead-Kosten billiger ist, bringt für den Fahrgast keinen Nutzen.

  4. Kunden sind nicht die "Einkäufer" - Kundenbeiräte als Qualitätskontrolle
    Der ÖPNV - Markt unterscheidet sich von anderen Märkten dadurch, daß Kunden und "Einkäufer" (= Besteller) nicht identisch sind. Kundenwünsche können beim ÖPNV nur indirekt in die Bestellentscheidung einfliessen. Nur mit solchen Beiräten, nur mit einem Mitspracherecht der Fahrgastverbände gibt es einen überlebensfähigen ÖPNV. Sie sollten - wie in Großbritannien - gesetzlich verankerte Rechte und Einflussmöglichkeiten haben.

B. nur mit der (richtigen) Politik kann der ÖPNV überleben

  1. Die Politik muss für eine kostengünstige und effiziente Infrastruktur sorgen
    Schiene und Straße können nur dann kostengünstig produzieren, wenn die Infrastruktur stimmt. Aufwendige Kunstbauten (Tunnel) sind längst nicht überall nötig, wo sie gebaut werden, sie verteuern aber über den Trassenpreis den ÖPNV. Wiederinbetriebnahmen, Lückenschlüsse und auch Neubaustrecken dürfen im SPNV kein Tabuthema sein. Der Bus braucht optimierte Verknüpfungspunkte zur Schiene, wohin ihn oft nur separate Busspuen führen.

  2. Raumordnung und ÖPNV - Planung dürfen nicht getrennt werden
    Nur wenn sich die Raumordnung mit der Planung von Freizeitanlagen, von Industriestandorten,... am ÖPNV, vornehmlich an der Schiene orientiert, hat auch hier der ÖPNV eine echte Chance. Alibi - Buslinien mit stündlichen Anbindungen aus nur einer Richtung nützen genauso wenig wie klangvolle Haltestellennamen an der Schiene, wenn dann ein längerer Fußweg zum Ziel folgt. Wenn nur Parkplätze gebaut werden, hat der ÖPNV keine Chance.

  3. Der (regionale) Güterverkehr wurde bei den Regionalisierungsgesetzen vergessen
    Gerade in der "Fläche" kann der Güterverkehr einen nicht unbeträchtlichen Teil der Infrastrukturkosten mit erwirtschaften. Gerade regionale Bahnen zeigen, was hier möglich ist. Hier dürfen nicht nur Straßen zu Gewerbegebieten gefördert werden, sondern ebenso auch Schienenanschlüsse. Ferner bedarf es hier auch intelligenter Umschlagtechniken (ACTS,...).

  4. Der ÖV droht im MIV zu ersticken
    Nur wenn die Wettbewerbsbedingungen zwischen ÖV und MIV angeglichen werden, wird es keinen Ausverkauf im ÖV geben. Solange die Finanzierungskosten, die sozialen Folgekosten, die ökologischen Kosten, die Verkehrssteuerungs- und lenkungskosten, und, und, und.. beim MIV irgendwo "untergebuttert" werden, sie aber beim ÖV, insbesondere beim SPNV voll zum Tragen kommen, gibt es hier keinen echten Wettbewerb. Die Schwerverkehrsabgabe ist hier nur ein erster Schritt in die Richtige Richtung, deren weitere folgen müssen.

Nur dann wird es nicht einen ÖV-Restverkehr für Arme, Alte, Auszubildende, Asylanten, Alternative - sondern einen attraktiven ÖV für alle geben.